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© Marco Rohr / VMA.tv Video Media Agency Austria

13.04.2024 / Interview / Lesezeit: ~ 9 min

Autor/-in: Elisa Meyer

Vom Überleben zum wahren Leben

Rebekkah Staudinger erzählt von ihrem Leben mit Morbus Crohn und was ihr trotz allem Hoffnung gab.

Das Krankenhauszimmer war ihr vertrauter als die Kinderzimmer von Schulfreunden: Bei Rebekkah Staudinger wird mit sieben Jahren eine schwere Form von Morbus Crohn diagnostiziert, eine chronisch entzündliche Autoimmunerkrankung des Verdauungstraktes. Sie leidet unter Toilettendrängen, hat starke Bauchschmerzen und wenig Kraft. Die Krankheit gilt als unheilbar und so versuchen die Ärzte ihre Leiden durch rigorose Ernährungspläne und Operationen zu therapieren. Stattdessen verschlimmern sich die Symptome.

Doch als es keine weiteren Therapiemöglichkeiten gibt, sprechen die Ärzte mit Rebekkah Staudinger über eine neue Option: Durch eine Stammzellentransplantation könnte sie geheilt werden. Allerdings ist diese Behandlung auch sehr risikoreich und sie könnte an den Folgen sterben. Rebekkah Staudinger entscheidet sich für den Schritt und zunächst ist die Transplantation auch erfolgreich. Doch dann kommt es zu Komplikationen, sodass sie notoperiert werden muss und schließlich ins künstliche Koma versetzt wird. Nach drei Wochen erwacht sie wieder. Doch der Weg zurück ins Leben ist hart: Rebekkah hat eine Zeit lang Augenprobleme, hat Albträume, Halluzinationen und Ängste. Sie kämpft darum, aus dem Überlebensmodus endlich in ein erfülltes Leben zu finden.

Rebekkah Staudinger ist bereits als Kind an einer schweren Form von Morbus Crohn erkrankt. Inzwischen ist ihre Krankheit als „Crohn’s like disease“ eingestuft, weil sie außergewöhnlich schwer war. Ihre Lebensgeschichte erzählt sie in ihrem Buch „Ruhe in Frieden, bevor du stirbst“.

Inzwischen geht es Rebekkah Staudinger gut. Sie lebt mit einem Ileostoma, einem künstlichen Darmausgang, und braucht keine Therapien mehr. Sie arbeitet als Psychologin, ist als Sprecherin und Predigerin unterwegs und hat ihr erstes Lied „Homesick“ veröffentlicht. Das ist nicht nur für die Ärzte ein Wunder.

Von ihrem Leben mit der Krankheit und wie der Glaube sie durch die schweren Zeiten und Kämpfe hindurchgetragen hat, davon berichtet Rebekkah Staudinger im Interview.

Eine ganz andere Kindheit

ERF: Hat die Krankheit dein Bild von dir selbst negativ beeinflusst?

Rebekkah Staudinger: Meine Kindheit war ganz anders als bei anderen, da ich recht früh erkrankt bin und sie sehr untypisch verlief. Schon mit sieben Jahren hatte ich starke Schmerzen, Probleme auf die Toilette zu gehen und mit zwölf hatte ich das erste Mal ein Stoma, einen künstlichen Darmausgang.

Aber ich würde sagen, dass das gar nicht so viel mit meinem Selbstbild gemacht hat, weil meine Eltern mir nie das Gefühl gegeben haben, dass die Krankheit definiert, wer ich bin. Die Krankheit wurde nie zu einem Teil meiner Identität, sondern war wie ein lästiger Untermieter, den wir loswerden wollten. In mir hat sich auch immer etwas gesträubt, wenn Menschen gesagt haben, die Krankheit sei ein Teil von mir. Ich habe das nie so gesehen, obwohl die Krankheit viel Raum eingenommen hatte. Erst später als ich gesund war und ich mich nochmal mit einigen Fragen des Lebens beschäftigt habe, habe ich mich gefragt: Wer bin ich jetzt nach diesem gewonnenen Kampf?

Die Krankheit wurde nie zu einem Teil meiner Identität, sondern war wie ein lästiger Untermieter, den wir loswerden wollten.

ERF: Durch deine Krankheit hattest du eine ganz andere Kindheit und Jugend gehabt als andere. Hast du dich mit Gleichaltrigen verglichen?

Rebekkah Staudinger: Ich glaube, ich habe mich vor allem mit Gleichaltrigen verglichen, wenn es um mein Aussehen ging, weil ich durch die Krankheit jahrelang stark untergewichtig war. In meinen Teenie-Jahren habe ich immer wieder Kommentare von Jungs gehört wie: „Hey, du bist echt ganz hübsch, aber wenn du ein bisschen mehr auf den Rippen hättest, würde ich dich vielleicht daten.“ Auch Freundinnen, die mich lange kannten, haben angefangen sich zu vergleichen. Sie haben auch mal so etwas gesagt, wie „Ich wünschte, ich hätte das, was du hast, dann wäre ich vielleicht ein bisschen dünner.“ Durch solche Kommentare habe ich mich unverstanden gefühlt.

