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© Sarah Cervantes / unsplash.com

13.11.2020 / Andacht / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Katrin Faludi

Heute bin ich Wonderwoman!

Quarantäne-Chaos und Geduld in Scheiben.

Ein Tag hat 86.400 Sekunden. Ungefähr 86.400 Punkte füllen auch die täglichen To Do-Listen vieler Eltern. Dabei gelingt es nicht immer, an alles zu denken. An Gott, zum Beispiel. Wo bleibt der eigentlich, wenn es stressig wird?
 

Als Mutter ist man es ja irgendwann gewohnt, alles stehen und liegen zu lassen und zu sprinten.

  • „Mamaaa – ich muss maaal! Jetzt SOFORT!“ (Sprint zur Toilette)
  • „Was passiert, wenn ich da draufdrücke? (Sprint zu dem jeweiligen Gerät; Wrestling)
  • „Jetzt will ich den Jesus aber auch mal haben!“ (Sprint durch die Kirche, während das eigene und ein fremdes Kind im Weihnachtsgottesdienst gemeinschaftlich das Jesuskind aus der Krippe klauen)
     

Nicht zu vergessen die Rekordsprints, wenn es aus dem Kinderzimmer laut knallt, wenn das Kind Granatapfelkerne auf den Teppich wirft, um den Saugroboter zu füttern, oder wenn es mit dem Bobbycar bergab Richtung Straße rast. Sie haben Kinder? Sie kennen das. Irgendwas ist immer.

Letztens erst wieder. Dabei war ich da gerade gar nicht aufs Sprinten gefasst gewesen, weil Kind 1 in der Schule und Kind 2 im Kindergarten weilte und ich, die Ruhe genießend, im Homeoffice gerade an einem Radiomanuskript feilte. Da klingelte das Telefon. Die Schulleiterin höchst persönlich rief an und bat mich, sofort meinen Sohn abzuholen.

Ein Kind in seiner Klasse sei positiv auf das Coronavirus getestet worden. Diese Nachricht kam ungefähr so gut wie der gefürchtete Knall aus dem Kinderzimmer. Ich ließ alles stehen und liegen und sprintete. Dann kam die Anweisung vom Gesundheitsamt: Alle Kinder der Klasse müssten sich sofort in die „häusliche Absonderung“ begeben. Das ist Amtsdeutsch für Quarantäne.

Ein Tag für Superheldinnen

Am Morgen nach dem Knall habe ich einen Wust an E-Mails bearbeitet, im Klassenchat Wogen geglättet, Fragen beantwortet und aufgebrachte Eltern getröstet. Was man als Elternvertreterin vor dem Frühstück eben so macht. Vormittags habe ich meinem Erstklässler im „Distanzunterricht“ aka „Homeschooling“ das „i“ beigebracht, mit ihm Silben geklatscht und ihn bei seinen ersten Rechenversuchen betreut.

Zeitgleich habe ich seine vierjährige Schwester mit Vorschulmaterial und Puzzlespielen bei Laune gehalten. Sie darf selbstverständlich nicht in den Kindergarten.

Nachmittags haben wir ein Kinder-Sportprogramm auf YouTube nachgeturnt, weil Spielplätze wie im Frühjahr plötzlich tabu sind. Danach habe ich die Kinder raus zum Spielen in den Garten geschickt, damit sie an die frische Luft kamen. Plötzlich ertönte ein Pfiff. Von einem Balkon am Haus gegenüber winkte unser Nachbar. Neben ihm stand seine kleine Tochter in Anorak und Mütze und schaute traurig zu uns herunter. Sie geht mit meinem Sohn in eine Klasse. Die Kinder winkten sich kurz zu, mehr ging nicht. Das Nachbarmädchen huschte zurück in seine Wohnung und auch meine Kinder hatten keine Lust mehr, draußen zu spielen.

Was für ein Tag. Zwischendurch habe ich übrigens noch einen kompletten Radiobeitrag produziert, Terminsachen zweier Kollegen getauscht, mit Kindergarten, Schulelternbeirat und Gesundheitsamt konferiert, für die Oma die Telefonnummer der Corona-Hotline ihres Landkreises organisiert, den Wocheneinkauf gestemmt und dabei sogar noch das letzte Paket Klopapier ergattert, das einem Hamster vor mir aus den Backentaschen gefallen sein muss. Heute bin ich Wonderwoman! Den Titel habe ich mir verdient.

Ruhe nach dem Sturm

Jetzt lasse ich meinen Blick durchs Wohnzimmer schweifen. Im Bücherregal hängt ein blaues Kinderunterhemd, das mein Sohn achtlos dorthin gepfeffert hat. Zwischen DVDs und der Schachtel mit den Grußkarten liegt die Brille meines Mannes, die er nachher garantiert suchen wird. Ein Werkzeugkoffer gähnt mir entgegen, die Puppen meiner Tochter fläzen sich auf dem Teppich, Kekskrümel überall, mindestens seit gestern gammelt die Weißwäsche im Trockner vor sich hin und mein Basilikum auf dem Fensterbrett in der Küche liegt auch gerade im Sterben. Egal.

