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© Xavier Mouton Photographie / unsplash.com

03.08.2019 / Interview / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Katrin Faludi

Erste-Hilfe-Koffer für Geschiedene

Der Kurs „Lieben – Scheitern – Leben“ hilft Geschiedenen bei der Aufarbeitung ihrer Trennung.

Niemand heiratet mit der Absicht, sich wieder zu trennen. Trotzdem scheitert in Deutschland etwa jede dritte Ehe. Auch Reinhild Lorentzen und Beate Rothfuß haben eine Scheidung hinter sich. Heute unterstützen sie mit dem Kurs „Lieben – Scheitern – Leben“, der erstmals 2007 in der Schweiz angeboten wurde, Geschiedene bei der Aufarbeitung ihrer Trennung. Sie sind sich einig: Es ist wichtig, Menschen gerade in einer solchen Krise mit Rat und Tat beiseite zu stehen.
 

ERF: An wen genau richten sich diese Kurse?

Reinhild Lorentzen: Das sind Leute, die selber in einer Trennungs-/Scheidungsphase sind. Sie müssen keine Christen sein, der Kurs ist offen für alle. Auch Leute anderer Konfession oder die keiner Kirche angehören, profitieren davon. Wir hatten Leute, die nach fünf Jahren Scheidung den Kurs besucht haben, weil sie gemerkt haben, dass sie zum Beispiel beim Thema Vergebung noch am Knabbern sind und daran arbeiten möchten. Und andererseits sitzen da Leute am Tisch, die sich erst vor drei Monaten getrennt haben. Es ist sehr unterschiedlich.

Ein neues Leben aufbauen

ERF: Welche Themen werden behandelt? 

Reinhild Lorentzen: Konsequenzen von Trennung und Scheidung ins Auge blicken, also wirklich auch die schmerzlichen Dinge anschauen. Kommunikation mit dem Ex-Partner, mit den Kindern, mit Verwandten. Grenzen setzen ist ein wichtiges Thema und das Herzthema ist Vergebung. Am letzten Tag geht es darum, ein neues Leben aufzubauen.

Man kann nicht an einem Wochenende eine Scheidung aufarbeiten, aber wir geben Impulse, wie man ein Stück weit heil werden und welche Themen man angehen kann. Nach dem Kurs geht es erst richtig weiter, weil das Thema einen noch sehr lange beschäftigt – vor allem, wenn man Kinder hat und auch als Eltern noch weiter in Verbindung bleibt.

Auch wenn die Paarebene nicht mehr da ist, ist es wichtig, dass man als Eltern verantwortlich bleibt, ein gutes Miteinander findet und an einem Strang zieht. 

Beate Rothfuß: Das ist auch eines meiner wichtigsten Ziele. Es sind größtenteils Elternteile, die jetzt lernen müssen, sich von einem Paar zu Alleinerziehenden zu entwickeln. Diese Eltern wollen wir unterstützen und ihnen Werkzeuge an die Hand geben, damit am Ende nicht die Kinder die Leidtragenden sind.
 

ERF: Wie läuft so ein Kurs ab?

Beate Rothfuß: Der Kurs ist klar gegliedert, da er an den Alpha-Kurs angelehnt ist. [Initiator von „Leben – Lieben – Scheitern“ ist die Holy Trinity Brompton Church in London, die auch den Alpha-Kurs entwickelt hat, Anm. d. Red.]. Es waren ursprünglich sieben Abende mit gemeinsamen Essen. Es gibt inzwischen aber auch einen Alternativkurs, der an einem kompakten Wochenende stattfindet oder an drei Tagen mit den entsprechenden Pausen. Der Ablauf ist so gedacht: Erst gibt es ein gemeinsames Essen und dann einen Wechsel von Referaten, Impulsen und Kleingruppen-Gesprächen.
 

ERF: Gibt es irgendeine Form an weiterführender Betreuung über die Seminare hinaus?

Beate Rothfuß: Ja, in der Schweiz gibt es einen Folgekurs, genannt „Step by Step“. Wir in Deutschland haben das noch nicht institutionalisiert, es liegt an den einzelnen Leitern, ob sie danach noch etwas anbieten. Unser Verein „in-kon-takt“ in Weinsberg hat nach dem ersten Kurs vor vier Jahren einen Stammtisch aufgebaut.

