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© Alex Moiseev / unsplash.com

24.06.2010 / Themenwoche Pornographie / Lesezeit: ~ 9 min

Autor/-in: Hanna Keller

Generation Porno?

Welche Bedeutung haben pornographische Web-Inhalte für Jugendliche? Die Studie „Porno im Web 2.0“ geht dieser Frage nach.

Pornographie – das bedeutete vor zehn Jahren einschlägige Zeitschriften vom Kiosk und Filme aus der Erwachsenenvideothek. Durch die Verbreitung des Internets und Flatrate ist sie heute auch zuhause am PC zu haben, und nicht nur für Erwachsene. Das Schlagwort „Generation Porno“ macht in den Medien die Runde und verunsichert Eltern, Lehrer und Jugendarbeiter: Schauen Jugendliche wirklich so häufig Pornos? Und wenn ja, wie wirken die Bilder und Filme auf sie?

Die qualitative Studie „Porno im Web 2.0“ der Niedersächsischen Landesmedienanstalt versucht diese Fragen wissenschaftlich fundiert zu beantworten. 25 Jungen und 10 Mädchen im Alter zwischen 13 und 19 Jahren aus unterschiedlichen Milieus wurden dafür zu ihren Erfahrungen und Motiven im Bezug auf pornographische Medieninhalte befragt.

ERF.de stellt wesentliche Inhalte der Studie und ihre Schlussfolgerungen vor.

Jungs und Mädchen: Pornos sind normal

Pornos und Jugendliche – was sagen Zahlen und Fakten für Deutschland?
45,4% der Jugendlichen zw. sechzehn - neunzehn Jahren konsumieren einmal im Monat Pornos, 9,9% davon täglich. 32,6% nutzen pornographische Inhalte weniger als einmal im Monat und 22,1% nie. Der Erstkontakt liegt bei 50% im Alter zwischen zwölf und vierzehn Jahren.
(Studie von Drey/Pastötter/Prace 2008)

Wer hofft, dass Internetpornographie nur für eine Randgruppe von Jugendlichen ein Thema ist, den holt die Studie auf den Boden der Tatsachen. Prof. Dr. Petra Grimm, Ethikbeauftragte der Hochschule der Medien (Stuttgart) und Mitherausgeberin der Studie:

Nicht erwartet haben wir, dass alle männlichen Jugendlichen unserer Fokusgruppe pornographische Inhalte im Netz rezipieren und ihre Grundhaltung lautet: ‚Pornos sind normal und Bestandteil des alltäglichen Medienkonsums.’ – Prof. Dr. Petra Grimm

Auch alle befragten Mädchen haben Inhalte gesehen, die sie als pornographisch einstufen würden. Internetseiten, die rein pornographische Inhalte zeigen, sind den Mädchen vom Hörensagen und teilweise aus eigener Erfahrung bekannt.       

Der Erstkontakt fand allerdings weder bei den Jungen noch bei den Mädchen immer freiwillig oder auf eigene Initiative hin satt. So bekamen die Jugendlichen in sozialen Netzwerken oder in Mails Links von Unbekannten zugeschickt, die auf sexualisierte Inhalte, bzw. Pornos hingewiesen haben.

Dieser ungewollte Kontakt traf einige Mädchen der Studie sehr früh und völlig unvorbereitet. Manche von ihnen waren noch im Vorschulalter, dementsprechend reagierten sie mit einem „Gefühl des Schocks oder der Verstörung“. Fragen über Sexualität wurden aufgeworfen (‚Macht der Mann der Frau weh?’) und gleichzeitig empfanden die Kinder Scham über das, was sie gesehen hatten. Einig waren sich die Jugendlichen darin, dass pornographische Inhalte nichts für Kinder unter zwölf Jahren sind.

Jungs: Erregung und Wissensgewinn

Jungs sind empfänglicher für pornographisches Material als Mädchen. Es überrascht nicht, dass die Studienergebnisse diese allgemeine Annahme stützen. Sexuelle Erregung ist auch ein Grund, warum die Jungs Pornos schauen. Sie gehen davon aus, dass ein Mann Triebe hat, denen er sich nicht entziehen kann. Aus diesem Grund wird Pornographie als legitimes Mittel zur Selbstbefriedigung gesehen. Aber auch der Wissensgewinn spielt für die männlichen Teilnehmer der Studie eine Rolle.

