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© Elijah o Donnell / unsplash.com

24.10.2018 / Porträt / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Christine Keller

„Allen geht es besser, wenn ich tot bin“

Gabriela With will sich das Leben nehmen – doch dann erhält sie einen göttlichen Auftrag.

Sie liegt schon am Boden. Aber er tritt weiter, er tritt zu, immer und immer wieder. Dabei beschimpft er sie mit dem Namen seiner Ex-Frau. Und Gabriela With, zusammengekrümmt am Boden liegend, denkt: „Ich bin es noch nicht einmal wert, dass er mich mit meinem Namen anspricht. Ich bin noch nicht mal meines Namens wert.“ In diesem Moment entscheidet sie, sich das Leben nehmen zu wollen. Denn allen würde es besser gehen, wenn es sie nicht mehr gibt.

Jeder Tag eine Qual

Gabriela With wächst bei Adoptiveltern auf. Sie erlebt dort Gewalt, wird missbraucht und immer wieder in dem dunklen Keller eingesperrt. In der Schule kommt sie nicht gut mit, sie lernt nicht Lesen und Schreiben. Ihre Adoptivmutter will es ihr beibringen. Als sie aber merkt, dass sie bei Gabriela keinen Durchbruch erzielt, haut sie ihr das Lesebuch auf den Kopf und sagt: „Du bist zu doof dafür.“ Doch Gabriela lernt die Bilder von Wörtern auswendig und macht so ihren Schulabschluss.

Dann will sie einfach nur weg von Zuhause, weg von dem Ort der Gewalt und Ablehnung. Gabriela heiratet, doch ihre erste Ehe scheitert. Sie leidet unter Depressionen, Panikattacken und Schwindelgefühlen. Es fühlt sich für sie an, als würde der Boden unter ihren Füßen ständig beben. Sie hat Angst davor, ins Auto zu steigen. Sie hat Angst davor, einkaufen zu gehen. „Ich habe geglaubt, dass ich immer im Weg bin und alle Menschen störe“, beschreibt sie im Nachhinein. Jeder Tag ist für sie eine Qual. Dann lernt sie ihren zweiten Ehemann kennen. Und der macht ihr das Leben zur Hölle.

Ich habe geglaubt, dass ich immer im Weg bin und alle Menschen störe. – Gabriela With

Auf spiritueller Suche

Also sitzt Gabriela With mit einem Messer in der Hand in der Küche. Sie will es durchziehen, sie will nicht mehr leben. Ganz plötzlich kommt ihr der Gedanke „Bete“. Und sie fragt sich: „Wie denn?“ Sie weiß wenig über den Glauben, über Gott. Sie sagt: „Gott, wenn es dich wirklich gibt, dann hilf mir jetzt!“ Etwas Unerklärliches passiert. Als ob jemand eingreift und sie dazu bringt, das Messer wegzuschmeißen. Sie wirft das Messer im hohen Bogen weg, sodass es hinter einem Küchenschrank landet und sie nicht mehr drankommt. Was war das? Gabriela kann es sich nicht erklären. „Ich bin sogar zu doof, um mich umzubringen“, denkt sie.

Dann nimmt ihr Leben eine Wendung: Gabriela bekommt einen neuen Job. Sie hat eine Arbeitskollegin, der sie sich anvertraut. Ihre Kollegin ist mit einem Alkoholiker verheiratet und so kommen die beiden ins Gespräch. „Wie hältst du es mit deinem Mann aus?“, fragt Gabriela. Denn ihre Kollegin scheint überhaupt nicht wie sie deprimiert zu sein, sie strahlt stattdessen Lebensfreude aus. Die Kollegin erzählt ihr, sie sei Christin und ihr Glaube gebe ihr Kraft. Sie gibt Gabriela Kassetten mit Predigten. Gabriela ist abweisend. „Ich wollte davon nichts hören“, sagt sie.

Eine spirituelle Ader hat sie aber schon: Sie probiert Pendeln aus, Gläserrücken, Reiki. Ihre Kollegin bleibt hartnäckig und erzählt immer wieder von Jesus. Als die Gewalt durch ihren Ehemann an einem Abend wieder eskaliert, zieht sich Gabriela zurück und will ein vorformuliertes Gebet an Gott sprechen.

Ein Auftrag von ganz oben

Gabriela fängt an: „Gott, ich will…“ Doch dann wird sie unterbrochen. „Geh und predige mein Wort.“ Was war das? Hört sie jetzt auch noch Stimmen? Muss sie sich in eine psychiatrische Anstalt einweisen lassen? Sie probiert es noch einmal. „Gott, ich will…“ und wieder: „Geh und predige mein Wort.“ Gabriela stutzt. Sie probiert es noch einmal, dann dreht sie den Spieß um. „Gott, darf ich dein Wort predigen?“, fragt sie. Daraufhin spürt sie einen Frieden, den sie noch nie erlebt hat. Sie ist sich sicher, dass Gott sie angenommen hat.

Und das ändert ihr Leben: Sie und ihr Mann trennen sich und Gabriela nimmt mehrere Jahre Seelsorge in Anspruch.  „Ich musste vielen Menschen vergeben, aber auch ich musste um Vergebung bitten“, sagt sie. Es ist ein langer, schwerer und guter Prozess. In dieser Zeit reift ein Wunsch in ihr heran: Sie will raus in die Welt und den Menschen von Gott erzählen. So kommt es, dass sie später in Europa und Afrika unterwegs ist, für missionarische Werke arbeitet und davon berichtet, wie Gott ihr Leben verändert hat.

Die Frau, die früher das Haus nie verlassen wollte, ist in den letzten sieben Jahren so oft umgezogen, dass sie fast nicht mehr mitzählen kann. Gabriela With hält immer die Augen offen, wo Gott sie als Nächstes hinschicken möchte. Wenn sie auf ihren Lebenswandel zurückschaut, fällt ihr nur ein Wort ein: „Fantastisch.“ Sie strahlt. „Das kann kein Mensch machen, das kann nur Gott.“ Und wenn die Angst von früher oder die Gefühle der Minderwertigkeit doch noch einmal anklopfen? „Dann bete ich“, sagt Gabriela With. Denn Gott hat ihr den höchsten Wert gegeben – als sein Kind.
 

 Christine Keller

Christine Keller

  |  Redakteurin

Hat in der Redaktion von ERF Jess gearbeitet. Ist ansonsten als freie Journalistin auch online und hinter der Kamera unterwegs. Sie hat Hummeln im Hintern, was aber nicht weh tut. Sie liebt es, To-Do-Listen zu schreiben und abzuhaken. Wenn‘s doch mal entspannt sein soll, nimmt sie gern ein gutes Buch zur Hand.

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Kommentare (1)

Stephan S. /

Das ist eine sehr gute und lebensnahe Geschichte. Ich hatte auch schon einmal Selbstmordgedanken und fühlte dabei wie Gabriela."Ich bin allen anderen Menschen unterlegen", wollte raus aus dieser mehr

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