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02.03.2011 / Südsudan / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Joachim Bär

„Entscheidend sind die nächsten sechs Monate“

Fast unbemerkt hat der Südsudan im Januar für seine Unabhängigkeit gestimmt. Doch wie tragfähig ist der Frieden mit dem Norden?

Im Schatten der Revolutionen in Tunesien und Ägypten hat der christlich geprägte Süden des Sudan am 9. Januar 2011 mit einer überwältigenden Mehrheit für eine Abspaltung vom Norden gestimmt. Vor welchen Herausforderungen steht der junge Staat fast zwei Monate nach dem Referendum? Kann er überhaupt überleben und wird die krisengeschundene Region endlich zur Ruhe kommen? Fragen an Ekkehard Forberg, Friedensexperte von World Vision.


ERF Online: Herr Forberg, der Süden des Sudan hat mit dem Referendum vom 9. Januar klar gemacht, dass er unabhängig sein möchte. Ein Staat lässt sich aber nicht aus dem Boden stampfen. Welche sind die dringendsten Probleme des jungen Staats im Süden?

Ekkehard Forberg: Es gibt bereits Strukturen im Südsudan. In Juba gibt es eine Regierung, die von internationalen Gebern finanziell unterstützt wird, teilweise auch personell. Das Land beginnt also nicht von Null auf. Gleichwohl bestehen große Herausforderungen. Man muss sehen, von welchem Level aus der Sudan gestartet ist. Nach 20 Jahren Bürgerkrieg gab es noch vor einigen Jahren kaum Infrastruktur, wenige Bildungseinrichtungen und Gesundheitseinrichtungen. Insofern gibt es einen sehr großen Nachhol- und Aufbaubedarf im Südsudan.

ERF Online: Und das vornehmlich in den Bereichen Infrastruktur, Bildung und Gesundheit?

Ekkehard Forberg: Die größten Herausforderungen bestehen im Aufbau einer lokalen Administration, in Justizbehörden und einer funktionstüchtigen Polizei - und das nicht nur in den Zentren bzw. alten Garnisonsstädten, sondern in der Fläche.

ERF Online: Es gab die Befürchtung, dass es nach dem Referendum zu erneuten gewaltsamen Auseinandersetzungen kommen wird. Wie ist die Lage momentan, fast zwei Monate nach dem Referendum?

Ekkehard Forberg: Es gibt einen Krisenherd, geschürt durch den Milizengeneral Athor. Dieser Konflikt hat durchaus das Potential, größer zu werden. Hier geht es unter anderem um eine unfair verlaufene Wahl im letzten Jahr. Der General beansprucht den Gouverneurssitz aus dieser Wahl. Hier hat es in den letzten 14 Tagen über 200 zivile Todesopfer gegeben. Wir befürchten, dass sich dieser Konflikt ausweitet. Allerdings haben die Vereinten Nationen bereits eine Vermittlungsmission begonnen, auf deren Erfolg wir hoffen.

ERF Online: Insbesondere der Norden hat einiges zu verlieren, es geht um Territorium, Öl, Zugang zu Wasser etc. Wie wahrscheinlich ist es, dass der Norden sich an die Entscheidung des Südens halten wird?

Ekkehard Forberg: Das halte ich für sehr wahrscheinlich. Präsident Omar al-Bashir hat das mehrfach betont. Zudem hat er erst kürzlich versichert, dass der Nordsudan das erste Land sein wird, welches nach der geplanten Unabhängigkeit am 9. Juli eine Botschaft im Südsudan errichten wird. Wir gehen also davon aus, dass die Unabhängigkeit des Südsudans vom Norden anerkannt wird.

Die Probleme bestehen allerdings noch in vielen offenen Fragen: Die Verteilung des Öls, die Rechte der über eine Million als Flüchtlinge lebenden Südsudanesen im Norden. Deren Staatsbürgerschaft müsste geklärt werden. Zudem ist die Grenze zwischen den beiden Staaten noch nicht markiert – und das nicht nur in den umstrittenen Gebieten. Es ist auch noch offen, wie die beiden Staaten zukünftig miteinander umgehen. Hier befürchten wir, dass beide Staaten sehr stark auf Souveränität und Abkapselung setzen. Das könnte den Prozess eines nachhaltigen Staatsaufbaus stören.

