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© Michael Schofield / unsplash.com

10.02.2021 / Interview / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Katja Völkl

„Wir brauchen Versöhnung“

Die amerikanische Weltenbummlerin Melissa Carlson über die politische Lage in den USA.

Gerade hat das zweite Impeachment-Verfahren gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump begonnen. Dabei geht es unter anderem um seine Rolle beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar: Inwieweit ist Trump für die Ausschreitungen mitverantwortlich? Die bei den Unruhen offensichtlich gewordenen Spaltungen im Land haben bei vielen Menschen zu Angst vor einem Bürgerkrieg geführt.
 

 

Sonja Kilian von ERF Medien hat mit der US-Amerikanerin Melissa Carlson über die aktuelle Lage im Land gesprochen. Aktuell lebt sie in einem Vorort von Chicago. Als interkulturell erfahrene Weltreisende weiß sie, wie unterschiedliche Wertvorstellungen das menschliche Miteinander beeinflussen besonders dann, wenn sich politische Meinungen gegeneinander aufschaukeln.

 

ERF: Melissa, als Joe Biden vor drei Wochen sein Amt als 46. Präsident der USA angetreten hat, haben viele Menschen das als neue Chance empfunden. Wie würden Sie die politische Stimmung in den USA beschreiben?

Ich kann mich noch gut an den Tag der Amtseinführung von Joe Biden erinnern. Viele Leute haben mir da gesagt, sie würden sich fühlen, als sei ihnen eine Last von der Schulter genommen. Und dass die ganze Atmosphäre sich gewandelt habe und sie wieder aufatmen könnten. Aber ich weiß, dass es auch Menschen gab, die sehr verärgert waren, weil sie der Meinung waren, dass die Wahlen nicht fair abgelaufen seien. Außerdem gibt es Bürger, die Angst davor haben, was Biden beschließen wird und wie das die konservativen Werte beeinflussen wird, an denen sie festhalten.

Kein Bürgerkrieg, aber unmenschliche Auseinandersetzungen

ERF: In letzter Zeit wurde immer wieder davon gesprochen, dass die USA kurz vor einem Bürgerkrieg stünden. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?

Ich denke nicht, dass Amerika in einen Bürgerkrieg hineingerät. Aber Präsident Biden sagte in seiner Rede zur Amtseinführung, dass wir in den letzten Jahren keinen Bürgerkrieg, sondern unbürgerliche, also unmenschliche Auseinandersetzungen erlebt hätten. Genauso sehe ich das auch. Das trifft zu für viele Leute, die einfach genug haben von dem ganzen Chaos und den Meinungsverschiedenheiten. Es ist schließlich eine herausfordernde Zeit für uns als Land gewesen.

Allerdings gibt es auch Bürger, die quasi auf der Lauer liegen, um zur Tat zu schreiten, sobald Ex-Präsident Trump sie zum Handeln aufruft. Doch ich glaube nicht, dass das die Mehrheit seiner Anhänger ist. Ich glaube zwar schon, dass es ein Potential zu mehr Gewalt gibt. Aber ich hoffe, sie wird nicht zum Ausbruch kommen, weil ich weiß, dass Trump in vier Jahren wieder auflaufen will. Deshalb wird er wohl kaum etwas tun, das seine Chancen zur erneuten Präsidentschaft gefährden könnte. Das gibt mir berechtigte Hoffnung, dass es zu keiner weiteren Gewalt durch unzufriedene Wähler kommen wird.

Ich glaube zwar schon, dass es ein Potential zu mehr Gewalt gibt. Aber ich hoffe, sie wird nicht zum Ausbruch kommen, weil ich weiß, dass Trump in vier Jahren wieder auflaufen will. Deshalb wird er wohl kaum etwas tun, das seine Chancen zur erneuten Präsidentschaft gefährden könnte. Das gibt mir berechtigte Hoffnung, dass es zu keiner weiteren Gewalt durch unzufriedene Wähler kommen wird.

Nur die eigene Meinung zählt

ERF: Wie wirkt sich all das auf das alltägliche Leben aus, in den Familien, am Arbeitsplatz, in den christlichen Gemeinden?

