29.03.2019 / Armut

Frauen sieht man die Obdachlosigkeit nicht an

Diakonie will bessere Hilfen gegen das versteckte Leid.

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Obdachlose sind bedauernswerte Menschen, die irgendwo unter einer Brücke oder auf einem verlassenen Hinterhof übernachten. Und es sind Männer. Ein Irrtum, sagt Barbara Eschen. Die Direktorin der Berliner Diakonie, des karitativen Zweigs der evangelischen Kirche, schätzt: 10 Prozent aller Wohnungslosen sind weiblich. „Obdachlose Frauen schaffen es oft sehr lange, ihre Wohnungslosigkeit zu verbergen. Man sieht ihnen die Wohnungslosigkeit nicht an. Und sie tun alles, um unauffällig zu bleiben.“

Obdachlose Frauen tauchen eher selten in Notübernachtungen auf. Kein eigenes Zuhause zu haben ist für viele schambesetzt. So nehmen sie viele Nachteile in Kauf, um irgendwie anders durchzukommen. Viele fänden bei Freunden oder Bekannten für kurze Zeiträume einen Schlafplatz. „Sie begeben sich in Abhängigkeitsverhältnisse, die ihnen überhaupt nicht gut tun“, umschreibt Eschen Situationen von Prostitution und Ausbeutung.

Der Hotel-Test

Obdachlosigkeit sieht man niemandem zwingend an. Da ist die Frau, die natürlich, um sie zu schützen, anonym bleiben muss. Nennen wir sie Frau Meier. Sie hat einen Hochschulabschluss. Das ist nicht untypisch. Denn obdachlose Frauen sind meist gebildeter als Männer. Das Leben hat Frau Meier hart mitgespielt. Damit niemand bemerkt, dass sie auf der Straße lebt, versteckt sie ihre Hab und Gut auf einer mobilen Dixi-Toilette. Ihre eigene Würde wahrt sie, indem sie von Zeit zu Zeoit Hotelhallen betritt und schaut, wie Menschen auf sie reagieren. „Und sie ist ganz glücklich, wenn niemand reagiert“, schildert Barbara Schen ihr Schicksal. „Dann weiß Sie: Ich gehöre noch dazu.“

Ein langer Leidensweg

Wie viele Frauen in Berlin ohne Wohnung sind, kann niemand seriös sagen. Auch für die gesamte Bundesrepublik fehlen Zahlen zur Obdachlosigkeit. In den öffentlichen Statistiken wurde dieses Armuts-Thema bisher ausgespart. Doch inzwischen laufen erste Studien. Die Ergebnisse lassen allerdings noch auf sich warten.

Einen kleinen Eindruck können diese Zahlen vermitteln: In Berlin gab es im zurückliegenden Winter fast 1200 Notübernachtungsplätze. Jeder achte war speziell für Frauen reserviert. Trotzdem ist die Zahl der Menschen, die im Freien übernachten, gestiegen. Eins ist aber auch klar: Jede Frau, die in eine Notübernachtung kommt, hat in der Regel schon einen langen Leidensweg hinter sich. Deshalb hat Diakonie-Direktorin Barbara Eschen klare Forderungen: „Mein Appell an die Politik: Sorgen Sie für neuen Wohnraum, der obdachlosen und wohnungslosen Menschen vorbehalten ist, samit Frauen wie diese Frau Meier von der Straße wegkommen.“

Autor/-in: Oliver Jeske

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