Wie funktioniert der weibliche Körper und wie befriedigt man eine Frau, das sind die Fragen, auf die sich zumindest die Jüngeren Antworten erhoffen. Die älteren Jugendlichen, die selbst schon sexuelle Kontakte hatten, erwarten allerdings nicht mehr, dass sie von Pornos etwas lernen können. Ihnen ist klar, dass sich die Szenen aus den Pornos mit der Freundin im echten Leben nicht machen lassen. Weitere Motive waren der Wunsch, mitreden zu können und Langeweile. Für die meisten Jungs haben die Pornos eine Ersatzfunktion, solange sie keine Freundin haben. Während einer festen Beziehung nimmt der Konsum ab.

Die Frage, ob es für sie selbst negative Auswirkungen hat, wenn sie Pornos schauen, verneinen die Jugendlichen. Lediglich bei anderen können sie sich vorstellen, dass es zu Leistungsdruck oder zu einer Sucht kommen könnte. Einige kritisieren allerdings das Frauenbild oder die dargestellten Machtverhältnisse in den Filmen. Die Jungen sehen auch, dass die Frauen im wirklichen Leben nicht so perfekt sind wie die Pornodarstellerinnen. Teilweise wird das als Manko empfunden, nach dem Motto: So Etwas bekommt man in Wirklichkeit nicht, da muss man nehmen, was man bekommt.

Gewaltverherrlichende Pornos werden durch die Bank weg abgelehnt. Wer aus Versehen einmal auf einen solchen Porno gestoßen war, versuchte, das in Zukunft zu meiden.

Drei der befragten Jungen kamen interessanterweise aus evangelisch-freikirchlichem Umfeld. Petra Grimm sagt zu dieser Gruppe:

Diese Fokusgruppe hatte eindeutig eine wertebewusste und kritische Haltung zur Pornographie, was nicht heißt, dass sie nicht gelegentlich auch solche Inhalte im Netz anklicken, aber eben seltener als die unkritischen Jugendlichen. Als kritische Argumente führen sie vor allem an: Pornos anzuschauen sei Sünde und darüber hinaus verderbe es den Spaß an Sex. – Prof. Dr. Petra Grimm

Dass Pornographie diese Jugendlichen trotz ihrer kritischen Haltung nicht kalt lässt, zeigt ihre Aussage, dass sie selbst hin und wieder Pornos schauen, obwohl sie es eigentlich nicht in Ordnung finden.

Mädchen: Ekel, Distanz und Belästigung

Die befragten Mädchen empfinden pornographische Inhalte zum großen Teil als abstoßend und stehen ihnen kritisch gegenüber. Keine von ihnen erwähnt direkt, dass sie die Bilder erregend findet. Offener und bewusster Pornokonsum wird als etwas typisch Männliches wahrgenommen. Mädchen, die Pornos tolerieren, schauen sich privat manchmal Softpornos oder Erotikfilme an. Bei den anderen sind es vor allem die Jungs im Freundeskreis, die sich pornographische Inhalte anschauen. In der Clique wird dann auch offen – manchmal mit Frotzeleien oder versteckter Kritik – darüber geredet oder ein Video auf einem Handy herumgereicht.

Die Mädchen, die auf diese Art und Weise mit Pornos in Kontakt kommen, bevorzugen lustige und skurrile Inhalte. So können sie sich an den Unterhaltungen beteiligen und trotzdem eine gewisse Distanz wahren. Insgesamt sprechen die Mädchen nicht viel darüber, warum oder ob sie selbst Pornos schauen. Manche Aussagen lassen vermuten, dass sie Anregungen bekommen oder sich auf das erste Mal vorbereiten möchten. Lustbefriedigung wird als niederes Motiv für Pornokonsum empfunden.

Sexuelle Belästigung im Internet, etwa bei Schüler VZ oder Knuddels, nehmen die Mädchen als eine unangenehme, aber alltägliche Erfahrung wahr. Da sie technische Möglichkeiten kennen, um solche Kontakte zu blocken, fühlen sie sich trotzdem sicher und weniger bedroht als in einer vergleichbaren Situation im wirklichen Leben. Aus einer gewissen Neugierde heraus lassen sie sich manchmal auf einen anstößigen Kontakt ein, teilweise um das Gegenüber für dumm zu verkaufen. Sobald die betreffende Person die persönliche Schmerzgrenze des Mädchens überschreitet (zum Beispiel durch eine perverse Wortwahl), wird der Kontakt abgebrochen. Mädchen, die in ihren Profilen in sozialen Netzwerken zweideutige Bilder von sich einstellen, werden von den Mädchen der Studie als Schlampen betrachtet.