Mir war aber auch bewusst, dass Gleichaltrige es nicht besser wussten. Sie hatten nicht so viel Wissen über die Krankheit und meine Situation, weil ihr Leben ganz anders aussah. Ich hatte einerseits die Krankheit, glaubte aber auch an Jesus. Unsere Leben glichen eher Parallelwelten.


ERF: Wie bist du damit umgegangen, als sich deine Hoffnungen in die Therapien nicht erfüllt haben?

Rebekkah Staudinger: Das Thema Hoffnung hat mich recht früh beschäftigt. Mit jedem neuen Jahr bekam ich eine neue Therapie. Anfangs haben die Therapien ganz gut gewirkt, im Laufe der Zeit dann aber gar nicht mehr und zum Ende wurde es sogar viel schlimmer als am Anfang. Ich habe recht schnell festgestellt: Je größer meine Hoffnung gewesen war, desto größer war hinterher immer meine Enttäuschung. Und je öfter meine Hoffnung durch Erfahrungen enttäuscht wurde, desto weniger Hoffnung hatte ich letztendlich. Ich musste mich entscheiden, wie ich damit umgehe: Entweder gebe ich die Hoffnung komplett auf und habe gar keine Erwartungen mehr an die Therapien, dann bin ich am Ende auch nicht enttäuscht. Oder ich halte weiterhin an der Hoffnung fest, muss aber auf etwas anderes hoffen.

In dieser Zeit hat Gott mir gezeigt, dass ich meine Hoffnung nicht auf irgendetwas Irdisches setzen konnte. Ich durfte lernen, dass Jesus wirklich die lebendige Hoffnung ist, wie es in 1. Petrus 1,3-7 heißt. Er ist der Einzige, der beständig bleibt und Hoffnung geben kann, egal wie hoffnungslos die Situation gerade auch ist.

Ich habe gelernt, dass Jesus wirklich die lebendige Hoffnung ist.

Angst vor der Wut

ERF: Du musstest viel Schweres ertragen. Hast du Phasen gehabt, in denen du mit Gott gehadert oder ihm Vorwürfe gemacht hast?

Rebekkah Staudinger: Ich weiß noch, dass ich als Kind oft auf Gott als Heiler fokussiert war. Dadurch, dass ich krank war, war das Thema Heilung natürlich sehr präsent für mich. Mich haben oft Bibelgeschichten angesprochen, in der eine Person zum Beispiel nach sieben Jahren geheilt worden ist. Ich war seit sechs Jahren krank und dachte, im nächsten Jahr wird Gott bestimmt auch mich heilen. Als aber das siebte Jahr ohne Besserung vorbeigegangen war, wusste ich, okay, so funktioniert das irgendwie nicht. In meinen jungen Jahren habe ich nach Formeln gesucht und versucht, Gottes Handeln irgendwie zu greifen. Und wenn es dann anders kam als gedacht, hatte ich Schwierigkeiten, das einzuordnen.

Meine Eltern haben mir dabei sehr geholfen, meinen Glauben nicht zu verlieren und gleichzeitig aber auch Gott gegenüber ganz ehrlich mit meinen Emotionen zu sein. Ich habe angefangen, Tagebuch zu schreiben und Briefe an Gott zu formulieren, um das zu verarbeiten, was in mir war. Trotzdem hatte ich manchmal ziemlich viel Angst davor, Gott gegenüber wütend zu sein, weil ich wusste, dass er der Einzige ist, der wirklich beständig bleibt. Weil ich so viel Enttäuschung und Unverständnis durch Gleichaltrige erlebt hatte, war Jesus mein „Safe Place“ geworden, mein geschützter Ort.

Nach dem künstlichen Koma war ich an einem Punkt, wo die Fragen an Gott über das, was passiert war und wie es weitergehen sollte, so groß waren, dass ich sie nicht mehr verdrängen konnte. So habe ich Gott zum ersten Mal viel tiefer als zuvor als liebevollen Papa kennengelernt, der meine Angst vor diesen Fragen kennt, aber selbst keine Angst davor hat und mich einlädt, ihm diese Fragen zu stellen. Dadurch hat meine Beziehung mit Gott an Tiefe gewonnen.


ERF: Durch die Operationen und vor allem nach dem Koma warst du immer wieder auf Hilfe von Familie, Ärzten und Pflegekräften angewiesen. Wie ging es dir damit?

Rebekkah Staudinger: Ich habe es – ganz ehrlich – total gehasst. Anfangs war es so, so schwer für mich Hilfe von anderen anzunehmen. Früher habe ich gedacht: „Ich will eine unabhängige Frau sein, die fest im Leben steht und niemanden braucht.“ Als ich gepflegt wurde, habe ich mich sehr geschämt, denn ich hatte bereits durch die Krankheit die Kontrolle über meinen Körper verloren. Da wollte ich nicht noch mehr Kontrolle verlieren. Doch nach dem künstlichen Koma habe ich zum Beispiel Windeln gebraucht. Ich weiß noch, wie hilflos ich mich in dieser Situation gefühlt habe. Als die Windel voll war, dachte ich: „Meine Güte, was mach ich jetzt?“ Ich hatte aber einen richtig coolen Pfleger, der mir mit Humor begegnet ist, sodass in die Situation eine Leichtigkeit reinkam.

