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© Pablo Varela / unsplash.com

14.09.2024 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

Trauma, was nun?

Ein Trauma zu erkennen und zu heilen, ist schwierig. Erste Tipps und Hilfestellungen für Betroffene.

„So etwas wollte ich nie wieder erleben!“ Wenn dieser Gedanke mit einer heftigen Gefühlsregung in mir aufkommt, weiß ich: Jetzt ist Obacht geboten. Meist erinnert mich dann eine Situation so stark an ein früheres negatives Ereignis, dass mein erster Reflex Kampf oder Flucht ist. Vielleicht kennst du solche Situationen auch.

Dass wir Momente erlebt haben, die wir in unserer Alltagssprache als traumatisch bezeichnen und nicht vollständig verarbeitet haben, kennen wir vermutlich alle. Doch wo liegen die Unterschiede zwischen einem schlimmen Erlebnis und einem wirklichen Trauma? Ein Trauma bezeichnet zunächst einmal eine Verletzung. So sprechen Mediziner bei einem Sturz auf den Kopf etwa von einem Schädelhirntrauma.

In der Psychologie gilt zudem eine unverarbeitete psychische Verletzung als Trauma. Priska Lachmann erklärt das in ihrem Buch „Wie dein inneres Kind Heilung bei Gott findet“ folgendermaßen: „Das Trauma liegt nicht im Ereignis, sondern in der nicht gelingenden Verarbeitung.“

Das bedeutet: Von außen ist ein Trauma nicht unbedingt sichtbar. Dieselbe Erfahrung kann für eine Person gut zu bewältigen sein, für eine andere jedoch nicht.

Die Stärke einer Traumatisierung hängt also nicht von dem ab, was eine Person erlebt hat, sondern wie stark die Person mit der belastenden Situation überfordert war. Das ist von Mensch zu Mensch verschieden.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist: Ein nicht verarbeitetes Trauma unterscheidet sich von anderen seelischen Verletzungen durch seine Behandlungsbedürftigkeit. Wenn ich ein Trauma erlebt habe, schränkt mich dies in der Gegenwart deutlich wahrnehmbar ein.

3 Arten von Traumata

Trauma ist nicht gleich Trauma. Nicht nur können verschiedenste Situationen Traumata auslösen, es gibt auch verschiedene Arten von Traumata. Priska Lachmann nennt in ihrem Buch drei verschiedene Formen, wie Traumata entstehen können:

1. Schocktrauma

Das Trauma, was im Volksmund am bekanntesten ist, ist das Schocktrauma. Hier bezieht sich das Trauma auf ein bestimmtes Ereignis im Leben des Betroffenen. Oft hat der Betroffene alles, was in dieser Situation passiert ist, haargenau im Gehirn abgespeichert. Dies umfasst Geräusche, Gerüche, konkrete Orte und Gegenstände sowie vieles mehr.

Da dies im Unterbewusstsein passiert, treten selbst bei Betroffenen, die das belastende Ereignis verdrängt haben und sich aktiv nicht mehr daran erinnern können, oft sogenannte Flashbacks auf. Eine Aufarbeitung solcher Traumata ist schwieriger, da in der Therapie zunächst das traumatische Ereignis rekonstruiert werden muss.

Nach dem traumatischen Ereignis leiden Betroffene an körperlichen und psychischen Stresssymptomen. Wenn diese anhaltend sind, also noch lange nach dem traumatischen Erlebnis bestehen oder sich vielleicht sogar erst viel später manifestieren, spricht man von einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Diese Traumata werden oft noch Jahrzehnte später durch ähnliche Situationen getriggert.

So kann etwa die spontane Erkrankung eines geliebten Menschen ein Schocktrauma erneut triggern, was bei einem Kind durch den plötzlichen Tod einer wichtigen Bezugsperson entstanden ist.

2. Bindungstrauma

Ein sogenanntes Bindungs- oder Entwicklungstrauma entsteht, wenn es in frühester Kindheit zu Bindungsstörungen zu einer engen Bezugsperson kommt. Dies kann der Fall sein, wenn das Kind plötzlich von der Bezugsperson getrennt wird, etwa weil nach der Geburt Kind oder Mutter stark erkranken. Auch Erfahrungen von Gewalt im Kleinkindalter oder der frühe Verlust eines Elternteils können ein Bindungstrauma auslösen.

Menschen mit Bindungstrauma wiederholen dieses oft auch noch als Erwachsene in ihren Beziehungen.

Jedoch können Bindungstraumata auch bereits in der Kindheitsphase wieder heilen. Dies passiert dann, wenn die Bindung zu denselben oder anderen Bezugspersonen nach dem traumatischen Erlebnis wieder gut ist. Dann erlebt das Kind, dass es sicher bei den Bezugspersonen ist. Dadurch rückt die traumatische Erfahrung oftmals in den Hintergrund.

