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© Ana Blazic Pavlovic / Fotolia.com

18.11.2016 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Anika Schanz

Liebe unter Druck

Was passiert mit einer Beziehung, wenn sich die Variablen verändern und die Liebe unter Druck gerät? Tipps von Autor und Paartherapeut Jörg Berger.

Es ist der 2. Oktober – unser zweiter Hochzeitstag. Der Tag fängt schon mal gut an. Ich habe in der Nacht schlecht geschlafen, weil unser kleiner Sohn sehr unruhig war. Heute ist der Tag der Heimreise, es liegen über 600 km zwischen unserem Urlaubsort und dem Zuhause. Die ersten zweihundert Kilometer sind noch in Ordnung, aber dann lässt mein Mann unbedacht den Satz fallen, wie müde er doch sei.

Das ist der Moment, wo ich innerlich explodiere. „Müde?! Du? Ich bin doch die, die nachts nicht schlafen kann! Vielleicht hast du auch schlecht geschlafen, aber wie kannst du es wagen, es mir gegenüber zu erwähnen!“ Das alles habe ich nicht laut gesagt. Natürlich nicht. Allerhöchstens habe ich eine klitzekleine spitze Bemerkung gemacht. Hätte ich mir so unseren Hochzeitstag vorgestellt? Ganz sicher nicht.

Nur ein einfacher Satz von meinem Mann und doch macht er aus der liebenden Ehefrau ein kleines wütendes Rumpelstilzchen, das sich in seiner Selbstgerechtigkeit und Empörung suhlen möchte. Dieser scharfe Umgangston kommt häufiger vor, seitdem unser Kind die Ehebühne betreten hat. Denn jetzt kommt zum normalen Alltag mit stressiger Arbeit und dem ewigen Hin und Her wegen des Haushaltes auch noch Schlaf- und Freizeitmangel dazu. Das sagt jeder schlaue Ratgeber, aber wie sollen wir damit umgehen?

Liebe = Mann + Frau + X

Gerade war man noch ein wunderbar eingespieltes Team und nun ändert sich plötzlich etwas. Bei Paaren, die Kinder bekommen, lässt sich dieser Wechsel vorher schon erahnen. Manch andere Veränderung kommt völlig unerwartet. Da bekommt die Frau plötzlich ein aussichtsreiches Stellenangebot – in einer anderen Stadt. Soll sie verzichten oder das Leben ihrer Partnerschaft komplett umkrempeln? Immerhin würde das heißen, dass der Mann sich eine neue Stelle suchen muss oder erst mal eine Weile Hausmann wird. Das sorgt für ordentlichen Zunder.

Bei unlösbaren Problemen oder aufgeschaukelten Konflikten ist es manchmal besser, die Hilfe eines Paartherapeuten in Anspruch zu nehmen. Jörg Berger ist solch ein Paartherapeut. Zu ihm kommen Paare aller Altersgruppen – mit ihren jeweils ganz eigenen Themen.

Jörg Berger ist Autor des Buches
„Stachlige Persönlichkeiten“. Er
arbeitet in Heidelberg.
(Foto: Blende 8, Friedrichsdorf)

Seiner Erfahrung nach sorgen bei jungen Paaren die jeweiligen Herkunftsfamilien für Zündstoff. Denn da ist der Ablösungsprozess noch im Gange und die Grenzen sind noch nicht klar gesteckt. „Fremdgehen und Fremdverliebtheit ist eher ein Thema der Lebensmitte, etwa Mitte 40. Da sind die aufregenden Zeiten, in denen man sich etwas aufbaut, vorbei und zur Routine geworden“, sagt Jörg Berger. Ältere Paare kommen hingegen, weil sich Enttäuschungen angesammelt und aufgestaut haben. Allein wären sie noch ertragbar gewesen, aber durch ihre Masse ziehen sie eine negative Bilanz nach sich. An dieser Stelle fragen sich unzufriedene Paare oft, ob es wirklich besser war, zusammenzubleiben.

Kind aus dem Haus – was nun?

Manche ältere Paare trifft auch die Einsamkeit nach dem Auszug der Kinder wie ein Hammerschlag. Plötzlich sind sie wieder auf sich allein zurückgeworfen und stellen fest, dass sie einander über die Jahre aus den Augen verloren haben. Jörg Berger rät in so einer Situation, sich wie ein junges Paar zu verhalten, das sich eben erst kennengelernt hat und eine Beziehung neu aufbaut. Wie es auch junge Paare oft machen, müssen diese Paare sich gegenseitig erklären, wie man tickt, warum man Dinge so empfindet und warum man so geworden ist, wie man ist.