In dem Film „Tuesdays with Morrie“, also „Dienstags bei Morrie“, spricht die Hauptfigur Morrie darüber, dass wir als Kinder total abhängig auf die Welt kommen und dass wir als alte Menschen auch wieder abhängig von anderen sind. Zwischendrin versuchen wir, so gut es geht, unabhängig zu sein. Aber ich glaube, dass Gott uns nicht so geschaffen hat und dass es ein Wunschgedanke ist, immer völlig unabhängig voneinander zu sein. Denn dort, wo zum Beispiel zwei Menschen gemeinsam an einem Projekt arbeiten, sind sie doch bis zu einem gewissen Grad voneinander abhängig. Ich glaube, dass da sehr viel Schönheit in Gemeinschaft und Beziehung liegt. Ich durfte lernen, nach Hilfe zu fragen und Hilfe anzunehmen. Und bin dankbar, dass ich abhängig von Gott sein darf.

Ohne Sicht keine Perspektive

ERF: Nach dem Koma war dein Sehvermögen eine Zeit lang stark eingeschränkt. Welche Sicht hattest du in dieser Situation im übertragenen Sinne auf dein Leben?

Rebekkah Staudinger: Nach dem künstlichen Koma hatte ich unterschiedliche große Blutgerinnsel mittig auf der Netzhaut in dem Bereich, der für das Fokussieren zuständig ist. Dadurch konnte ich nicht scharf sehen. Sobald Leute nähergekommen sind, waren die Gesichter verschwommen. Ich konnte keine Bücher lesen oder Nachrichten auf meinem Handy tippen, weil ich auf dem Display nichts erkennen konnte. Am Anfang hat mir das Angst gemacht, weil ich nicht wusste, ob diese Sehschwäche für immer bleibt. Das ist noch mal eine Story für sich, die man in meinem Buch nachlesen kann.

Zeitgleich hatte ich auch Schwierigkeiten damit, eine Vision für mein Leben zu bekommen. Mir sind diese Parallelen zwischen physischem Augenleiden und der Vision für mein Leben aufgefallen, die ich davor nicht so gesehen habe. Und mir ist aufgefallen, dass es in der Bibel im Buch der Sprüche heißt: „Wenn keine prophetische Offenbarung da ist, wird das Volk zügellos“ (Sprüche 29,18). Ich habe gemerkt, dass das wahr ist. Nach dem künstlichen Koma hatte ich meine innere Vision verloren und habe mich dadurch auch in meinem Leben verloren gefühlt. Die Vision für mein Leben musste Gott mir erst wieder geben.


ERF: Wie hat er das gemacht?

Rebekkah Staudinger: Ich konnte physisch nichts fokussieren, aber durfte meinen Fokus auf Jesus legen. Er erinnerte mich daran, wer er ist, was er in meinem Leben schon getan hatte und an Träume, die ich als Kind hatte. Gott hat mich auch immer wieder durch Menschen oder durch Gedanken in verschiedenen Momenten daran erinnert, dass mein Leben noch nicht vorbei ist. Und wenn es noch nicht vorbei ist, wusste ich, er hatte noch Pläne für mich. Ich durfte mich auf Ihn und seine Pläne verlassen und es war okay, dass ich sie vielleicht gerade noch nicht sehen und erkennen konnte, denn ich wusste, er sieht und kennt mich. So habe ich Stück für Stück, über Monate hinweg, meine Lebensvision zurückbekommen.


ERF: Wie beschreibst du heute die Vision für dein Leben?

Rebekka Staudinger: Meine Vision ist es, Himmel auf Erden und Menschen zu Jesus zu bringen. Ich glaube, Jesus und seine Gegenwart sind das größte Geschenk, das wir empfangen können und ich sehne mich danach, dass Menschen weltweit Jesus erleben und erkennen, wer er ist. Ich möchte aus der Intimität mit Jesus und der Einheit mit dem Heiligen Geist heraus andere Menschen in eine intime, persönliche und lebendige Beziehung mit Jesus führen.

Dafür möchte ich Gottes Wort predigen, Menschen dort begegnen, wo sie sind, die frohe Botschaft verkünden und dem Heiligen Geist Raum geben, das zu tun, was nur er tun kann. Ich möchte Generationen jeden Alters ermutigen, alles hinter sich zu lassen und Jesus nachzufolgen. Denn ich glaube, Jesus will sich offenbaren, gekannt und geliebt sein und Menschen auch an Körper, Seele und Geist heilen und befreien.


ERF: Vielen Dank für das Gespräch!
 

 Elisa Meyer

Elisa Meyer

  |  Volontärin

Sie ist kreativ und erzählt gerne davon, wo Gottes Wirken im Leben von Menschen sichtbar wird. Sie liebt es, in der Natur zu sein und hat ein Faible für kleine Dinge.

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