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© Ante Hamersmit / unsplash.com

10.08.2022 / Andacht / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Elena Bick

Ich bin so frei – oder über das Leben als Chamäleon

Wie stark können und sollen sich Christen ihrer Umgebung anpassen?

Chamäleons sind große Anpassungskünstler. Sie sind perfekt an ihren Lebensraum angepasst. Und dann ist da das Wunder des Farbwechsels. Dieser dient in erster Linie nicht der Tarnung, sondern der Kommunikation mit Artgenossen. Stellt euch vor, wir Menschen könnten ebenfalls unseren Modus ändern, um von unserem Gegenüber besser verstanden zu werden.
 

Tatsächlich kann Paulus uns mehr erzählen von einem „Chamäleon-Leben“. Dabei geht es ihm gar nicht darum, möglichst nicht aufzufallen, oder die Botschaft, die er mitgebracht hat, zurechtzubiegen. Paulus greift vielmehr den Kontext auf, in dem er sich befindet, um die Botschaft von Jesus so verständlich wie möglich zu verkündigen.

Wie er das macht, wird in einem Text aus seinem Brief an die Christen in Korinth deutlich (1.Korinther 9,19-23). Er schreibt:

Denn obwohl ich frei bin von jedermann, habe ich doch mich selbst jedermann zum Knecht gemacht, auf dass ich möglichst viele gewinne.

Sich als Knecht zur Verfügung zu stellen, bedeutet entweder in großer Not zu sein oder es ist der Inbegriff von Freiheit. Wovon Paulus hier spricht, wäre in der derzeitigen Lage damit vergleichbar, seinen Beruf aufzugeben, um im osteuropäischen Kriegsgebiet zu helfen. Es bedeutet, sich völlig in eine Situation hineinzubegeben und sich selbst zu verpflichten.

Paulus verschreibt sich ganz dem Weitersagen des Evangeliums. Er möchte, dass möglichst viele Menschen von der guten Nachricht Gottes gewonnen werden. Auf dass auch sie von der Freiheit erfahren, aus der heraus Paulus lebt.

Christliche Freiheit ist nicht die Freiheit, alles zu tun oder zu lassen, wonach mir der Sinn steht. Christliche Freiheit ist rückgekoppelte Freiheit an Gott selbst, der sie ermöglicht (Galater 5,1). Paulus setzt diese Freiheit ein, um sich für Menschen und für das Evangelium einzusetzen.

Durch diese Freiheit kann er sich unterschiedlichen Menschen und Gegebenheiten anpassen, um so zu kommunizieren, dass er besser verstanden werden kann, ohne jedoch selbst vereinnahmt zu werden.

Reflexion: Wem oder was hast du dich verschrieben? Mit welchem Ziel? Gibt es Umstände, Beziehungen, Gewohnheiten oder Situationen in deinem Leben, in denen du dir wünscht, Gottes Freiheit zu erleben?

Den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne.

Moment mal, Paulus war doch selbst jüdischer Abstammung und ein Jude, der das aufkeimende Christentum bekämpfte. Diese Formulierung lässt erahnen, dass Jude-sein und auch Christ-sein für Paulus nicht mehr auf ethnische oder geografische Herkunft beschränkt war.

Als Teil seines Glaubenslebens ging Paulus vermutlich noch in die Synagoge und nahm an den Gebeten teil. Gleichzeitig boten die Versammlungen auch Gelegenheiten, Menschen von Jesus zu erzählen.

Denen unter dem Gesetz bin ich wie einer unter dem Gesetz geworden – obwohl ich selbst nicht unter dem Gesetz bin – , damit ich die unter dem Gesetz gewinne.

Wenn es hilft, seine jüdischen Geschwister für Christus zu gewinnen, kann Paulus sich auch gut und gerne bspw. an das Sabbatgebot oder die Speisegebote halten. Paulus weiß um die Lebenskraft, die von einem Leben nach der Tora ausgehen soll. Gleichzeitig kennt er den Klang der Anklageschrift, zu der die Texte werden, weil der Mensch kläglich daran scheitert, nach dem göttlichen Gebot zu leben (Römer 7).

Wie gut ist es, Menschen erzählen zu können, dass nicht ihr Handeln sie rettet, sondern dass sie durch Christus gerettet sind, der das Gesetz mit seinem ganzen Leben, vom ersten bis zum letzten Atemzug, erfüllt.

