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23.08.2016 / Interview / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Lucia Ewald

Werden Sie ein „Nein-Sager“!

Freundliches Neinsagen macht glücklicher als verbissenes Bejahen.

Werner May (Foto: privat)
Werner May (Foto: privat)

Laut einer repräsentativen Umfrage des Nachrichtenmagazins Focus sagen vier von fünf Deutschen Ja, wenn sie lieber Nein sagen würden. 14 Prozent der Befragten können sogar ihrem Hund gegenüber kaum etwas verweigern.

Werner May ist christlicher Psychologe und bietet Online-Trainings zum Thema Neinsagen an. Er möchte Menschen dabei helfen, ihre Grenzen besser zu setzen und es wagen auch einmal Nein zu sagen.

 

ERF: Herr May, Sie beschäftigten sich seit über 25 Jahre mit der Psychologie des Neinsagens. Wie sind Sie dazu gekommen?

Werner May: Den Einstieg zu diesem Thema bekam ich bei der Beobachtung von Familien mit Adoptivkindern. Ein Nein – egal wie harmlos es ausgesprochen wurde – führte dort oft zu einer Eskalation. Mich hat dieses Phänomen brennend interessiert und ich begann, mich mehr damit zu beschäftigen.

Dabei habe ich entdeckt, dass an diesem kleinem Wörtchen mehr dran sein muss, als nur den allgemeinen Kommunikationsverkehr zu regeln. Letztlich habe ich herausgefunden, dass selbst das harmlose Nein tiefes Misstrauen und Ablehnungsgefühle bei Kindern und Erwachsenen aufdeckt. Schließlich wurde mir selbst klar, dass auch ich das Neinsagen erst einmal lernen muss.

Letztlich habe ich herausgefunden, dass selbst das harmlose Nein tiefes Misstrauen und Ablehnungsgefühle bei Kindern und Erwachsenen aufdeckt.

ERF: Wie gut beherrschen Sie das Neinsagen inzwischen?

Werner May: Es ist auf jeden Fall schon besser geworden. Eine typische Situation, in denen ich das Neinsagen immer wieder trainieren muss, ist das Zugfahren. Einmal fing ein Mitreisender an im Ruheabteil sehr laut zu telefonieren, während ich arbeiten wollte. Ich stand vor der Entscheidung: Wage ich es mich zu überwinden und diesen Mann in aller Öffentlichkeit zu bitten, sein Telefonat zu beenden? Außerdem wusste ich nicht, wie das Abteil reagieren würde.

Ich habe schon erlebt, dass eine Spaltung entsteht – die einen mir beipflichten, die anderen sagen, ich solle mich nicht so aufregen. In dieser Situation habe ich schließlich einen Kompromiss gefunden und erst einmal abgewartet, wie lange das Telefonat dauern würde. Als nach kurzer Zeit Stille im Zugabteil eingekehrt war, konnte ich es auch auf sich beruhen lassen.

Ärger sollte nicht vermieden werden

ERF: Wieso fällt den meisten Menschen das Neinsagen schwer?

Werner May: Wir befürchten einfach, dass es Ärger geben wird, sobald ich „Nein“ sage und das hat mit unserer eigenen Geschichte zu tun. Beim Lernen des Neinsagens hilft es deswegen, sich folgende Fragen zu stellen: Wie wurde mir im Laufe meines Lebens Nein gesagt? Wie wurde mit meinem Nein umgegangen? Wurde es ernst genommen? Ich habe zum Beispiel oft willkürliche, unberechenbare, manchmal aggressive Neins zur Antwort bekommen. Dadurch hat sich bei mir eine negative Haltung dazu gebildet.

Beim Lernen des Neinsagens hilft es deswegen, sich folgende Fragen zu stellen: Wie wurde mir im Laufe meines Lebens Nein gesagt? Wie wurde mit meinem Nein umgegangen? Wurde es ernst genommen?

Ich glaube allerdings, dass der Hintergrund noch tiefer geht. Schließlich hat uns das erste Nein in der Bibel diese Problematik überhaupt beschert. Als Gott im Paradies zu Adam und Eva sagte: „Von diesem Baum dürft ihr nicht essen“, begann bei ihnen das Misstrauen. Ich denke deswegen, dass es beim Neinsagen um noch mehr als um unsere eigene Lebensgeschichte geht. Es geht um eine Versöhnung mit dem Nein, die existenziell mit unserem Leben verwurzelt ist.

Es geht um eine Versöhnung mit dem „Nein“, die existenziell mit unserem Leben verwurzelt ist.

ERF: Wie gehe ich mit meiner Angst vor ärgerlichen Reaktionen auf mein Nein um?

Werner May: In Deutschland habe ich durch meine Erziehung und den Kulturraum stets vermittelt bekommen, dass Ärger ein schlechtes Gefühl ist. Bei mir hat sich eingeprägt, dass ich immer irgendetwas falsch gemacht haben muss, wenn Ärger die Reaktion auf mein Verhalten ist. Doch da muss man umdenken – das ist nämlich nicht immer der Fall.

