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11.08.2010 / Petrus Venerabilis / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Michael Reitz

Pazifist im Zeitalter der Kreuzzüge?

Der mittelalterliche Abt Petrus Venerabilis schwamm im Umgang mit Andersgläubigen gegen den Strom seiner Zeit. Ein Portrait.

Wer im 12. Jahrhundert Großabt von Cluny war, hatte sowohl weltlich als auch geistlich gesehen eine gute Position inne. Das Benediktinerkloster war direkt dem Papst verantwortlich und nicht wie üblich dem Bischof, in dessen Amtsbezirk sich ein Kloster befand. Kaiser, Könige und Fürsten suchten in Cluny Rat. Eine reiche Liturgie, prachtvolle Gebäude und ein üppiger Speisplan kennzeichneten das Klosterleben. Grund genug, sich auf diesen Privilegien und Annehmlichkeiten auszuruhen?

Nicht für Petrus Venerabilis (1094-1156). Der vielseitig begabte Mann führte in Cluny nicht nur notwendige Reformen durch, ihm lagen auch die Menschen seiner Zeit am Herzen. Er war ein vielbeschäftigter Seelsorger und erreichte zum Beispiel eine formelle Aussöhnung zwischen Bernhard von Clairvaux und dem als Häretiker angeklagten Peter Abaelard. Nach Abaelards Tod sorgte er dafür, dass der Leichnam des zu Lebzeiten unglücklich Liebenden und Lehrenden an seine Geliebte Heloise überführt wurde1. Weniger bekannt ist, dass Venerabilis auch zu den wenigen Personen gehörte, die sich im Mittelalter gegen die Kreuzzüge aussprachen.

Falsche Fakten führen zu Fanatismus

Die Menschen im Hochmittelalter wussten wenig über die Religion und das Leben der Menschen, die sie in den Kreuzzügen bekämpften. Das Wissen, das wir uns über das Internet und in Bibliotheken aneignen können, konnten sie nicht abrufen. Was ihnen zur Verfügung stand, waren die Anschauungen alter Quellen aus Byzanz. In ihnen war die Rede von einem Zauberer namens Mohammed und von sexueller Freizügigkeit in der islamischen Welt. Es war auch nicht bekannt, ob Muslime einen Gott oder mehrere Götter verehrten. Zu dieser Unwissenheit kam ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl hinzu, da die Muslime dem christlichen Abendland in manchen Bereichen der Wissenschaft und der Medizin überlegen waren. Darüber hinaus waren Palästina und Syrien – Ursprungsländer des christlichen Glaubens – seit dem frühen 7. Jahrhundert unter islamischer Herrschaft. Christen, die dort lebten, mussten eine Kopfsteuer bezahlen und konnten keine öffentlichen Ämter besetzen2. In dieser Situation rief Papst Urban 1095 zum ersten Kreuzzug auf, um Jerusalem von den muslimischen Machthabern zu befreien. Weitere Kreuzzüge folgten.

Liebe statt Hass

Peter der Ehrwürdige, so lautet sein Name in deutscher Sprache, wollte die christlichen Pilgerstätten zwar ebenfalls vom islamischem Einfluss befreit wissen, lehnte jedoch die Tötung Andersgläubiger und das brutale Vorgehen der Kreuzritter ab: „Ich jedoch greife euch (Muslime) nicht, wie die Unsrigen so oft tun, mit Waffen an, sondern mit Worten, nicht mit Gewalt, sondern mit Vernunft, nicht mit Hass, sondern mit Liebe.“3

Als einer der ersten abendländischen Menschen fing Venerabilis an, sich wissenschaftlich mit dem Islam auseinanderzusetzen. Er ärgerte sich über die Unkenntnis und Gleichgültigkeit, die seine Zeitgenossen dem Islam gegenüber an den Tag legten. Deswegen beauftragte der Cluniazenser mehrere Männer in Spanien, das damals teilweise unter islamischer Herrschaft stand, den Koran ins Lateinische zu übersetzen. Die Übersetzung von Robert von Ketton ist nicht ohne Fehler, Mängel und Übertreibungen, gibt aber im Wesentlichen die Lehren des Buches korrekt wieder. Dafür hatte Venerabilis Ketton eigens einen arabischspachigen Muslim zur Seite gestellt.

1143 lag der Koran zum ersten Mal in lateinischer Sprache vor. Damit erhielt die westliche Christenheit die Möglichkeit, sich direkt mit dem wichtigsten Buch der Muslime und ihrem Glauben auseinanderzusetzen. Welche Bedeutung die Übersetzung hatte, zeigt sich darin, dass sie 500 Jahre lang ein Standardwerk blieb und die Grundlage für die Übertragung in weitere Sprachen – u.a. ins Deutsche – bildete.

Worte statt Waffen

Seine Ablehnung gegenüber den Kreuzzügen machte der Abt auch öffentlich. So schrieb er beispielweise einen Brief an König Louis VII, in dem er darauf hin wies, dass Gott weder kaltblütigen Mord noch ein Abschlachten wolle und kritisierte die Teilnahme des Königs am zweiten Kreuzzug.