Reflexion: Gibt es „Gesetze“, nach denen du anderen Christen oder anderen Menschen zuliebe lebst?

Denen ohne Gesetz bin ich wie einer ohne Gesetz geworden–obwohl ich doch nicht ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin im Gesetz vor Christus, damit ich die ohne Gesetz gewinne.

Manche Konventionen umgebender Kulturen waren für die Christen und Christinnen von damals eine große Herausforderung: Durften sie bspw. Fleisch essen, das zuvor anderen Göttern geweiht wurde? Paulus meint: „Jein“ (1. Korinther 8). Paulus lebte nicht als „Gesetzloser“.

An verschiedenen Stellen fasst Paulus die Erfüllung des Gesetzes Christi zusammen: „Du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst“ (Galater 6,2; 5,2; Römer 13,9). Die Orientierung an der Liebe zum Nächsten ist für Paulus handlungsleitend. Niemals aber löst die Liebe die Rückbindung an Christus ab oder auf. Sie verstärkt sie vielmehr.

Wir sehen in dieser Haltung auf Gott selbst: Er begibt sich aus Liebe mit uns Menschen auf Augenhöhe, damit er uns gewönne. Diese Liebe, die unsere Herzen erobert hat, fließt durch uns und ist begierig darauf, auch unseren Nächsten zu gewinnen.

Reflexion: Zu welchen Menschen in deinem Umfeld könntest du einen Zugang finden, indem du ihnen wie ein „Gesetzloser“ würdest? Gibt es für dich Grenzen, die du nicht überschreiten würdest? Welche wären das?

Den Schwachen bin ich ein Schwacher geworden, damit ich die Schwachen gewinne.

In diesem Vers fällt auf, dass Paulus nicht schreibt, ich bin wie ein Schwacher geworden, sondern ich bin ein Schwacher geworden. Mit „den Schwachen“ spielt Paulus auf den bereits angedeuteten Konflikt aus 1. Korinther 8,7-13 an. Ganz im Sinne der Liebe zum Nächsten, legt Paulus einen sensiblen und zurückhaltenden Umgang miteinander nahe.

Gleichzeitig betont Paulus, dass er um seine eigene Schwachheit und Bedürftigkeit weiß. Er ist ein Mensch. Es gehört zu ihm dazu, menschlich zu sein. Und gerade diese Menschlichkeit bietet Anknüpfungspunkte, anderen Menschen zu begegnen.

Meine eigene Schwäche einzugestehen, nimmt mir den Druck, der vermeintliche Held der Welt sein zu müssen. Vielmehr überlasse ich es dem, Retter zu sein, der tatsächlich die Kraft dazu hat, diese Welt zu retten. Dies ist hoffnung gebende Nachricht, gerade dann, wenn Schwäche und Zerbrechlichkeit an allen Enden unserer Welt herausbluten.

Reflexion: Was bedeutet „schwach sein“ für dich persönlich? Was verändert sich durch Gottes Stärke? Wo begegnet dir Schwäche, aber auch Gottes Stärke in deinem Umfeld?

Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise etliche rette. Alles aber tue ich um des Evangeliums willen, auf dass ich an ihm teilhabe.

Paulus passt sich den Menschen an, mit denen er unterwegs ist, jedoch ohne die Botschaft zu verändern oder die eigene Identität aufzugeben. Sein erklärtes Ziel ist es, Menschen zu gewinnen, dass sie gerettet werden. Christen sind Menschen-Gewinner. Sie sind keine von Gott beauftragten Erpresser, die Menschen in eine Beziehung mit Gott hineinlügen müssten. Wir sind berufen, Menschen-Finder zu sein, für Menschen, die gefunden werden wollen.

Das, was wir in die Welt hineinsprechen, zeugt von Gottes großem Versprechen: „Ich habe bereits alles gegeben. Ich habe bereits alles investiert. Komm und sieh selbst, dass du ein geliebter Mensch bist. Ohne Vorbedingungen und Knebel-Vertrag. Lass dich von mir retten, heraus aus Verstrickungen und Lügen. Heraus aus Verletzungen und den Dingen, die dir wie Wasser bis zum Halse stehen. Heraus in die Freiheit, für ein Leben in Gemeinschaft mit dem Schöpfer und mit deinen Mitmenschen“ (vgl. 2. Korinther 5,20).