Mehr zum Thema Bindungsstile erfährst du in unserem Artikel „Gepäck aus der Kindheit“.

3. Transgenerationales Trauma

Bei einem transgenerationalen Trauma liegt das Trauma nicht in der eigenen Geschichte, sondern in der Familiengeschichte. Transgenerationale Traumata werden nämlich über Generationen weitergegeben. Dies passiert dadurch, dass wir als Kinder und Enkel unseren Eltern oder Großeltern abspüren können, was sie an Schwerem erlebt haben.

Wir haben zwar nicht ihr Trauma durchlebt, vielleicht wissen wir nicht einmal davon. Aber wir erspüren aufgrund unserer Fähigkeit zur Empathie die Traumata in unseren Familienmitgliedern. Auch ist es so, dass traumatisierte Eltern sich ihren Kindern gegenüber an einigen Stellen anders verhalten als nicht-traumatisierte Eltern. Vielleicht schaffen sie es nicht, angemessen mit ihren Gefühlen umzugehen, oder tun sich schwer, dem Kind Sicherheit zu geben.

All dies sorgt dafür, dass auch wir als Kinder- oder Enkelkindergeneration zum Teil Symptome damaliger Kriegstraumata mit uns herumtragen.

Um diese Form des Traumas zu lösen, ist es wichtig, sich den Gefühlen zu stellen, die unsere Eltern oder Großeltern durchleben mussten.

Transgenerationale Traumata sind ein komplexes Thema und gegenüber dem Schock- und Bindungstrauma noch wenig erforscht. Anzeichen für ein transgenerationales Trauma können laut Priska Lachmann folgende sein (ausführlicher in Priska Lachmann: Wie dein inneres Kind Heilung bei Gott findet, S. 79-89):

  • eine große innere Leere, die du dir nicht erklären kannst
  • diffuse Ängste, die dich plötzlich packen und keinen oder wenig Bezug zur Realität haben
  • die Unfähigkeit, dich sexuell hinzugeben (ausgelöst durch das vorsichtige Verhalten gegenüber Männern, das dir eine traumatisierte Bezugsperson vorgelebt hat)
  • Gewalterfahrungen im eigenen Elternhaus

Woran du ein Trauma erkennst

Als Betroffener ist es nicht immer leicht, eine leichtere psychische Verletzung von einem Trauma zu unterscheiden. Lachmann nennt in ihrem Buch einige wichtige Merkmale, die auf das Vorliegen eines oder mehrerer Traumata hindeuten:

Schockstarre

Du erlebst immer wieder Momente, in denen du innerlich erstarrst und quasi handlungsunfähig bist. Außerdem passiert es dir, dass du in belastenden Situationen plötzlich gar nichts mehr fühlst und auch nicht mehr denken kannst. Wenn dem so ist, ist dies ein Anzeichen für eine Traumatisierung.

Plötzliche körperliche Symptome

In bestimmten Situationen entwickelst du auf einmal starke körperliche Symptome wie Kopfschmerzen, Zittern, Übelkeit oder Bauchkrämpfe. Die Symptome sind wiederkehrend und du kannst du sie gegebenenfalls sogar spezifischen Auslösern zuordnen. Falls du mit deinen Beschwerden bei einem Arzt warst, konnte körperlich keine Ursache gefunden werden.

Auch dies kann ein Anzeichen für ein Trauma sein. Allerdings kommen solche Symptome oft auch bei einer Panikstörung vor. Es sollte hier also von einem Psychologen unterschieden werden, worum es sich handelt. Auch Kombinationen aus Trauma und Panikstörung sind möglich.

Starke Reaktion auf Trigger

Im Alltag triggern dich immer wieder unerwartet bestimmte Situationen. Wenn dies passiert, fällt deine Reaktion darauf unverhältnismäßig heftig aus. Du reagierst etwa mit Aggression, einer Panikattacke oder einem Heulkrampf auf eine Situation, die sich auch auf anderem Wege hätte lösen lassen und für Außenstehende nicht weiter tragisch war. Auch dies kann ein starkes Anzeichen für ein Trauma sein.

Häufigkeit und Einschränkung im Alltag

Diesen vierten Punkt möchte ich zu Priska Lachmanns Aufzählung hinzufügen, weil ich ihn extrem wichtig finde. Denn vermutlich erleben wir alle mal starke Triggersituationen oder reagieren auf Stress mit körperlichen Symptomen.

Der Unterschied zwischen einem gesunden und einem traumatisierten Menschen ist, dass der traumatisierte solche Situationen regelmäßig erlebt und nicht fähig ist, aus sich selbst heraus einen anderen Umgang mit diesen Situationen zu erlernen.

Oder er hat so eine große Angst vor möglichen Triggern, dass er sich immer mehr zurückzieht und zunehmend bestimmte Alltagssituationen vermeidet.