Generell kann man sagen, dass die Mädchen diesbezüglich ihren guten Ruf wahren möchten. Im Bezug auf die Darstellerinnen in den Pornos nehmen die Mädchen zwar wahr, dass diese Opfer sein können, gleichzeitig distanzieren sie sich von ihnen: Eine normale Frau würde sich so nicht verhalten.

Zusammenfassend zu den weiblichen Fokusgruppen noch einmal Petra Grimm:

Alles, was nicht als ‚ästhetisch-schön’, sondern als ‚nuttig’ gilt, wird bereits abgelehnt und als Pornographie assoziiert. Das heißt, die Mädchen haben grundsätzlich eine viel kritischere Einstellung zur Pornographie als die Jungen. Sie möchten auch nicht, dass die Jungen in einer Beziehung das pornographische Skript [Handlungsmuster; Anm. der Redaktion] thematisieren, geschweige denn anwenden.“ – Prof. Dr. Petra Grimm

Einfluss der Pornos auf Leben und Empfinden der Jugendlichen

Die Jugendlichen gehen davon aus, dass Pornos keinen Einfluss auf ihr Leben und ihre Beziehungen haben. Den meisten ist bewusst, dass die Darstellungen in den Videos nicht der Wirklichkeit entsprechen. In den Gesprächen wurde laut Grimm allerdings deutlich, dass die männlichen Jugendlichen einen sexuellen Leistungsdruck empfinden, der durch die Pornos wahrscheinlich vergrößert wird.

Laut Studie ist unter Experten umstritten, ob der Konsum von Pornos bewusst oder unbewusst Folgen für die Jugendlichen hat. Einige gehen davon aus, dass die häufige Nutzung von Pornos die Wahrnehmung der Jugendlichen von dem, was als normales sexuelles Verhalten gilt, prägen kann. Ein Beispiel: In vielen Pornos wird Oralverkehr gezeigt, obwohl diese Praktik im tatsächlichen sexuellen Verhalten der Bevölkerung eine untergeordnete Rolle spielt. Jugendliche, die Pornos konsumieren, könnten denken, dass Oralverkehr zum normalen Sex dazu gehört. Manche Experten sehen die Gefahr, dass das sexuelle Verhalten der Jugendlichen aufgrund von unbewussten Wahrnehmungsvorgängen stärker beeinflusst wird, als es den Jungen und Mädchen selbst klar ist.

Frau Grimm beurteilt den Einfluss des Pornokonsums auf Jugendliche folgendermaßen:

Besonders problematisch empfinde ich, dass durch eine häufige Rezeption von Pornos das Individuelle und Persönliche in der Sexualität und die Entwicklung eigener Fantasien auf der Strecke bleiben kann. […] Schließlich stellt sich auch die Frage nach den Werten: Pornographie vermittelt nicht, dass Sexualität mit Sensibilität und der Achtung des anderen als Subjekt zu tun hat. Vielmehr geht es im pornographischen Skript immer um Macht, Dominanz und Objekthaftigkeit des Anderen, manchmal sogar verbunden mit Gewalt. Wenn Jugendliche häufig und exzessiv Pornographie konsumieren, kann dies auch ihre Wertewelt negativ beeinflussen. – Prof. Dr. Petra Grimm

Chancen und Möglichkeiten

Was sollten Eltern, Lehrer und Jugendmitarbeiter über Sexting wissen?