Gottes gute Nachricht vertröstet mich nicht erst auf eine weit entfernte Zukunft, sondern sie gilt schon jetzt. Paulus durfte in seinem eigenen Leben erfahren, wie Dinge ganz neu wurden. Und er wurde Beobachter, wie Gott im Leben vieler weiterer Menschen sein schon jetzt wieder und wieder erfüllte. Paulus war bewegt von dieser Sehnsucht, noch mehr von diesen guten Geschichten zu erleben.

Je stärker ich in Gott verwurzelt bin, desto eher kann ich fremden Welten begegnen.

Immer wieder begegnen mir die Fragen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen: „Darf ich mit meinen Freunden Party machen gehen und Alkohol trinken, und wenn ja, wie viel?“ Vielleicht kennst du ähnliche Fragen. Manche Umgebungen, manche Kulturen lösen in uns ein Unbehagen aus, dass wir uns lieber fernhalten wollen. Ist das nicht alles ein bisschen zu „weltlich“? Gerade vor dem Hintergrund der Aufforderung, uns nicht der Welt anzupassen (Römer 12,2)? Doch wohin sonst sollten wir gehen als zu den Menschen, die uns umgeben?

Manchmal sind uns die Orte, wo sie herkommen, ganz schön fremd, und manches scheint ganz schön dunkel. Ich mag Paulus‘ Unerschrockenheit, mit der er sich in den unterschiedlichen Kontexten bewegt und sie kennt. Er ist ein bisschen wie ein Chamäleon, das die Farben ändern kann. Seine Anpassung an den Kontext hilft dabei, sich besser verständlich zu machen.

Er scheint dabei keine Sorge zu haben, dass die Außenwelt zu sehr auf ihn abfärbt. Vielmehr hat er den Vorteil eines „Farbwechsels“ im Blick, durch den er verständlicher für seinen Kontext kommunizieren kann.

Trotzdem kann ich die Frage gut nachvollziehen: „Wie viel Anpassung tut uns gut?“ Ich kenne Zeiten, in denen es mir guttut, die Gemeinschaft anderer Christen zu suchen. Doch je sicherer ich mich in Christus verwurzelt weiß, umso wagemutiger kann ich mich dorthin begeben, wo ich das Gefühl habe, dass Gott nicht da wäre, auch wenn er faktisch da ist.

Christen sind Herausgerufene, aber nicht Ausgesonderte. Keine Hinterweltler, die die Realitäten dieser Welt nicht kennen würden, sondern Himmelsbürger, die diese Welt mit Himmelsgedanken zur Heimat für Heimatlose gestalten, weil Gott selbst in unserer Welt Heimat genommen hat. Und je tiefer ich in ihm verwurzelt bin, umso weniger ist das Umfeld für mich Anfechtung oder Gefahr. Vielmehr wird jeder Ort ein Raum, wo ich erwarte, dass Gott selbst der Bedürftigkeit begegnet.

Christen sind Herausgerufene, aber nicht Ausgesonderte. Keine Hinterweltler, die die Realitäten dieser Welt nicht kennen würden.

Christen werden nicht daran erkannt, dass sie an heiligen Orten leben, sondern, dass sie damit rechnen, dem Heiligen auch an unheiligen Orten zu begegnen. Also lass dich mit Freunden oder Fremden an Orten sehen, die „unchristlich“, ja vielleicht sogar schäbig scheinen. Und sei ihnen ein Chamäleon, das sie versteht.

Reflexion: Gibt es Menschen oder Situationen, die du bisher meidest oder von denen du dich zurückgezogen hast, die du aber in nächster Zeit bewusst aufsuchen willst? Wie kann der Gedanke des Chamäleons dir konkret helfen, dein Gegenüber besser zu verstehen und besser verstanden zu werden?
 

Zur Autorin: Elena Bick hat Theologie an der Evangelischen Hochschule Tabor in Marburg studiert und ist Regionalreferentin der Hochschul-SMD in Bayern.

Dieser Artikel ist ursprünglich in der Zeitschrift Transparent 2_2022 erschienen. Wir danken der SMD, einem Netzwerk von Christen in Schule, Hochschule und akademischer Berufswelt,​ für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung.

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Kommentare (1)

Roland P. /

Klasse verständlicher Vortrag.
Danke

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