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© Sophie Kubisch

29.01.2014 / Reportage / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Nelli Bangert

Menschen sind ihr nicht egal

Warum eine 74-Jährige das Café „Innehalt“ am Berliner Hauptbahnhof gegründet hat.

„Berlin verschlingt einen“, sagt die Schwester Inge Kimmerle, während ihr Blick durch das Fenster in die Ferne schweift. „Die Stadt ist außerordentlich hektisch, sehr betriebsam und kaputt.“ In der Stimme der 74–jährigen Diakonisse schwingt Mitgefühl und ein Anflug von Besorgnis. Es wirkt, als liefe vor ihrem inneren Auge gerade ein Film ab mit den vielen Gesichtern der Menschen, die sie in Berlin kennengelernt hat. Menschen, deren Situation ihr Herz berührt hat und denen sie unbedingt helfen will.

Café für jedermann

Das war der Grund dafür, dass sie vor drei Jahren aus Freiburg nach Berlin gezogen ist und für die Berliner Stadtmission das Café und Lädchen „innehalt“ gegründet hat, Lehrter Straße 68, nur wenige Meter neben dem Hauptbahnhof. Ein Ort, wo der Einzelne in der Menge übersehen und kaum wahrgenommen wird. Das Café will das Gegenteil bewirken. Es möchte einen Raum schaffen, in dem jeder Gast wertgeschätzt und willkommen ist. Bei einem guten Kaffee oder Tee soll er erzählen können. Über das Leben, Ängste und Schwierigkeiten. Aber auch Fragen stellen: Wo ist Gott? Wo ist er im Leid? Was hat Gott mit mir zu tun?

Das Café innehalt ist eine kleine Welt für sich. Der Raum wirkt ein wenig zusammengepuzzelt, trotzdem nett und gemütlich. Auf dem petrolblauen Teppichboden stehen vier Tische. Auf jedem eine orangefarbene Gerbera. Ein großes Bücherregal und ein Zeitungsständer bieten eine umfangreiche Auswahl an Lesestoff an. Mit der großen antiken weißen Waage vor dem Bücherregal werden die Bücher gewogen. Ein Kilo Bücher kostet 2 Euro. Was man also im Café nicht gelesen bekommt, kann man erschwinglich erwerben. Die Botschaft wird mit der großen Auswahl an Büchern, Zeitungen und Zeitschriften deutlich: Halte inne. Verweile. Komm zur Ruhe.

Entspannt setzen wir beide uns in dem gut gefüllten kleinen Café an einem Holztisch gegenüber. Eine der Mitarbeiterinnen des Cafés hat Schwester Inge Kimmerle ein Glas mit Zitronenlimonade hingestellt und ich freue mich über meinen Latte Macchiato. Die aktive aufgeschlossene Diakonisse erzählt angeregt von vielen Begegnungen mit Menschen, die in Sackgassen gelandet sind und hier Hilfe erfahren haben: Die junge Frau, die lange Zeit mit Magersucht zu kämpfen hatte oder der alkoholkranke Mann. Schwester Kimmerles Zitronenlimonade bleibt unberührt.

Erst Burnout , dann innehalt

Sie erzählt mir von ihrer Begegnung mit einem Drogenjunkie, er sei häufig hierher gekommen. Hatte ihr von seinen Abstürzen und seinem Frust, von seinen Fragen und seinem Schmerz erzählt. Hier im Café fühlte er sich akzeptiert und wertgeschätzt. Hier war er ein Mensch, auf Augenhöhe mit anderen. Die Diakonisse konnte ihm viele Impulse mit auf dem Weg geben. Sie kaschierte seine Probleme nicht, sondern sprach sie an. Die vielen Gespräche sorgten dafür, dass er plötzlich Hoffnung bekam und sein Leben änderte. Es brauchte viel Seelsorge und Zeit, aber heute ist sein Leben anders. „Seine Freude sucht er nicht mehr in Drogen und auf der Straße, sondern bei Gott“, erzählt Schwester Kimmerle freudestrahlend.

Immer wieder klingt durch, dass sie davon überzeugt ist, dass Gott sie in diesem Café gebrauchen will. Viele Jahre hat sie sich für Waisenkinder in der Ukraine eingesetzt, neben anderen missionarischen Aufgaben in Deutschland. Doch nach einer Phase der Überlastung und Überforderung stellt das Café innehalt einen neuen Abschnitt in ihrem Leben dar, den sie gerne mit viel Engagement und Liebe ausfüllt. Dabei leuchten ihre dunkelbraunen Augen.  