Ein großes Thema hier ist zurzeit die so genannte „Zensur“. Besonders in den sozialen Medien. Ich glaube, dass viele Menschen – besonders Trump-Anhänger – wütend waren, weil soziale Medien die Übermittlung einiger Nachrichten eingeschränkt haben, beziehungsweise Trump von sozialen Plattformen komplett entfernt haben. Die Reaktion darauf war, dass sich exklusive Gruppen bildeten, die Menschen mit anderer Meinung ausgeschlossen haben. Es gibt - zum Beispiel auf Facebook – viele Leute, die nur noch Freunde haben, die mit ihnen gleicher Meinung sind.

Ich kann in den USA den Trend erkennen, dass Menschen keine Lust mehr haben, in den Dialog zu treten oder sich einer offenen Diskussion zu stellen. Stattdessen meiden sie den Kontakt mit jedem, der nicht ihre politischen Ansichten teilt. Die Leute erschaffen sich ihre eigene kleine Welt – fernab vom Konflikt. Ich denke, das birgt eine große Gefahr, weil wir nicht mehr miteinander reden. Wir hören nur noch unsere eigene Meinung, die uns Menschen mit gleichen Ansichten widerspiegeln.
 

ERF: Ein weiteres wichtiges Thema sind also die Medien. Der Vorwurf sowohl von Seiten Donald Trumps als auch seiner Anhänger war – wie Sie eben beschrieben haben – dass die etablierten Medien parteiisch zugunsten der Demokraten seien. Außerdem distanzierten sich die Sozialen Netzwerke wie Twitter und Facebook in der letzten Phase seiner Amtszeit von Trump und sperrten seine Accounts. Wie ist das denn aufgenommen worden von den Menschen?

Viele Trump-Unterstützer haben den Eindruck, dass die Medien Trump gegenüber voreingenommen sind. Darum haben viele seiner Anhänger ihr Vertrauen in die Medien verloren und glauben nicht mehr alles, was sie in den Nachrichten lesen. Sie haben eine neue Art der Informationsbeschaffung gefunden: über kleine und etwas größere Online-Communities und Plattformen, wo sie die Art von Information finden oder selbst veröffentlichen können, die sie für wahr halten. Das hat eine weitere Spaltung unseres Landes zur Folge, weil scheinbar niemand mehr miteinander sprechen will – im Sinne von einem Austausch. Jeder hat schon seine Meinung vorab gebildet. Und es ist schwer, dieses Verhalten wieder zu ändern.

Verbundenheit in Christus muss Vorrang vor politischen Ansichten haben

ERF: Was ist jetzt die Aufgabe von christlichen Gemeinden, was können Sie tun?

Wir müssen für zwischenmenschliche Versöhnung in Amerika beten. Es gibt nämlich so viele Beziehungen, die zerbrochen sind. Manchmal sogar nur wegen unterschiedlicher politischer Weltansichten, an denen einige Menschen unerschütterlich festhalten. Als Christen sollten wir uns meiner Meinung nach anders verhalten. Wir sollten zuerst daran denken, dass wir Christen sind und dass unsere politische Loyalität nicht über unserem Glauben steht. Und dass die Tatsache, dass wir in Christus verbunden sind, Vorrang hat vor einer politischen Parteizugehörigkeit. Wir sollten beten, dass wir diese Trennung überbrücken können und einander mit Liebe und Gnade sehen können, damit Versöhnung möglich wird.

Wir sollten beten, dass wir diese Trennung überbrücken können und einander mit Liebe und Gnade sehen können, damit Versöhnung möglich wird.

ERF: Melissa Carlson, vielen Dank für das Gespräch!

 

 Katja Völkl

Katja Völkl

  |  Moderatorin und Redakteurin

Die gebürtige Münsteranerin ist Live-Moderatorin in „Aufgeweckt“ und für aktuelle Berichterstattung zuständig. Von Hause aus ist sie Lehrerin für Deutsch und Philosophie und Sprecherzieherin. Sie liebt Hunde, geht gerne ins Kino und gestaltet Landschaftsdioramen.

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