ERF Online: Ein gutes Beispiel für die notwendige Zusammenarbeit beider Staaten ist das Öl: Es gibt große Ölvorkommen im Süden, der Export läuft aber hauptsächlich über den Norden. Kann der Süden überhaupt ohne den Norden?

Infrastruktur Fehlanzeige, dennoch besteht die Chance auf Frieden im Südsudan.
Bild: world vision

Ekkehard Forberg: Eigentlich sind beide voneinander abhängig. Nur wenn beide Staaten diese Abhängigkeit verstärken, sehen wir das Potential für eine friedliche Zukunft. Wenn sich beide in Richtung Isolation orientieren, wird der Süden wirtschaftlich nicht überlebensfähig sein. Und im Norden werden sich eher antidemokratische Tendenzen verstärken. Beides wäre für die Zukunft beider Länder nicht zuträglich. Insofern hoffen wir auf eine starke Interaktion beider Staaten. Wir brauchen auch eine positive internationale Begleitung, auch finanziell. Hier ist der Westen gefordert. Er muss auch zu einer neuen, konstruktiven Strategie gegenüber dem Nord-Sudan finden. Der Westen hat sich bislang in Bezug auf den Nordsudan stark zurückgezogen.

ERF Online: Der Konflikt ist somit noch nicht ausgestanden. Welche Faktoren könnten zu einem Weg hin zu einem nachhaltigen Frieden beitragen?

Ekkehard Forberg: Die Zukunft zwischen Nord- und Südsudan liegt ganz sicher in diesem wirtschaftlichen Austausch. Man muss versuchen, eine möglichst durchlässige Grenze zu garantieren - ohne Zölle und ohne größere Kontrollen, die den Handel erschweren. Auch muss man die Bewegungsfreizügigkeit für Nord- und Südsudanesen gewährleisten. Nur durch diese wirtschaftliche Entwicklung der Gebiete, die nah an der Grenze zwischen Nord- und Südsudan liegen, können wir uns vorstellen, dass es wirklich einen dauerhaften Frieden gibt.

Natürlich bedarf es auch der Klärung der offenen Fragen, wie zum Beispiel des Öls und anderer Ressourcen. Denn gerade der Südsudan ist wesentlich auf diese Ölressourcen angewiesen. Der Nordsudan im Übrigen aber auch. Es wäre wünschenswert, dass die internationale Gemeinschaft auf beide Länder einwirkt, so dass wir zu einem konstruktiven Ergebnis kommen.

ERF Online: Ihre persönliche Einschätzung: Wie hoch ist die Chance, dass jetzt Frieden in die Region einkehrt?

Ekkehard Forberg: Diese Chance ist durchaus gegeben und die erhoffen wir uns auch. Entscheidend werden aber die nächsten sechs Monate sein und wie man in dieser Zeit in diesen Verhandlungsprozessen vorankommt.

Ein Problem sehe ich darin, dass durch das Unabhängigkeitsreferendum im Südsudan sehr hohe Erwartungen in der Bevölkerung geschürt worden sind. Diese sind kurzfristig nicht zu erfüllen. Wenn sie nicht erfüllt werden, sehe ich im Südsudan Potential für aufflackernde Kämpfe zwischen unterschiedlichen Ethnien, zwischen Landbevölkerung und viehtreibender Bevölkerung etc. Darin liegt eine große Gefahr für den Friedensprozess.

Deswegen ist der Demokratisierungsprozess im Südsudan besonders wichtig. Das Land muss durch die internationale Gemeinschaft unterstützt werden. Vor allem aber muss es Korruption bekämpfen, eine funktionsfähige Administration aufbauen und demokratische Beteiligungsprozesse sicherstellen. Wenn dies gelingt, dann bin ich sehr hoffnungsfroh für einen nachhaltigen Frieden, sowohl im Südsudan als auch im Nordsudan.

ERF Online: Herzlichen Dank!
 


World Vision Deutschland

 Joachim Bär

Joachim Bär

  |  Unit Lead erf.de / Antenne

Joachim Bär war Unit Lead von erf.de und hat die übergreifenden Themen der redaktionellen Angebote des ERF koordiniert. Er ist Theologe und Redakteur, verheiratet und hat zwei Kinder.

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