Dadurch entsteht ein großer Leidensdruck und eine starke Einschränkung im Alltag. Eventuell wird der Betroffene aufgrund seines aggressiven Verhaltens gemieden oder tut sich schwer, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen. Wenn dies der Fall ist, sollte ein Psychologe oder Traumatherapeut zurate gezogen werden.
 

Dieser kleine Selbstcheck kann dir nur eine grobe Einordnung geben, ob du eventuell an einem Trauma leidest. Wenn du nach diesen Punkten oder im weiteren Verlauf dieses Artikels vermutest, dass dies der Fall ist, solltest du Rat bei einem Traumatherapeuten suchen. Denn nur ein Fachexperte kann entscheiden, ob ein behandlungsbedürftiges Trauma vorliegt und wie eine weitere Therapie aussehen kann.

Unter diesem Artikel findest du einige Links mit möglichen Anlaufstellen.

5 Phasen der Traumabewältigung

Wenn du erkannt hast, dass du möglicherweise unter einem Trauma leidest, können dir die folgenden fünf Phasen bei der Traumabewältigung helfen (vgl. Priska Lachmann: Wie dein inneres Kind Heimat bei Gott findet“, S. 173):

1. Sicherheit schaffen

Um dich einem Trauma zu stellen, brauchst du eine gewisse Stabilität in deinem Leben. Wenn du also erkennst, dass du unter einem Trauma leiden könntest, achte gut auf deine Grundbedürfnisse und stelle eine gewisse Stabilität in deinem Leben her, mit der du dich sicher fühlst. Dann erst gehe dein Trauma an.

2. Sich erinnern

Um ein Trauma zu überwinden, ist es meist wichtig, sich an das Erlebte zu erinnern und es bewusst zu betrauern. Dies tust du am besten zusammen mit einem Traumatherapeuten oder einer Psychologin. Denn nur ein fachlich ausgebildeter Berater kann dich gut durch diesen schmerzhaften Prozess begleiten.

3. Verbindungen aufbauen

Nach einem Trauma passiert es häufig, dass wir uns von anderen Menschen zurückziehen. Eventuell haben wir Angst davor, erneut verletzt zu werden, falls andere Personen mit für das traumatische Erlebnis verantwortlich waren. Ein wichtiger Heilungsschritt ist aber, nicht nur mit dir selbst neu in Verbindung zu gehen, sondern dich auch für andere Menschen wieder zu öffnen.

4. Schmerz integrieren

Du kannst dein Trauma nicht ungeschehen machen, und auch der Schmerz über das Erlebte wird immer ein Teil von dir bleiben. Daher nimm diesen Schmerz als Teil deiner Geschichte an und integriere ihn in dein Leben. Du solltest ihn weder erneut verdrängen, noch sollte er dauerhaft präsent auf einem Podest in deinem Lebenshaus stehen.

5. Vom Trauma verabschieden

Richte den Blick wieder nach vorne. Dein Trauma muss und sollte nicht dein Leben bestimmen. Schau in die Zukunft! Was möchtest du jetzt erreichen? Welche Richtung willst du deinem Leben nach der Bewältigung deines Traumas geben?
 

Hat dieser Artikel in dir Fragen aufgeworfen? Dann freuen wir uns über deinen Kommentar zum Thema – öffentlich oder privat.

Vielleicht möchtest du auch noch mehr dazu erfahren, wie Kindheitserfahrungen dich prägen können. Dann legen wir dir unsere Themenreihe zum inneren Kind ans Herz:

Warum reagiere ich so?

Gepäck aus der Kindheit

Lass dich umarmen von Gott!

Entdecke dein Sonnenkind!
 

Eventuell merkst du aber auch, dass in dir Erfahrungen hochgekommen sind, die du nicht allein verarbeiten möchtest. Als ERF bieten wir keine seelsorgerliche oder psychologische Beratung an. Doch du findest auf folgenden Seiten weitere hilfreiche Informationen:

Institut christlich orientierte Traumabegleitung

Christliche Traumaberatung der Psychotherapie- und Beratungspraxis „Liebe.Leben.Lernen.“

Christlich orientierte Traumabegleitung Heike und Andreas Timmler

Christliches Traumazentrum Wunderhaus Gottes

Klinik Hohe Mark

Biblisch-therapeutische Seelsorge

Angebote der Bildungsinitiative Seelsorge und Christliche Lebensberatung

Institut für Christliche Lebens- und Eheberatung
 

Autor/-in

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Rebecca Schneebeli ist Literaturwissenschaftlerin und arbeitet nebenberuflich als freie Lektorin und Autorin. Die Arbeit mit Büchern ist auch im ERF ihr Steckenpferd. Ihr Interesse gilt hier vor allem dem Bereich Lebenshilfe, Persönlichkeitsentwicklung und Beziehungspflege. Mit Artikeln zu relevanten Lebensthemen möchte sie Menschen ermutigen.

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