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© Mattheus Bertelli / pexels.com

19.01.2024 / Theologie / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Joachim Bär

Eine besondere Begegnung

Wie mich Psalm 73 zum Kern des Glücks führt, ohne vom Glück zu reden.

Glücklich zu werden, ist im Grunde genommen einfach, so scheint es: Ich vermeide, was mir schadet. Und suche das, was gut für mich ist.

Diese Gedanken gehen zurück auf Aristippos, einen frühen Glücks-Philosophen aus dem 5. Jahrhundert vor Christus. Sie haben einiges für sich. Sie unterstreichen meine eigenen Möglichkeiten, ja meine eigene Verantwortung, für mein Glück zu sorgen.

Tatsächlich kann ich viel tun für mein persönliches Glück: für guten Schlaf sorgen, mit meinen Finanzen gut haushalten, mir ab und an etwas gönnen. Und ich kann viel lassen, um glücklicher zu sein. Das bedeutet für jeden etwas anderes, für mich heißt das: den Stress unterbrechen. Menschen meiden, die mir dauerhaft nicht guttun. Nicht rauchen.

Ist Glück individualistisch?

Doch ich habe Kritikpunkte am Vorgehen des Aristippos. Erstens scheint mir seine Glücks-Philosophie zu individualistisch gedacht, gar egozentrisch. Ohne die Verbundenheit mit anderen bleibt das Glück für mich einsam und unvollständig. Zweitens kenne ich Menschen, die einige Dinge tun, die ihnen schaden. Trotzdem sind sie erfolgreich, scheinen glücklich. Zumindest im Moment. Das Glück ist nicht garantiert, wenn ich das Schlechte meide und das Gute suche. Das alles erhöht die Wahrscheinlichkeit für ein gutes Leben, mehr nicht.

Vom Glück und Unglück, vom guten und einem gar nicht so guten Leben handelt auch Psalm 73 in der Bibel. Der Autor und Beter des Psalms, Asaf, beschreibt darin, wie er es gerade noch einmal geschafft hat, aus einer negativen Gedankenwelt auszubrechen – und tiefes Glück zu finden. Wie hat er das geschafft?

Ist Glück positives Denken?

Zuvor hat er Menschen beobachtet, die andere Menschen abwerten, in Saus und Braus leben ohne Rücksicht auf Verluste und schlecht über Gott und die Welt reden. Sie suchen das Schlechte – und führen doch allem Anschein nach ein gutes und glückliches Leben.

Er selbst, Asaf, hat dagegen versucht, ein gutes Leben zu führen mit einem reinen Gewissen. Dennoch wird er vom Unglück verfolgt. Das alles bestätigt meine Vermutung: Das Glück ist nicht machbar und kommt nicht von allein, wenn ich bestimmte Dinge vermeide und andere suche.

Das gilt auch für weitere, vermeintlich sichere Wege zum Glück. Ich meine zum Beispiel die in Mode geratene Frage danach, worauf ich meinen Fokus richte. Positives und negatives Denken also. Heißt in aller Kürze: Wenn ich mich gedanklich auf das fokussiere, was mir glückt und was gut war und ist, fühle ich mich besser – und bin der Folge glücklicher. Wenn ich mich stattdessen meinen Bedenken und Zukunftssorgen hingebe und allem, was schlecht ist und war, bin ich eben unglücklicher.

Glück mal neu gedacht

Das ist schon richtig, ich erkenne darin sogar biblische Gedanken. Jesus ruft mich dazu auf, mir keine Sorgen zu machen (Matthäus 6, 25), also die negativen Gedanken und Befürchtungen loszulassen. Paulus ermahnt eine christliche Gemeinde in Kleinasien, die Gedanken auf gute Dinge zu lenken (Philipper 4,8), also das eigene Denken mit guten Gedanken zu füllen. Doch auch hier gilt: Das Glück ist nicht garantiert. Ich kann meinen Blick auf alles Gute der Welt legen. Da aber nichts auf dieser Welt von Dauer ist, wird mich auch nichts davon dauerhaft glücklich machen.

Erneut ist es Psalm 73, der mich weiterführt. Im Verlauf seines Gebets stellt Asaf fest, dass das vordergründige Glück von Menschen, die nicht nach Gott fragen, mit ihrem Tod endet. (Vers 17) Im Gegensatz dazu bleibt seine Verbundenheit mit Gott bestehen. Am Ende des Textes trifft Asaf dann eine bemerkenswerte Aussage. Nachdem er seine Beobachtungen über sein persönliches Unglück und Glück anderer Menschen geteilt hat, folgt ein Bruch, ein Stopp, ein Statement. „Ich aber“, so beginnt er seinen Satz (Psalm 73, 28a) und betritt damit einen neuen Argumentationsraum.

Den hat er ganz beiläufig in der Mitte des Psalms betreten. Dort heißt es: „Doch dann kam ich in dein Heiligtum.“ (Vers 17) Gemeint ist die Begegnung mit Gott, das Aufsuchen seiner Nähe an einem heiligen Ort. Hier fängt Asaf an, ganz neu zu denken. Er beendet sein Gedankenkreisen rund um ein Glück, das von Umständen, anderen Menschen, Erfolg, Misserfolg oder anderen Dingen abhängig ist. Alles tritt in den Hintergrund, und schlussendlich fokussiert er sich auf die Begegnung mit Gott: „Dir (Gott) nahe zu sein ist mein ganzes Glück“ (Psalm 73,28).

Mein Glück – meine Verantwortung?

Hier treffe ich auf eine besondere Form und Grundlage des Glücks. Dieses Glück meint Gott selbst. Seine Gegenwart. Seine Präsenz. Es ist die Nähe zu Gott, die Asaf als unverbrüchliches Glück beschreibt. Unverdient. Unverfügbar. Unabhängig von den Umständen.