Er berief sich u.a. auf die Bibelstellen in Matthäus 26,524 und Offenbarung 19,215. Diese Stellen zeugen nach Petrus’ Verständnis von Jesu Ablehnung gegenüber Gewalt, denn er bezwingt seine Feinde mit dem Wort Gottes, symbolisch dargestellt mit dem Schwert aus dem Munde. Auch der Großabt wählte den apologetischen Weg der Auseinandersetzung und sah sich darin in den Spuren der Kirchenväter: „Es war meine Absicht, der Art jener Väter zu folgen, nach der sie niemals irgendeine Häresie ihrer Zeit, sei sie auch die leichteste, wenn ich so sagen darf, schweigend übergingen, sondern ihr mit allen Kräften des Glaubens widerstanden und sowohl schriftlich als auch durch Streitgespräche zeigten, dass sie ausgeräumt und verdammt werden muss.“6

Petrus verfolgte zwei Ziele: Zum einen wollte er Christen für die Auseinandersetzung mit dem Islam Argumente an die Hand geben und diejenigen, die sich durch die Konfrontation mit der fremden Religion verunsichert fühlten, in ihrem Glauben stärken. Zum anderen wollte er Muslime davon überzeugen, dass der christliche Glaube der richtige ist. Das Buch „Contra sectam Saracernorum“ richtete er direkt an sie, wie aus seinem Grußwort an die „Araber, Söhne Ismael, die ihr das Gesetz eines gewissen Muhammad befolgt“7 deutlich wird.

Licht und Schatten

„Liebe statt Hass, Worte statt Waffen“ – trotz dieser positiven Ansätze ist Venerabilis ein Kind seiner Zeit. Schattenseiten seiner Werke sind zum Beispiel seine Beschreibungen über Mohammed: Hier traf Petrus mit Sicherheit nicht unser heutiges Empfinden für einen respektvollen Umgangston. Auch das Leben des Propheten hat der Mönch – möglicherweise aufgrund von Fehlinformationen – nicht immer richtig wiedergegeben. Noch gravierender als diese polemischen oder falschen Darstellungen wiegt allerdings seine Schmähschrift „Adversus Judaeorum in veteram duritiem“. In ihr beschreibt er Juden als Menschen, deren Verstand „im Tierhaften befangen“8 sei und zweifelt an, ob sie überhaupt als Menschen betrachtet werden könnten. Nicht die Muslime sondern das jüdische Volk war in seinen Augen der eigentliche Feind der Christen, da sie für Jesu Tod verantwortlich waren.

Venerabilis' Ansatz, sich wissenschaftlich und fundiert mit den Quellen des Islam auseinanderzusetzen, kann jedoch als „Schritt in die richtige Richtung“9 gewertet werden. Auch seine Haltung gegen eine militärische Bekämpfung des Islam, die ihm große Vorwürfe inmitten der vorherrschenden Kreuzzugsstimmung einbrachte10, ist ein kleines Lichtzeichen in diesem dunklen Kapitel der Kirchengeschichte.


1 http://www.abaelard.de/abaelard/030008venerabilis.htm;

Armin Sierrszyn, 2000 Jahre Kirchengeschichte, Bd. 2, S.323

3 Petrus Venerabilis, Liber contra sectam sive haeresim Saracernorum

4 "Da sprach Jesus zu ihm: Stecke dein Schwert an seinen Ort! Denn wer das Schwert nimmt, der soll durchs Schwert umkommen."

5 Und die andern wurden erschlagen mit dem Schwert, das aus dem Munde dessen ging, der auf dem Pferd saß. Und alle Vögel wurden satt von ihrem Fleisch.

6 Petrus Venerabilis,Epistola ad Bernardum Claraevallis

7 Mathias Hildebrandt in: Friedensstiftende Religionen? Religion und die Deeskalation politischer Konflikte, S.49

8 Adriaan H. Bredero, Christenheit und Christentum im Mittelalter, S.232

9 Zimmermann/ I. Craemer-Ruegenberg (Hrsg.), Orientalische Kultur und europäisches Mittelalter, S.55

10 Mathias Hildebrandt, a.a.O., S.48


Mehr zum Thema Glaube, Kultur und Geschichte finden Sie auf der Seite Die Jesus Spur.

Quellen:

Adriaan H. Bredero, Christenheit und Christentum im Mittelalter, Franz Steiner Verlag Stuttgart, 1998

Armin Sierrszyn, 2000 Jahre Kirchengeschichte, Bd. 2, Hänssler Verlag Stuttgart, 1997

M. Brocker/ M. Hildebrandt (Hrsg.), Friedensstiftende Religionen? Religion und die Deeskalation politischer Konflikte. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008

Zimmermann/ I. Craemer-Ruegenberg (Hrsg.), Orientalische Kultur und europäisches Mittelalter, aus der Reihe: Miscellanea Mediaevalia/ Veröffentlichungen des Thomas-Instituts der Universität Köln 17, Verlag de Gruyter; 1985

wikipedia.org/Petrus_Venerabilis

wikipedia.org/Cluny

wikipedia.org/Kreuzzug

abaelard.de

(Stand aller Internetquellen: 13.07.2010; 16:10 Uhr)

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