Und Schatz, was deine Brille angeht, bekommst du genau dieselbe Antwort wie die Kinder, wenn sie irgendein Spielzeug suchen, von dem ich nicht weiß, wo sie es wieder verbummelt haben: Da, wo du sie zuletzt hingelegt hast!

Ich mach jetzt Pause. Vom Wahnsinn, der meinen auch sonst nicht immer entspannten Familienalltag ergriffen hat. Von meinem Perfektionismus, der nach einer aufgeräumten Wohnung giert. Von dem Immer-wissen-müssen-wo-sich-was-befindet. Von den anderen Eltern, die gerade in ihrem eigenen Wahnsinn strudeln. Von meinen Kindern, die irgendwann nachts in unser Bett krabbeln werden, wo sie sich in kleine Propeller verwandeln, die uns um den erholsamen Schlaf bringen.

Von dem dummen schlechten Gewissen wegen der schnellen Raviolidose heute Mittag statt der liebevoll gekochten, vollwertigen Mahlzeit. Nicht zu vergessen, die zahlreichen Frustkekse, die im Laufe des Tages durch meine Speiseröhre gewandert sind. Ich mache Pause von der ganzen Mental Load, die mich gerade belastet.

Und dann fällt mir auf, dass ich in diesem ganzen langen Text noch nicht einen einzigen Bibelvers untergebracht habe, obwohl das hier doch eigentlich ein theologisch aufbauender Artikel zum Thema Familienalltag werden sollte! (Huch.) Aber damit passt der Text sehr gut zu diesem Tag: Er ist so vollgestopft, dass irgendetwas Wichtiges garantiert auf der Strecke bleibt. In diesem Fall der aufbauende, kluge, geistreiche Gedanke aus der Bibel. Für Bibel war heute keine Zeit. Kriegen Sie jetzt bitte keine Schnappatmung.

Chaos ist nicht das einzige, was hier herrscht

Ich weiß, wer heute, in all dem Familienchaos, Zeit für mich hatte, wenn schon nicht umgekehrt. Während ich mich gefühlt gevierteilt habe, war der Dreieinige die ganze Zeit mit dabei. Es war seine Stimme in meinen Gedanken, die mir streng sagte: „Leg jetzt endlich das Handy zur Seite, und wenn’s im Klassenchat noch so brennt. Komm runter, atme durch!“

Es war seine Geduld, von der er uns Eltern ein paar Scheiben abschnitt, als wir keine mehr hatten. Weil die Kinder sich zum drölfzigsten Mal zankten. Weil mein Mann seinen allerersten Homeoffice-Tag überhaupt damit zubrachte, die IT zum Laufen zu bringen, während die Kinder um ihn herumsprangen und mit ihm spielen wollten.

Gott war dabei, als die Kinder und ich lachend auf dem Teppich herumkugelten, obwohl eigentlich gerade Schulaufgaben angesagt waren. Er war da, als mich der Anblick des kleinen Nachbarmädchens auf dem Balkon traurig machte. Ich bin mir sicher, dass er auch auf diesem Balkon irgendwie anwesend gewesen ist. Er ist jetzt da, während ich abends meine Arbeit mache und diesen Text schreibe, mit dem ich als berufstätige Mutter gerade wunderbar Dampf ablassen kann.

Ich erinnere mich nicht, in wie vielen der 86.400 Sekunden des heutigen Tages ich einen Gedanken an Gott gerichtet habe. Immer mal wieder. Ein kurzes „Danke!“ hier oder „Hilf mir!“ da, ehe das Rennen weiterging. Aber ich weiß, dass er in jeder einzelnen Sekunde den Tag meiner Familie begleitet hat. So, wie er es immer tut. Zuverlässig, unaufdringlich, ansprechbar. In guten wie in schlechten Momenten.

Gott ist das Fundament, auf dem mein Familienalltag steht. Und wenn’s sein muss, macht er mich an Tagen wie diesem, an denen ich nicht weiß, wo mir der Kopf steht, sogar zur Wonderwoman.

Gott ist das Fundament, auf dem mein Familienalltag steht.


Auf unserer Sonderseite „Finde Hoffnung in der Krise“ liefert Katrin Faludi 12 praktische Tipps zum Überleben im Homeoffice.

 Katrin Faludi

Katrin Faludi

  |  Redakteurin

In Offenbach geboren, mit Berliner Schnauze aufgewachsen. Hat Medienwissenschaft und Amerikanistik studiert, ist danach beim Radio hängengeblieben. Außerdem schreibt sie Bücher, liebt alles, was mit Sprache(n) und dem Norden zu tun hat und entspannt gerne beim Landkartengucken. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wohnt sie in Bad Vilbel.

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Kommentare (3)

Silvya G. /

Danke für den Artikel der mich sehr zum Schmunzeln gebracht hat. Ja, ich kenn das, auch wenn es ein paar Jahre her ist, meine Kids sind inzwischen erwachsen. Auch ohne Corona war es schon schwer Gott mehr

Brigitte S. /

Herzl. Dank für diesen so erfrischenden " tagesablauf" .ich war so berührt davon, über so ein ehrliches statement, und in jeder minute durften sie trotzdem die anwesenheit gottes spüren und seine mehr

Michael /

Ein herzerfrischender Artikel in einer dunklen Zeit!

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