In der Bibel ist Ärger kein schlechtes Gefühl. Sogar Gott ärgert sich oder wird zornig (vgl. Psalm 7 oder Markus 3,5). Ärger ist ein Signalgefühl, er vermittelt, dass irgendetwas nicht stimmt. Wenn mein Gegenüber ärgerlich auf mein Nein reagiert, bedeutet das, dass er damit nicht umgehen kann und dabei vielleicht Hilfe benötigt. Somit ist der Ärger eine Chance, in eine ehrliche Kommunikation mit dem Anderen zu treten.

Wenn mein Gegenüber ärgerlich auf mein Nein reagiert, bedeutet das, dass er damit nicht umgehen kann und dabei vielleicht Hilfe benötigt. Somit ist der Ärger eine Chance, in eine ehrliche Kommunikation mit dem Anderen zu treten.

Wer nicht Nein sagen kann, kann auch nicht Ja sagen

ERF: Wie möchten Sie Menschen helfen, das Neinsagen zu lernen?

Werner May: Ich glaube zu allererst, dass wir eine Art Bekehrung zum Neinsagen lernen müssen, wir sollten wirklich verstehen, wie essentiell das für unsere Lebensqualität ist. Denn wer nicht Nein sagen kann, der kann auch nicht Ja sagen. Auch mit einem Ja kann man wie mit einer angezogenen Handbremse durchs Leben fahren.

Zum Beispiel, wenn man zu einer Beziehung oder Aufgabe Ja sagt, obwohl man nicht ganz dahinter steht. Beides, das Ja und das Nein, sind Methoden die eigenen Grenzen zu stecken und einzuhalten. Zu dem Training, das ich anbiete, gehört deswegen auch die Aufgabe Ja sagen zu lernen: Zu sich selbst, zum Anderen, usw.

Beides, das Ja und das Nein, sind Methoden die eigenen Grenzen zu stecken und einzuhalten.

ERF: Welche konkreten Tipps können Sie weitergeben, um das Neinsagen zu lernen?

Werner May: Zuallererst sollte man sich eine Auszeit nehmen, um sich Distanz zum Geschehen zu verschaffen und damit ein Handeln im Affekt zu vermeiden. Das Nein sollte natürlich auch im richtigen Tonfall artikuliert werden und es lohnt sich, es mit einer Begründung zu begleiten.

Das Nein sollte natürlich auch im richtigen Tonfall artikuliert werden und es lohnt sich, es mit einer Begründung zu begleiten.

Dadurch erlangt das Nein Festigkeit und Glaubwürdigkeit. Es wird außerdem klar, dass es ernst gemeint ist und das Gegenüber kann den Sinn dahinter leichter begreifen. Wichtig ist auch der Blickkontakt, der allerdings nur funktioniert, wenn Sie von Ihrem Nein überzeugt sind und dahinter stehen.
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch. 


Der Psychologe Werner May war von 1986 an über 25 Jahre erster Vorsitzender der IGNIS-Akademie für Christliche Psychologie in Kitzingen. Jetzt koordiniert er die Europäische Bewegung für Christliche Anthropologie, Psychologie und Therapie und ist Herausgeber des kostenfreien e-Journals „Christian Psychology around the World“ und des eMagazins ge|halt|voll. Außerdem beschäftigt er sich seit 1995 mit dem psychologischen Bereich des Neinsagens und bietet ein Online-Training dazu an. Werner May ist verheiratet, Vater von sechs erwachsenen Kinder und lebt in Würzburg.

Ihr Kommentar

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Kommentare (7)

Iris S. /

Ein Nein zu sagen, oder auszuhalten, ist leichter, bei Erklärungen. Beispiel. : Ich möchte mich mit jemanden zum Hundespaziergang verabreden. Ein Nein könnte viele Fragen hinterlassen, doch ein, mehr

Günther B. /

Euer Ja sei ein Ja, Euer Nein ein Nein... ist durch Gottes Gnade eigentlich ganz einfach, wenn frau/man erst mal den Unterschied zwischen Religion und Glauben verinnerlicht hat. Mir hat die Vaterherz-Bewegung und das Buch DIE HÜTTE dabei entscheidend geholfen, JesusSeiDank

Sabine W. /

Ich finde, man sollte, wenn irgend möglich und gegeben, sein NEIN auch wenigstens etwas begleitend zu erklären, nicht entschuldigend. Das wäre das falsche Fahrwasser! Aber so manche prägnante mehr

Gast /

In bestimmten (schwierigen) Situationen finde ich es hilfreich sich komplett auf den Heiligen Geist und seiner Führung zu verlassen, sonst könnte es sehr brenzlig werden. Ich glaube dies bezieht sich mehr

Hanna E. /

Könnten Sie vielleicht mal einen Artikel über Leute verfassen, die in der Gemeinde (vor allem, wenn sie Macht besitzen/ sich in wichtigen u. bedeutenden Positionen befinden) als ersten Impuls mehr

Johann J. /

Sehr hilfreich war die Bemerkung des "Augenkontaktes" mit dem Gegenüber bei einem "Nein" ! Vielen Dank!

Ingrid S. /

Danke für den guten Artikel. Ich habe mir auch schon Ärger "eingehandelt", weil ich gewisse Aufgaben nicht mehr übernehmen konnte. Es ist wirklich befreiend, konsequent etwas abzulehnen, was man mehr

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