30.01.2020 / Andacht

Gott ist nicht lieb

Warum Gott für uns ohne Nutzen ist.

Gott ist die Liebe. Aber Gott ist nicht lieb. Der Unterschied zwischen „Liebe“ und „lieb“ wird schon durch die Schreibweise deutlich. „Liebe“ ist ein großer Begriff, der für sich stehen kann. „lieb“ hingegen ist ein kleines Hilfswort, das nur in Beziehung zu einem größeren Begriff, den es beschreibt, stehen kann.

Lieb ist ein angenehmes Wort, das niemandem wehtut. Der Duden beschreibt es als „durch seine liebenswerte, angenehme Wesensart (…) Zuneigung auf sich ziehend“, „mit seinem Verhalten Freude bereitend“ und als „gefällig, nett, liebenswert“. Das alles sind durchaus Attribute, mit denen wir Gott beschreiben können. Aber sie veranschaulichen allenfalls einen Teil dessen, was Gott ausmacht. Sie sind nur ein Teil der Wahrheit, des größeren Begriffs, auf den sich das „lieb“ bezieht. Ein Teil dieser Wahrheit tut weh.

Gott enttäuscht

„Denn er verletzt und verbindet; er zerschlägt und seine Hand heilt“ (Hiob 5,18), heißt es über Gott. Im gesamten Buch Hiob finden sich nicht so viele Hinweise auf den „lieben“ Gott, d.h. auf eine „angenehme Wesensart“ oder einen Gott, der sich „gefällig, nett, liebenswert“ gibt. Gott erscheint in dieser Erzählung überwiegend als machtvoll, zeitweise gnadenlos, als unergründlich und rätselhaft. Er behandelt den Menschen Hiob, der alles tat, um ihm zu gefallen, mit scheinbar kühler Härte, obwohl dieser es nicht verdient hätte. Gott verhält sich für Hiob unbegreiflich.

Im Buch Hiob ent-täuscht Gott. Hier verhält er sich nicht liebevoll und warmherzig. Er rückt das einseitige Bild vom „lieben Gott“ zurecht. Er verletzt und zerschlägt. Er lässt es zu, dass seine Geschöpfe Schaden nehmen und zerstört damit ihre begrenzte kleine Vorstellung von ihm. Gott ist nicht so, wie Menschen ihn gerne hätten. Oder, wie der Theologe Rainer Bucher es provokant formuliert: Gott ist nutzlos. „Er ist kein Erfüllungsgehilfe unserer alltäglichen Sorgen und Nöte, erst recht nicht unserer trivialen Wünsche.“ (aus: Röser, Johannes (Hg.): Gott? Die religiöse Frage heute. Freiburg im Breisgau: Herder, 2018. S. 46)

Gott ist kein Erfüllungsgehilfe unserer alltäglichen Sorgen und Nöte, erst recht nicht unserer trivialen Wünsche. – Rainer Bucher, Theologe

Menschen haben Schwierigkeiten mit Gott

Gott will uns Menschen nicht nützlich sein wie ein Gegenstand, den wir nach unserem Gutdünken gebrauchen. Vielmehr wird der Mensch zum Gegenstand göttlichen Handelns. Das Buch Hiob verdeutlicht, wie machtlos jeder Mensch Gottes Allmacht gegenübersteht und dieser nichts entgegensetzen kann. Gott rechtfertigt sein Handeln nicht. In den Augen der Menschen handelt er nicht gerecht. Klagt Hiob sein Unverständnis darüber, weist Gott ihn zurecht und fordert ihn heraus:

Kann Hiob das Leben aus der Perspektive des allmächtigen Schöpfers begreifen? War er da, als Gott das Fundament für seine Schöpfung legte? Kann er über Tag und Nacht bestimmen, die Naturgewalten zähmen, über die Menschen und Gott Gericht sprechen?

Hiob hat auf diese Frage keine Antwort. Er kann Gottes Position nicht einnehmen und begreift dadurch erst, mit wem er es zu tun hat. Sein Gottesbild ist größer, differenzierter geworden als vorher und er sagt: „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen; aber nun hat mein Auge dich gesehen.“ (Hiob 42,5).

Eine solche Erkenntnis ist für das Wesen Mensch, das sein Dasein zu begreifen versucht und sich in Gottes Ebenbildlichkeit selbst als intelligent und schöpferisch erlebt, schwer zu schlucken. Nicht mit Gott auf Augenhöhe zu stehen, ist eine kränkende Erfahrung. „Die Menschen – einschließlich der Gläubigen – haben Schwierigkeiten mit Gott“, schreibt der katholische Publizist Johannes Röser in seinem Essay Im wahren Beten zum „falschen“ Gottesbeweis. „Die vorgegebenen, meist angeblich so selbstverständlichen Vorstellungen greifen nicht mehr. Auch nicht mehr die Tricks, im Zweifelsfall Gott stets zu entschuldigen dafür, dass er nicht eingreift: Er werde schon wissen, wozu das gut ist.“ (a.a.O., S. 45).

Gott mutet Menschen Leid zu

So sehr Hiob mit der Unberechenbarkeit und der Unbegreiflichkeit von Gottes Handeln hadert, er wendet sich nicht gegen ihn. Was bleibt ihm anderes übrig, als sich dem Allmächtigen auszuliefern, der ihn völlig in der Hand hat? Selbst, wenn Hiob sich von scheinbar angenehmeren Versprechungen hätte fehlleiten lassen, am Ende hätte er doch wieder vor Gottes Gericht gestanden. Und er gibt die Hoffnung, dass Gott gut ist, nicht auf. „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!“ (Hiob 19,25), ruft er mitten in seinem Leid. Er vertraut darauf, dass Gott trotz der zugelassenen Verletzungen und Schläge für ihn ein gutes Ende bereithält. Und so kommt es auch. Hiob wird für sein Leid entschädigt und darf ein langes und gutes Leben führen. Doch für uns Menschen bleibt der bittere Nachgeschmack des Unverständlichen, der Ungerechtigkeit. Das gute Ende ist schwer zu ertragen.

„Lieb“ ist nett, gefällig und angenehm. Liebe aber ist mehr als das. Liebe lässt los und Liebe lässt zu. Liebe ist nicht berechenbar, sie ist mysteriös und unbegreiflich. Liebe verhält sich nicht logisch. Sie ist der Magnet für die menschliche Sehnsucht nach Ankommen und Zugehörigkeit. Liebe ist das Ziel auf einem Weg, der auch Leid bereithält. Gott mutet uns diesen Weg zu. Warum, dafür rechtfertigt er sich nicht. Wir können über diesen Weg klagen, gehen müssen wir ihn trotzdem. Aber Gott steht als Ziel bereit, denn aus dem Universum, das er geschaffen hat, gibt es kein Entrinnen.

Liebe ist das Ziel auf einem Weg, der auch Leid bereithält. Gott mutet uns diesen Weg zu. Warum, dafür rechtfertigt er sich nicht.


Leseempfehlung: Röser, Johannes (Hg.): Gott? Die religiöse Frage heute. Freiburg im Breisgau: Herder, 2018.

Autor/-in: Katrin Faludi

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