Die Teilnehmer kommen immer noch regelmäßig und es stoßen auch die Absolventen neuer Kurse dazu. Man merkt wirklich, wie die „alten Hasen“ mit den Jahren weitergekommen sind und den Jüngeren ihr Wissen weitervermitteln. Die profitieren dann von dem, was die anderen schon erarbeitet und durchgemacht haben.

Ein Erste-Hilfe-Koffer in der Lebenskrise

ERF: Wie erleben Sie die Zusammenarbeit mit den Gemeinden vor Ort? Scheidung ist im christlichen Kontext ja ein ziemlich schambesetztes Thema.

Reinhild Lorentzen: Das erleben wir sehr unterschiedlich. Unser Grundanliegen ist ja, dass wir mit einer Gemeinde vor Ort zusammenarbeiten, die den Kurs unter ihr Dach nimmt und auch dahintersteht, ganz ähnlich wie beim Alphakurs. Das geht natürlich nur, wenn eine Gemeinde für das Thema offen ist. Das braucht manchmal länger.

Ich glaube, da ist sehr viel Scham, sehr viel Unsicherheit: Wie gehen wir damit um? Wir wollen ja in unserer Gemeinde mit dem Kurs keinen Freipass für Scheidung geben! Das ist aber gar nicht der Fall. Ich sage immer, der Kurs ist wie ein Erste-Hilfe-Koffer. Wir würden ja auch nicht an einem Unfall vorbeirennen oder einen Verletzten liegenlassen – darum würden wir uns ja auch kümmern!

Das Fatale ist, wenn wir die Leute in dem Moment allein lassen in unserer Gemeinde oder als Christen, dass wir sie dann im Zweifelsfall auch verlieren. Denn das ist ja eigentlich gerade so eine Lebenskrise, wo man an ganz tiefe Sinnfindungsthemen drankommt und wo die Leute auch offen sind für Gott und für den Glauben.

Gottes Perspektive weitergeben

ERF: Gibt es etwas aus der Bibel, was Sie den Kursteilnehmern als Hilfestellung an die Hand geben?

Beate Rothfuß: Da haben wir als christliche Berater und Seelsorger natürlich das ganz wichtige Instrument der Vergebung. Das ist bei säkularer Beratung nicht das Kernstück, aber bei uns. Wir haben die Vergebung von Gott erhalten und so können wir auch von Gott die Vergebung für unser Fehlverhalten und für das Fehlverhalten des Ex-Partners annehmen und aussprechen. Das, finden wir, ist das allerwichtigste: die Vergebung.

Jesus ist nicht zu denen gekommen, die heil sind und wo alles glatt läuft, sondern gerade zu den Zerbrochenen in jeder Lebensphase. – Reinhild Lorentzen

ERF: Wie reagieren Sie auf Christen, die nach einer Trennung mit Schuldgefühlen kämpfen, weil sie fürchten, gegen Gottes Willen gehandelt haben?

Beate Rothfuß: Wir bieten unseren Teilnehmern Gebet und Segnung an. Das nehmen die christlichen, meistens aber auch die nichtchristlichen Teilnehmer gerne an. Wir sprechen den Leuten zu, dass sie immer noch von Gott geliebte Menschen sind. Er hält noch immer das Beste für sie parat und möchte sie segnen und glücklich machen. Diese Botschaft kann man den Menschen nicht oft genug weitergeben!

Reinhild Lorentzen: Und eigentlich ist es ja auch das, was Jesus gemacht hat. Er ist nicht zu denen gekommen, die heil sind und wo alles glatt läuft, sondern gerade zu den Zerbrochenen in jeder Lebensphase.


ERF: Vielen Dank für das Gespräch!


Kurstermine und weitere Information zu Organisation und Ablauf finden Sie unter den hier aufgeführten Seiten:

 Katrin Faludi

Katrin Faludi

  |  Redakteurin

In Offenbach geboren, mit Berliner Schnauze aufgewachsen. Hat Medienwissenschaft und Amerikanistik studiert, ist danach beim Radio hängengeblieben. Außerdem schreibt sie Bücher, liebt alles, was mit Sprache(n) und dem Norden zu tun hat und entspannt gerne beim Landkartengucken. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wohnt sie in Bad Vilbel.

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