So ganz entlässt mich aber auch Asaf nicht aus der eigenen Verantwortung. Darauf weist die interessante Konstruktion des hebräischen Texts in Vers 28 hin. Die Grammatik lässt es offen, ob die Nähe zu Gott dadurch entsteht, dass Gott sich mir nähert – oder ob ich mich ihm nähere. Da heißt es schlicht: Die Nähe Gottes/das Nahen Gottes ist gut für mich.

Nicht umsonst spiegeln sich beide Wege in den unterschiedlichen deutschen Übersetzungen wider. Die Elberfelder-Bibel übersetzt: „Gott zu nahen ist mir gut“ und betont das, was ich als Mensch tun kann. Die Neue Genfer Übersetzung wiederum betont die Nähe, die Gott schafft: „Für mich aber ist Gottes Nähe beglückend!“ Den eigentlichen Sinn treffen wohl Übersetzungen am besten, die beide Wege in Worte fassen. Wie zum Beispiel die Gute Nachricht Bibel, in der es heißt: „Dir nahe zu sein ist mein ganzes Glück.“

Die Gegenwart, die glücklich macht

Ich denke, das Glück in der Nähe Gottes ist beides: Geschenk und Verantwortung. Gott ist es, der sich immer wieder auf den Weg macht zu mir. Er schenkt mir die Möglichkeit, ihm nahe zu sein.

Und es ist meine Verantwortung, darauf zu antworten und die Nähe Gottes zu suchen. Wie auch Asaf. Er hat sich auf den Weg gemacht in das Heiligtum. Schlicht hingelaufen muss er wohl sein zu diesem besonderen, heiligen Ort. Auch ich kann heute die Nähe Gottes suchen. Beispielsweise wenn ich die Bibel bewusst lese, einen Gottesdienst besuche oder Gottes Schöpfung genieße.

Ohne ein Gesetz daraus zu machen, weist der 73. Psalm damit einen Weg, wie die innige Begegnung mit Gott aus zwei Richtungen entstehen kann. Die erste Distanz überwindet Gott selbst. Er, der Ewige, ist schon da. Gegenwärtig und präsent. Er wartet auf mich. Die Überwindung der zweiten Distanz legt Gott in meine Hand. Es geht um meine Aufmerksamkeit, meine Zeit und meine Präsenz. Ich kann – und manchmal kostet das auch Überwindung – mich aktiv bereit machen für Gottes Gegenwart. Am Mittelpunkt des Weges kommt dann es zur Begegnung zwischen Himmel und Erde. Hier ist Gott mir nahe. Und ich bin ihm nah.

Genau hier, in der Begegnung in der Mitte des Weges, steckt die beglückende Erfahrung, von der Asaf berichtet. Wie sieht sie genau aus? Der 73. Psalm beschreibt das nur noch am Rande, er ist ja schon fast zu Ende gebetet. Da heißt es, dieses Mal in der Einheitsübersetzung: „Ich habe GOTT, den Herrn, zu meiner Zuflucht gemacht“ (Vers 28). Andere Übersetzungen sprechen von der Zuversicht und vom schon zitierten Vertrauen auf Gott.

Gottes Nähe ist mein Glück

Das Glück, das ich in der Nähe Gottes finde, stillt also meine tiefen, menschlichen Bedürfnisse. Da ist einer, der für mich da ist. Jemand, bei dem ich in den Wellen und Wogen des Lebens geborgen und sicher bin. Ein Gegenüber, dem ich vertrauen kann, wenn ich dem Leben nicht mehr trauen kann. Jemand, der mir Grund zur Zuversicht gibt, wo es nichts mehr zu hoffen gibt. Solange ich diesem Gott begegnen kann, ist nichts verloren. Psalm 73 endet mit dem ultimativen Trost.

Der tut mir gut. Nichts weiter sagt übrigens der Psalm, wenn man ihn wörtlich nimmt. „Gottes Nähe ist gut für mich“, so heißt es da, wie schon zitiert. Da steht nichts vom Glück. Trotzdem geht es darum, was mir guttut und mich aufrichtet in den Wirren des Lebens. Es geht um ein gutes Leben – was man durchaus mit dem Wort Glück umschreiben kann.

Dieses gute Leben ist unabhängig von dem, was ich für mein Glück tue und lasse. Unabhängig von meinen Erfolgen und dem, was mir misslingt. Unabhängig auch von dem Glück oder Unglück anderer Menschen. Unabhängig von den Umständen einer schweren Zeit. Was für ein Glück! Asaf hat es erlebt.

Für mich ist das eine starke Motivation, die Nähe Gottes aufzusuchen. Gerade dann, wenn Sorgen mich belasten oder mir die Kontrolle über meinen Alltag scheinbar entgleitet. Es ist immer möglich, diesen sicheren Ankerpunkt in Gott aufzusuchen. Denn Gott ist nah.

Das macht mich froh. Das ist mein Trost. Diese Gewissheit zaubert ein Lächeln auf mein Gesicht. Bin ich etwa gerade glücklich?

 Joachim Bär

Joachim Bär

Joachim Bär war Unit Lead von erf.de und hat die übergreifenden Themen der redaktionellen Angebote des ERF koordiniert. Er ist Theologe und Redakteur, verheiratet und hat zwei Kinder.

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Kommentare (1)

Sigrid K. /

Lieber Joachim Bär, mit großem Interesse habe ich Ihre Auslegung zum Psalm 73 gelesen. Vielen Dank dafür. Für mich sind Ihre Worte Ermutigung und Anstoß
mich wirklich immer neu in Gotttes Gegenwart zu begeben.
Gottes Segen für Sie und liebe Grüße
Sigrid

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