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© Sarah Noltner / unsplash.com

03.04.2020 / Andacht / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Steffen Brack

Können die überhaupt streiten? (1)

Raus aus der Konfliktfalle: Auseinandersetzungen annehmen und tragfähige Lösungen finden.

 

 

Selbst in christlichen Gemeinden hängt der Haussegen manchmal schief. Auch wenn sie Orte sein wollen, an denen sich Menschen gegenseitig achten, respektieren und wertschätzen. Wie Christen ihre Konflikte miteinander austragen können, ohne ihre Liebe zueinander aufzukündigen.

Welche Brötchenhälfte hätten Sie denn gerne?

Ein Ehepaar macht es sich an seinem 51. Hochzeitstag gemütlich. In aller Ruhe wollen sie frühstücken. Wie gewohnt schneidet der Mann die Brötchen auf. Und wie immer gibt er seiner Frau die obere Hälfte. Die schaut sich das Ganze an ... und schweigt. Eine unangenehme Stille. Schließlich fasst sie sich ein Herz: „Du Schatz! Weißt Du eigentlich, dass ich die untere Hälfte des Brötchens viel lieber mag?“ Er schaut seine Frau entgeistert an. Und stammelt: „Was? Und ich esse am liebsten die obere Hälfte.“ Da wollten sich die beiden etwas Gutes tun. Jeder verzichtet auf seine Lieblingsseite vom Brötchen. Zuliebe des Partners. Und das 51 lange Jahre. Sie haben nie über ihre Lieblingshälfte von Brötchen gesprochen. Das ist die perfekte Vermeidungstaktik. Die beiden Eheleute haben es nicht gewagt, einen Konflikt zu riskieren. Dabei hätten beide davon profitiert.

Obwohl es nichts bringt – die perfektionierte Vermeidungstaktik

Diese Vermeidungstaktik kenne ich auch aus christlichen Gemeinden. Und manche Gruppen haben sie geradezu perfektioniert. Die Gründe, Streitigkeiten aus dem Weg zu gehen, sind sicher unterschiedlich. Vielleicht sind sie sogar miteinander vermischt. Manche haben bittere Erfahrungen mit dem Streiten gemacht. Bei den eigenen Eltern. Oder auch in christlichen Gemeinden.

Ich war einmal mit einer ganzen Gruppe junger Leute in Rumänien. Eine Gemeinde hatte uns eingeladen. Sie wollte mit uns zusammen Menschen zum Glauben einladen. Zum Glauben an Jesus. Als wir ankommen, erfahren wir: die Gemeinde hat sich gespalten. Und die Gruppe, die sich trotzdem auf uns freut – und die mit uns zusammen etwas auf die Beine stellen will – das sind die, die nicht mehr ins Gemeindehaus dürfen. Dort sollten aber die Veranstaltungen stattfinden. Dort sollten wir auch unterkommen.

Die gesamte Planung ist über den Haufen geworfen. Und unser Leiter am Boden zerstört. Und der Grund für das ganze Fiasko? Die Gemeindeleute wurden sich nicht einig darüber, ob das Abendmahl nur am Abend gefeiert werden darf oder auch zu anderen Tageszeiten. Das klingt für mich heute schon fast lächerlich. Aber oft sind es derart unwichtige Fragen, an denen christliche Gemeinden scheitern. Und wer so etwas selbst erlebt hat, der ist versucht, gerade dem Konflikt in der Gemeinde aus dem Weg zu gehen. Ich habe immer wieder mit Christen gesprochen, denen es so ergangen ist.

Falsch verstanden – biblische Aussagen verkehrt aufgefasst

Ein anderer Grund, weshalb eine ganze Reihe von Christen jedem Streit in der Gemeinde aus dem Weg geht, ist der: Sie glauben, dass streiten etwas Böses ist. Und dem soll ich als Christ natürlich aus dem Weg gehen. Sicher, beim Streiten, kann es schnell hässlich werden. Aber wer gut streiten kann, der muss andere nicht verletzen, wenn er mit ihnen ehrlich um eine gute Lösung ringt. Ob das schwer ist? Ich denke schon. Denn das braucht eine gewisse Übung. Und nicht zuletzt machen Gemeinden mitunter einen großen Bogen um schwelende Konflikte, weil so manche biblische Aussage einfach falsch verstanden wird.

