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© Clem Onojeghuo / unsplash.com

02.06.2017 / Interview / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Annabel Breitkreuz

Gott bleibt nicht vor Bordelltüren stehen

Robert Stößer träumt und kämpft für ein Stückchen mehr Himmel auf Erden.

Wovon träumen Sie? Von einem neuen Auto, einem neuen Job oder dem nächsten Sommerurlaub? Robert Stößer träumt von etwas ganz anderem: Etwas, das er sich nicht kaufen kann und wovon er selbst nicht direkt profitiert. Er träumt davon, dass Frauen, die sich prostituieren, aus den Türen der Bordelle gehen und nie wieder zurückkehren. Deshalb ist Robert Stößer Teil von pe/ix, einem sozialen Streetworker Projekt, das sich für Frauen in der Prostitution im Rhein-Main-Gebiet einsetzt. Pe/ix besucht Frauen in Laufhäusern und Bordellen, schenkt ihnen Kosmetika und bietet Gebet an.

Frauen in Prostitution stehen unter großem finanziellem Druck. Die Mietkosten in Bordellen betragen pro Nacht im Schnitt 150 Euro. Das führt zu zeitlichen und körperlichen Stress. Trotzdem

© pe/ix 

unterbrechen viele der Frauen ihre Arbeit, wenn sie die Teams von pe/ix besuchen. Katja Völkl hat Robert Stößer gefragt, was die Einsätze im Rotlichtviertel tatsächlich für Veränderungen, aber auch für Gefahren mit sich bringen.
 

ERF: Was haben Sie für Eindrücke von den Bordellen und den Rotlichtvierteln?

Robert Stößer: Da die Einsätze abends und nachts stattfinden, sind das ganz seltsame Eindrücke, die man aus dem Alltag nicht kennt. Die Gerüche sind etwas, das man nicht vergisst, wenn man mal in einem Bordell war. Da herrscht ein bedrückender Mief: Rauch, Schweiß und andere Körpergerüche. Vieles davon ist so unangenehm, dass man es gar nicht erleben will. Aber das ist die Lebensrealität der Frauen, die jeden Tag dort verbringen.

Frauen in Prostitution sind Gefangen in einer Schublade

ERF: Warum machen Frauen das überhaupt?

Pe/ix ist ein Projekt von Kirche in Aktion e.V., das sich Frauen widmet, die dem Gewerbe der Prostitution nachgehen. Das pe/ix-Logo erinnert an das altkirchliche Christuszeichen Xhi-Rho (XP), das die Befreiung durch Christus symbolisiert. Der Kirche in Aktion geht es darum, soziale Umstände mitzugestalten und den seelischen wie körperlichen Bedürfnissen von Menschen in Altersheimen, Krankenhäusern, Flüchtlingsstätten oder in Bordellen mit Wertschätzung zu begegnen. Sie können die Arbeit von pe/ix mit dem Kauf fairer Kleidung unterstützen. Die Produkte werden zum Teil von Frauen genäht, die ehemals dem Gewerbe der Prostitution nachgegangen sind.

Robert Stößer: Das ist schwer zu beantworten. Es gibt ganz unterschiedliche Geschichten. Viele Frauen, die wir in Frankfurt antreffen, sind aus Osteuropa. Da spielt die Armutsprostitution eine große Rolle, wo der finanzielle Zwang die Frauen dazu treibt. Es kann auch andere Gründe geben, indem zum Beispiel jemand in frühen Jahren dazu verlockt wird. Oft werden gut bezahlte Jobs in einer Bar oder Diskothek in Aussicht gestellt. Und am Ende landet man in diesem Job, den man nicht erwartet hat. Man kann das also nicht verallgemeinern. Es sind einzelne Menschen mit einzelnen Schicksalen.
 

ERF: Ich stelle mir vor, dass es viel mit dem Selbstbild der Frauen macht, sich wie eine Ware verhökern zu müssen. Wie wirken die Prostituierten auf Sie?