„Das ist aber oft ein bisschen peinlich, weil man sich schon ewig kennt und denkt, man sei aufeinander eingespielt. Aber man muss sich tatsächlich noch einmal neu entdecken, neue Gemeinsamkeiten, auch neue sinnstiftende Inhalte finden“, sagt Jörg Berger. Wer den Mut zur Selbstöffnung noch einmal aufbringt, kann eine solche Situation wie den Auszug der Kinder gut gestalten.

Neuer Job, neue Rolle – harter Tobak für eine Beziehung

Schwierig wird eine Beziehung auch dann, wenn einer für den neuen Job seines Partners ein großes Opfer bringen muss. Gerade in der heutigen Zeit stehen Lebensumbrüche öfter an: Einer findet eine neue Stelle in einer anderen Stadt, der andere muss wohl oder übel mitziehen und seine alte Stelle aufgeben. Mancher wird dann sogar in die Rolle des Hausmannes oder der Hausfrau gedrängt. Damit hat der eine weniger Probleme, für den anderen ist es eine große Herausforderung. Denn er muss, so erklärt es Jörg Berger, „Sachen machen, die keine so große Anerkennung haben und nicht mit so vielen Erfolgserlebnissen einhergehen oder bei denen man sich vielleicht vom Partner nicht immer so geschätzt fühlt.“

Trotzdem sei es nicht einfach, wenn einer der beiden Partner ein solches Opfer bringt, und Jörg Berger rät: „Da muss ein Paar sehr aufpassen, weil das schnell zu einer Quelle von Unzufriedenheit führen kann. Meiner Erfahrung nach sollte so ein Opfer aufgewogen werden. Dann ist es gut, wenn die Wünsche und Vorstellungen von dem, der das Opfer gebracht hat, in der Lebensgestaltung stärker berücksichtigt werden. Zum Beispiel, wie man seine Freizeit verbringt, wie man sich einrichtet oder vor Ort sein Leben neu aufbaut. Mit der Zeit entsteht dann wieder ein gewisser Ausgleich.“

Aber selbst dieser Lösungsvorschlag kann nicht immer für den Ausgleich sorgen, der den Partner zufrieden stellt. Deshalb sollte so ein Umbruch wohl überlegt sein.

Beziehung mit Kind – gereizt durch den Alltag

Eine Psychologie-Studie hat erst im letzten Jahr bestätigt, was junge Eltern schon wissen: Ein Baby, vor allem das erste, kann die Stimmung der Eltern oft stärker belasten als ein Schicksalsschlag. Denn durch den Schlafmangel und die fehlende Entspannungszeit nimmt der Druck auf wunde Punkte zu, erklärt Jörg Berger. 

Wenn jemand aus einem Elternhaus kommt, in dem er nicht viel Fürsorge erlebt hat oder umgekehrt sehr viel Fremdbestimmung, können in dieser Situation alte Mangelerfahrungen wieder aufbrechen. Denn nun muss sich derjenige schon wieder zurückstellen und sowohl Zeit als auch Kraft für das Kind opfern. Dieser Druck auf die wunden Punkte sorgt dementsprechend für Überreaktionen und Streit. Da hilft es, wenn die Ehepaare sich offen austauschen und die Probleme konkret benennen: zum Beispiel dass man die Fremdbestimmtheit und Unfreiheit fast nicht mehr erträgt.  

Wo Verständnis herrscht, ist meistens auch ein Ausweg zu finden. Dem Partner mal zwei Stunden frei von Verantwortung zu schenken, kann für den Partner und die Situation sehr entspannend sein. Jörg Berger erklärt dazu:

Diese Empathie füreinander entschärft eine Situation, in der man so überlastet ist und unter Druck steht. Paaren, denen das gelingt, kommen gut durch diese Belastungszeit. – Jörg Berger, Paartherapeut

Dass die Menschen heute weniger beziehungsfähig wären als früher, glaubt der Paartherapeut übrigens nicht. Sicher haben Smartphones einen ganz anderen Einfluss auf das Leben zu zweit. Dafür sei die Gefahr geringer, alle Kräfte über die Jahre für einen Hausbau zu investieren, was in anderen Generationen zu einer Verschlechterung der Beziehung geführt hat. „Ich denke, es gibt in jeder Generation Themen, die die Beziehungsfähigkeit einschränken können. Aber dass sie generell abnimmt, dafür gibt es keine Hinweise.“

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