Ein Beispiel: da sagt Jesus: „Liebt einander! So wie ich euch geliebt habe, so sollt ihr euch auch untereinander lieben“ (Johannes 13,34). Daraus schließt der ein oder andere Christ: Wenn wir uns gegenseitig lieben, dann ist doch alles harmonisch. Ich verstehe total gut, dass der Wunsch nach einem friedlichen Miteinander groß ist. Bei mir ist das jedenfalls so. Doch dieser Wunsch entspricht nicht immer der Realität. Wo Menschen miteinander unterwegs sind, da gibt es auch unterschiedliche Bedürfnisse.

Und Liebe – wie Jesus sie meint – die kleistert Unterschiede zwischen uns nicht einfach zu. Nein. Echte Liebe ringt mit den anderen darum, in einem Konflikt eine gute Lösung zu finden. Mit der jede und jeder gut leben kann.

Jesus nimmt strittige Auseinandersetzungen an

Jesus streitet durchaus – auch mit seinen Jüngern. Auf jeden Fall aber mit so manchem Schriftgelehrten, der ihn argwöhnisch beäugt. Die Liebe Gottes in Person geht den Konflikten nicht aus dem Weg, wenn der strittige Punkt wichtig ist. Ein Beispiel: Petrus, der Fischer will Jesus davon abhalten, am Kreuz zu sterben. Und dabei leiten Petrus nur die allerbesten Absichten. Ich mit meinem übersteigerten Harmoniebedürfnis hätte vermutlich nichts dazu gesagt. Aber Jesus weist seinen ehrlich besorgten Nachfolger in die Schranken. Sogar mit ziemlich scharfen Worten (Matthäus 16,23). Was bei ihm eher selten vorkommt. Ob Jesus den Petrus in dieser Situation nicht lieb hatte? Doch. Ganz gewiss.

Kein Platz mehr unter dem Teppich – ungelöste Konflikte rumoren weiter

Aber Liebe kehrt strittige Themen nicht einfach unter den Teppich. Denn irgendwann ist darunter kein Platz mehr. Und dann kommen manchmal alle ungelösten Konflikte auf einmal zum Vorschein. Diese bittere Erfahrung hat schon so manche Gemeinde gemacht. Und urplötzlich fliegen die Fetzen. Und oft versteht anfangs keiner, wie das passieren konnte. Aber es gibt Hoffnung. Christen sind ja schließlich Menschen, die ihre Hoffnung ganz auf Gott setzen. In jedem Bereich ihres Lebens. Und Gott lässt seine Leute nicht im Stich. Deshalb will Gott ihnen auch helfen, wenn sie sich in ihren Streitereien heillos verirrt haben.

Moment mal – ein merkwürdiges Problem

In der Bibel werden eine ganze Reihe handfester Meinungsverschiedenheiten geschildert. Heftige Auseinandersetzungen – unter Christen. Mitten in ihren Gemeinden. Ein Beispiel aus dem zweiten Bericht des griechischen Arztes Lukas. Aus seinem Bericht über die Aktionen der engsten Vertrauten von Jesus, der Apostel.

Da schreibt Lukas:

Eines Tages kamen einige Leute aus Judäa in die Gemeinde von Antiochia. Dort behaupteten sie: »Wer sich nicht beschneiden lässt, so wie es in Moses Gesetz vorgeschrieben ist, kann nicht gerettet werden.« Dem widersprachen Paulus und Barnabas ganz entschieden, und es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung (Apostelgeschichte 15,1).

Barnabas, ein fähiger Kopf unter den ersten Christen, heißt eigentlich Joseph. Aber die Apostel – also die 12 Männer, die Jesus in seiner Zeit als Wanderprediger zu seinen engsten Mitarbeitern gemacht hatte – diese Männer gaben dem Josef jenen Namen: Barnabas. Das heißt „Sohn des Trostes“ oder „der Mann, der anderen Mut macht“ (Apostelgeschichte 4,36). Barnabas ist demnach ganz offensichtlich kein streitsüchtiger Rechthaber, sondern viel eher ein milder und sanfter Charakter. Einer, der andere tröstet. Und der Menschen Mut macht. Das ist sein Wesen.

Aber hier tritt er ganz entschlossen ein paar Leuten entgegen. Denn die fordern, jeder Christ müsse nun auch Jude werden. Genau das meinen sie nämlich, wenn sie davon reden, ohne die jüdische Beschneidung würde kein Mensch mit Gott versöhnt. Offensichtlich sind diese Leute, die direkt aus dem jüdischen Kernland kommen, Juden, die zum Glauben an Jesus gekommen sind. Von daher ist ihre Ansicht auch nachvollziehbar.