Robert Stößer: Ich sehe es als große Gefahr, wenn ein Mensch nicht mehr jemand ist, sondern etwas tut und wir ihn darauf reduzieren. Aber das, was er tut, tut er nur vorübergehend. Das macht ihn vielleicht im Moment aus, aber ist er das? Ist er nicht viel mehr? Sind die Frauen nicht viel mehr als Prostituierte? Dieser Ansatz sagt viel über das aus, wie die Frauen empfinden: Nämlich in dieser Schublade gefangen zu sein. Wer denkt als eine Freundin an sie, als Schwester oder in all den anderen Kategorien, die sie auch haben? Sie sind viel mehr als wir in den Momenten im Bordell wahrnehmen.
 

ERF: Sie selbst gehen nicht mehr mit zu den Einsätzen. Warum?

Ja, das stimmt. Im Moment bin ich im Hintergrund tätig. Wir als Männerteam hatten mal ein kritisches Erlebnis, bei dem wir gewaltsam aus einem Bordell herausgedränkt wurden. Das Männerteam war im Gegensatz zu den Frauenteams Undercover aktiv, das war gefährlicher. Nach dem Erlebnis haben wir entschieden, dass das für die Arbeit von pe/ix hinderlich ist. Die Frauenteams hingegen gehen weiterhin kenntlich mit pe/ix-Mitgliedsausweisen in die Bordelle.

Gebet bewirkt Veränderung

ERF: Wo haben Sie Erfolge bei Ihren Einsätzen gefeiert? Konnten Frauen schon aus den Bordellen rausgeholt werden?

Robert Stößer: Herausholen steht nicht direkt auf unserer der Agenda. Wir helfen erst einmal direkt vor Ort. Für den Ausstieg vermitteln wir an andere Organisationen. Wir sind mit offenem Herz vor Ort und betreiben Seelsorge. Da passiert wirklich Wundersames. Eines der Teams hatte ein tolles Erlebnis mit einer Frau, die sie schon eine Weile kennen. Üblicherweise beten die Frauen unseres Teams mit der jeweiligen Frau auf dem Zimmer. Bei dem vorletzten Besuch war es so, dass die Frau von sich aus gesagt hat, dass sie beten möchte. Sie hat sich niedergekniet und die Hände gefaltet. Und dann hat sie angefangen für alle Menschen zu beten, die im Krankenhaus sind, die unter Armut, Vertreibung oder Unterdrückung leiden. Sie hatte auf einmal für sich eine Stärke und Zuversicht gewonnen.

Der Besuch danach war noch überraschender: Da sagte sie, dass sie kein Bedürfnis mehr nach Alkohol, Zigaretten oder Drogen hat. Auf einmal konnte sie auf Substanzen verzichten, mit denen sie sich sonst ablenkte und betäubte. Sie meinte, dass irgendetwas passiert sein müsste, als sie angefangen hat für andere zu beten. Das fand ich sehr bewegend.
 

Sie meinte, dass irgendetwas passiert sein müsste, als sie angefangen hat für andere zu beten. Das fand ich sehr bewegend. – Robert Stößer

ERF: Wie kommen Sie über ihr geistliches Anliegen ins Gespräch?

Robert Stößer: Wenn wir erklären, warum wir hier sind, sprechen wir auch ganz offen an, dass wir von einer Kirche sind. Und schon ist man drin im Gespräch, denn man hat Kirche erwähnt. Die Mehrzahl der Frauen sind gläubig; sie werden im Grunde genommen mit nichts Neuem konfrontiert. Trotzdem ist es in vielen Fällen neu für sie, dass Menschen auch in Bordellen beten und über Gott sprechen. Oft dauert es lang, dass sie das zulassen und warm werden. Es kann auch sein, dass Frauen sagen, dass Gott hier keinen Platz hat. Gott sei draußen vor der Tür. Denn wenn Gott hier wäre, wäre das Leben nicht so. Das gibt uns die Chance, tiefer einzusteigen und zu fragen: „Macht Gott wirklich vor bestimmten Orten halt?“ Dann können wir die Nachricht von Jesus Christus weitergeben, der offen auf Menschen zuging, die andere gemieden hätten. Und: Der alle Menschen zu sich gelassen hat, die andere abgelehnt hätten.

 

 Annabel Breitkreuz

Annabel Breitkreuz

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Kommentare (1)

L.F. /

Wow!! Großartige Arbeit! Gottes Segen dafür!!!

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