Ein Ort für die Seele

Schwester Kimmerle hat sich mit 23 Jahren dafür entschieden, ihr Leben als Diakonisse zu gestalten. Sie fühlte damals, dass diese Entscheidung für sie richtig war. Das Versprechen hat sie eingehalten. Auch heute noch trägt sie die Tracht einer Diakonisse: ein schlichtes schwarzes Kleid mit weißem Kragen und eine weiße Haube. Auffällig ist der rote Ansteckbutton auf ihrem Kleid. Er drückt ihre Haltung zu ihrer Arbeit in dem Café aus: Service mit Herz. Keine leeren Worte. Ich sehe das. Eine Umarmung für das kleine Mädchen. Ein Lob für ihre ehrenamtliche Mitarbeiterin.

Während ich die bunten Eindrücke des Lädchens auf mich wirken lasse und Schwester Kimmerle die Kaffeemaschine saubermacht, bestelle ich mir noch einen Cappuccino. Ich genieße diesen Ort. Noch ein wenig verweilen. Die nette Kellnerin strahlt mich an und verschwindet in Richtung Kaffeeautomat. Alle Kaffeespezialitäten, die hier über den Tisch gehen, sind fair gehandelt. Darauf legt Schwester Kimmerle großen Wert. „Nicht nur unseren Gästen im Café soll es gut gehen. Wir möchten uns dafür einsetzen, dass die Menschen auf den Kaffeeplantagen nicht ausgebeutet werden, sondern einen fairen Lohn für ihre harte Arbeit bekommen. Deswegen gibt es bei uns nur fair gehandelte Schokolade, Tee und Kaffee.“

Ich nehme nochmal einen großen Schluck Cappuccino und genieße den Moment. Ich freue mich, dass ich mit innehalt einen Ort kennengelernt habe, in dem Liebe praktisch gelebt wird. Unabhängig ob es ums Helfen geht oder um das schlichte Zuhören. Hier wird deutlich: Der einzelne Mensch zählt.  Durch die offene herzliche Haltung von Inge Kimmerle jedem gegenüber passiert etwas im Leben der Gäste.


Erfahrungsbericht von Schwester Kimmerle: "G´schwind selbst g´macht"

Porträt von Schwester Kimmerle in der Stuttgarter Zeitung: Eine himmlische Karriere

Ihr Kommentar

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Kommentare (7)

Dr.Wladimir S. /

Liebe Schwester Inge! Das ist eine grossartige Arbeit! Auch ich wuensche Ihnen Gottes Segen und viel Erfolg weiterhin! Bleiben Sie gesund! Herzliche Gruesse aus Moskau/Wnukowo.
Wladimir S.

Renate W. /

Liebe Schwester Inge, es ist schon lange her, dass Sie Flittard waren, aber vielleicht erinnern Sie sich noch. Ich erinnere mich jedenfalls gut!

Nelson H. /

Ich wünsche euch Gottes reichen Segen bei dieser Arbeit .
Herzliche Grüsse aus Süd Brasilien
Eleonora und Nelson H.

Anneliese E. /

Liebe Sr. Inge,
schön, dass wir heute im ERF von Deiner großartigen Arbeit in Berlin gehört haben
Der Herr segne Deine vielseitigen Dienste!
Herzliche Grüße
Anneliese und Hans E.

Gerhard K. /

Hallo Schwester Inge,
Gott segne Dich für diesen besonderen Dienst in Berlin und lass Dich ein Segen für die Menschen dort sein. Viel Kraft, Freude, Zuversicht Geborgenheit in Jesus wünscht Dir Gerhard aus St. Peter

Sr.Gerda S. /

Liebe Sr.Inge,
danke für Dein Vorbild und ich danke Jesus dass es Dich gibt.
Wir haben beide ein Herz für Ausgegrenzte.
gott segne Dich

Rosemarie S. /

Liebe Schwester Kimmerle,
Gott segne Sie für Ihren Dienst an den Menschen und schenke Ihnen für jeden Tag die Kraft, die Sie brauchen.
Ein herzliches Gott befohlen
Rosemarie S. aus Niedersachsen

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