Aber Barnabas und auch Paulus sind ebenfalls Juden. Und auch sie haben in Jesus aus Nazareth den versprochenen Retter erkannt. Den Messias, durch den Gott jeden Menschen mit sich versöhnen will. Und sie widersprechen der These der Neuankömmlinge vehement. Antiochia, wo sich der Vorfall ereignet, liegt im Süden der heutigen Türkei. An der Grenze zu Syrien. Dort kommen im ersten Jahrhundert viele Menschen zum Glauben an Jesus. Und es sind größtenteils keine Juden.

Als die Christen in Jerusalem davon hören, schicken sie einen ihrer besten Leute dorthin: den Barnabas. Ein ermutigender Mensch, ganz erfüllt mit dem Geist Gottes und einem lebendigen Glauben an Jesus. Voller Freude stellt er in Antiochia fest, wie viele Menschen Gott hier zu sich gerufen hat. Er ermutigt sie, an ihrem Vertrauen auf Jesus festzuhalten. Und es finden noch mehr Menschen zum Glauben an den lebendigen Gott. Und an seinen Sohn Jesus. Deshalb fackelt Barnabas nicht und holt sich Verstärkung.

Den früheren jüdischen Schriftgelehrten Paulus. Der ist inzwischen selbst Christ geworden. Durch eine dramatische Begegnung mit Jesus. Paulus ist ein überaus fähiger Theologe und Lehrer des christlichen Glaubens. Ein ganzes Jahr lang verbringen Barnabas und Paulus in Antiochien. In der neuen – und sehr großen – christlichen Gemeinde. Um die vielen Menschen, die gerade zum Glauben an Jesus gekommen sind, fit zu machen. Fit für ihr neues Leben mit Jesus. Und zu dieser Zeit dort in Antiochia werden die Jesusleute zum ersten Mal überhaupt „Christen“ genannt. Denn sie glauben nun an den Christus, an den Retter Gottes. An Jesus von Nazareth (Apostelgeschichte 11,22-26).

Ganz schön laut – wenn Auseinandersetzungen heftig werden

Die Auseinandersetzung zwischen den Leuten aus dem Süden Israels und den beiden Gemeindegründern Paulus und Barnabas ist heftig. Lukas lässt in seiner Schilderung keinen Zweifel daran. Wörtlich gibt er zu verstehen: Barnabas und Paulus sind empört über die Behauptungen der angereisten Besucher. Und die Auseinandersetzung in dieser Streitfrage ist „nicht gerade harmlos“. Ein typisch orientalischer Ausdruck für das genaue Gegenteil: die Auseinandersetzung ist echt heftig. Es kommt zu einem erregtem Wortgefecht. Das hat wohl auch mit der Leidenschaft zu tun, mit der Paulus und Barnabas ihre Position verteidigen.

In dieser Frage ist selbst der sanfte Barnabas nicht bereit, auch nur einen Millimeter nachzugeben. Und Paulus sowieso nicht. Nur durch Jesus und nur durch sein Opfer wird ein Mensch mit Gott versöhnt. Wer daran glaubt, der ist von Gott angenommen. Und zu dem Opfer von Jesus muss nichts mehr hinzugefügt werden. Aber auch wirklich gar nichts. Wer Christ geworden ist, muss also auch nicht im Nachhinein noch Jude werden.

Jesus allein versöhnt Menschen mit Gott. Warum um alles in der Welt sollte das Opfer des Gottessohnes noch durch irgendetwas ergänzt werden müssen?

Für Paulus und Barnabas steht hier alles auf dem Spiel. Das Zentrum des christlichen Glaubens. Der innerste Kern dessen, was Gott durch Jesus getan hat, um Menschen aus ihrer Trennung von Gott zu erlösen (vgl. Galaterbrief 1,9; 2,1-10.21; 5,1-12 u.v.m.). Und das ist wohl auch der Grund, warum ihr Widerstand gegen die Neuankömmlinge zu einer so heftigen Auseinandersetzung führt.

Dieser Artikel wird in Teil 2 fortgesetzt.

 Steffen Brack

Steffen Brack

  |  Coach Evangelisation & Follow-Up

Theologe und Redakteur, verheiratet, drei Kinder. Begeistert von Gottes unerschütterlicher Liebe.

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