„Wir haben mit den Jugendlichen auch ausführlich über das Thema selbstproduzierte Videos gesprochen, was häufig mit dem Begriff Sexting bezeichnet wird. Sowohl die Mädchen als auch die Jungen berichten von Fällen, bei denen im Internet oder auf dem Handy intime bzw. pornographische Videos veröffentlicht wurden, die von Jugendlichen selbst produziert wurden. […]
Wie unsere Studie gezeigt hat, wird das Risiko selbst Opfer einer ungewollten Online-Veröffentlichung intimer Bilder zu werden, von den Jugendlichen oft unterschätzt. Notwendig ist daher ihre Sensibilisierung für entsprechende Risiken, so dass die Gefahren gegebenenfalls minimiert werden können.“ Prof. Dr. Petra Grimm (Hervorhebung original).
Die Jugendlichen selbst sahen ihre Eltern und auch die Lehrer nicht unbedingt als die ersten und besten Gesprächspartner an, was Pornographie angeht. Zu groß sind die Scham und auch die Befürchtung, dass die Eltern die Vorgänge im Internet nicht nachvollziehen können, weil ihnen das Medium fremd ist. Trotzdem ermutigt die Studie Eltern dazu, das Thema auf den Tisch zu bringen: „Empfehlenswert ist laut den meisten Experten, die Problematik anzusprechen, die eigene Position darzustellen, aber auch die eigenen Sorgen zu formulieren. Nicht zielführend sei eine Laisser-faire-Haltung [sic.] und eine Annäherung der Lebensstile von Eltern und Kindern, die zu geringe Abgrenzungsmöglichkeiten erlauben.“ Petra Grimm betont die Vorbildfunktion der Eltern: Wenn die Kinder bei ihnen sehen, dass Sexualität ihren Platz in einer Liebesbeziehung hat und dass Dominanzerwartungen und Leistungsdruck dabei keinen Platz haben, können sie ebenfalls einen positiven Umgang damit lernen.

Junge Erwachsene haben die beste Aussicht auf Erfolg, mit den Jugendlichen über das Thema zu sprechen. Sie werden als Gesprächspartner erst genommen und akzeptiert. Die Herausgeber der Studie haben die Erfahrung gemacht, dass das Thema Pornographie oft von den Jugendlichen selbst angesprochen wird, wenn sie die Möglichkeit dazu bekommen und nicht von vorneherein mit Ablehnung rechnen müssen.

Petra Grimm ist der Meinung, dass man „über die Themen Geschlechterrollen, Wertebilder und den Unterschied von „Real life“ und sexualisierten Medien“ mit den Jugendlichen ins Gespräch kommen kann. Hier bietet sich gerade für Jugendmitarbeiter in Gemeinden und Sozialpädagogen eine große Chance und Handlungsmöglichkeit.

Dass Handlungsbedarf besteht, steht für Petra Grimm außer Frage:

Nur wenn die Politik, die Internet-Anbieter, die Schulen und die Kirchen an einem Strang ziehen und je nach Handlungsspielraum einen effektiven Jugendmedienschutz sowie die Förderung von Medienkompetenz und Wertekompetenz unterstützen (auch mit finanziellen Mitteln), können wir verhindern, dass wir eine ganze Generation mit ihren Erfahrungen, die sie mit „toxischen“ Internet-Inhalten haben, alleine lassen. – Prof. Dr. Petra Grimm


Die Studie „Porno im Web 2.0“ bietet interessierten Eltern, Lehrern und Jugenmitarbeitern umfangreiches und hilfreiche Material zum Thema. Die Stärke des Buches liegt in den vielen Gesprächen mit den Jugendlichen, die immer wieder exemplarisch angeführt werden. Der Leser bekommt dadurch nicht nur trockenes Faktenwissen präsentiert, sondern erhält einen kleinen Einblick in die Gedanken und Gefühle der Mädchen und Jungen.

Hier finden Sie eine weitere, kurze Zusammenfassung der Studie.



 

Porno im Web 2.0
Petra Grimm, Stefanie Rhein und Michael Müller

NLM-Band 25; 300 Seiten,
DIN A5,
Vistas 2010
ISBN 978-3-89158-523-8; EURO 17,- (D)

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Kommentare (3)

Jürgen /

Pornos vermitteln: "Du kannst ernten, ohne zu sääen, einfach Sofortgenuss, Zugreifen genügt"
Sie sind somit der Teil einer Turbo-Konsumgesellschaft, welcher direkt auf das Grundbedürfnis Sexualität mehr

Michael /

Ich habe so ein komisches Phänomen: Immer wenn der Christ aus dir wieder schreit, dass Pornos/Hentais Sünde ist und Jesus dein Erretter zornig macht, dann ist es unmöglich NICHT an Erotik etc. zu mehr

Robert Bauer /

Man beachte die Kleidung der Kinder !
Oftmals zimlich "freizügig "!
Modediktat !!
Werbung ?? SEX SELL`S !

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