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02.11.2023 / Zum Schwerpunktthema / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Andreas Odrich

(Kein) Krieg der Generationen!?

Die Generationen sind im Wandel. Gibt es gemeinsame Wege für ein harmonisches Miteinander?


„Wir kündigen den Generationenvertrag.“ So prangt es auf der Homepage1 und auf Plakaten einer Initiative junger Leute um die 20. Sie haben „genug von der älteren Generation“, die „nur an Fortschritt und Wirtschaftswachstum glaubt“ und dadurch „die Zukunft der nachfolgenden Generationen zerstört“. Hauptsächlich ist diese Gruppierung in den Ballungszentren aktiv, wie zum Beispiel in Berlin.

Dort haben schon vor Jahren die ehemals jugendlichen Hausbesetzer im hippen Bezirk Kreuzberg eine Bürgerinitiative gegründet. Die sogenannten „Alt-68er“, inzwischen selbst im Pensionsalter, kämpfen gegen zu viel Partylärm. Sie möchten es im Gegensatz zu der meist jungen Partygemeinde, die nachts durch die Straßen tingelt, so ruhig und mucksmäuschenstill haben wie auf der Schwäbischen Alp.
 

Jeder ist schuld

Doch befinden wir uns wirklich im Krieg der Generationen? Ist Kreuzberg tatsächlich Symbol und Trendsetter für ganz Deutschland?

Die beiden Beispiele sprächen dafür. Wenn ich die sozialen Medien durchforste, dann verschärft sich dieser Eindruck. Die ältere Generation der sogenannten „Boomer“ um die 60 Jahre trägt zahlreichen Posts zufolge die Alleinschuld an Umweltzerstörung und Vernichtung der Lebensgrundlagen künftiger Generationen.

Umgekehrt wird auch die sogenannte, junge „Gen-Z“ (Generation Z) gerne mit Vorurteilen überschüttet. Demnach gilt sie als arbeitsscheu, egozentrisch und schlicht lebensunfähig.
 

Mitten im kalten Krieg

Doch Vorsicht, bitte! Es ist nicht sicher, wer diese Einträge wirklich verfasst hat. Hinter „Didlmaus17“ und „HerbertWach“ könnten auch sogenannte Trolle stecken, die die miese Stimmung künstlich anheizen.

Doch Vorsicht, bitte! Es ist nicht sicher, wer diese Einträge wirklich verfasst hat. Hinter „Didlmaus17“ und „HerbertWach“ könnten auch sogenannte Trolle stecken, die die miese Stimmung künstlich anheizen.

Seriöser geht es zu bei dem Altersforscher, Philosophen und Mediziner Johannes Pantel von der Goethe-Universität Frankfurt. Auch er sieht einen „Kalten Krieg der Generationen“ aufziehen2, einen „Kampf um die Ressourcen“, der die „Lebens- und Überlebenschancen“ vor allem der künftigen Alten „massiv bedrohen“ könnte, wie er in seinem gleichnamigen Buch von 2022 festhält. 

Von der Hand zu weisen ist das alles nicht. So warnt eine Studie der Diakonie in Hessen aus dem Juni 2023 davor, dass ein Drittel aller Pflegeeinrichtungen des Bundeslandes von Insolvenz bedroht sei, und beklagt zudem einen akuten Fachkräftemangel.3

Umgekehrt schreiben junge Eltern in den Ballungsräumen unseres Landes schon zur Geburt ihres Kindes stapelweise Bewerbungen für einen Krippen- oder Kitaplatz, ohne zu wissen, ob es diesen für ihren Sprössling auch geben wird. Auch hier der Grund: Fachkräftemangel.4
 

Wir sind im gleichen Boot

Spätestens hier wird deutlich: Der medial aufgeheizte Krieg der Generationen ist gar keiner, er hätte auch gar keinen Sinn. Denn letztlich kämpfen alle Altersgruppen mit ähnlichen Herausforderungen.

Der medial aufgeheizte Krieg der Generationen ist gar keiner.

 

So belegt eine Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung vom September 2023, dass die Zukunftssorgen der unterschiedlichen Generationen sogar weitgehend identisch sind: Klimawandel, Spannungen zwischen Europa und Russland, Inflation und Angst vor Desinformation.5  

Es wäre daher kontraproduktiv und töricht, den sogenannten Generationenvertrag aufzukündigen. Denn nur gemeinsam lassen sich die immensen Herausforderungen lösen.
 

Der Ur-Generationenvertrag

Der Generationenvertrag im politischen Sinne geht auf das 18. und 19. Jahrhundert zurück. Er meint einen fiktiven Gesellschaftsvertrag, bei dem (verkürzt gesagt) die Jungen die Renten der Alten tragen, um dann, wenn sie selbst alt geworden sind, ebenfalls davon zu profitieren.

Der Urgedanke eines Generationenvertrages findet sich bereits in den Zehn Geboten, den Kerngesetzen menschlicher Zivilisation. „Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass du lange lebest auf Erden“ (2. Mose 20,12). So übersetzt Martin Luther das vierte Gebot, das die Basis legt für ein gelingendes Miteinander in einem Volk oder Staatswesen.

Dieser Ur-Generationenvertrag des vierten Gebots funktioniert wie ein endlos geknüpftes Seil. Die erwachsenen Kinder, die einst als hilfsbedürftige Babys von den Eltern großgezogen und ernährt wurden, kümmern sich um die nunmehr pflegebedürftigen Eltern. Damit geben sie der nachfolgenden Generation ein Vorbild, welche ihrerseits eines Tages gefragt sein wird, die Verantwortung für die Altgewordenen zu übernehmen. Ein Seil, das niemals abreißt und durch seine enge Verflechtung eine ungeheure Stabilität entwickelt.
 

Gefahr Individualisierung

Das hat seit Jahrtausenden so oder ähnlich funktioniert. Erst die starke Individualisierung in westlich geprägten Dienstleistungs- und Industriegesellschaften des 20. und 21. Jahrhunderts scheint dieses Miteinander zu gefährden. Nicht mehr die Gemeinschaft, die füreinander sorgt, steht im Vordergrund, sondern das einzelne Individuum. Das Zusammenwirken der Gemeinschaft aller, der Solidargedanke, droht dahinter zu verblassen – auch im Blick auf die Verantwortung der Generationen untereinander.
 

Voneinander lernen

Doch das Zusammenspiel der Generationen beschränkt sich nicht nur auf die Versorgung im Alter. Dass Menschen jeden Alters zusammenwirken, hat sich schon immer bewährt. Lehrling, Geselle, Meister – die alte Hierarchie der Handwerkszünfte hat sich über Jahrhunderte gehalten. Richtig verstanden wurde hier fundiertes Wissen von Generation zu Generation weitergetragen.

Heute hat sich der Bedarf nach Wissen und Weiterentwicklung um ein Vielfaches potenziert. Damit das Wissen in die Praxis umgesetzt und eingeübt wird, braucht es jeden, weil die Herausforderungen wesentlich komplexer geworden sind.

Deshalb können heute die verschiedenen Generationen voneinander lernen. Die Boomer um die 60 Jahre mit ihrer Tendenz zu traditionellen Arbeitsstrukturen und Beständigkeit können von der Flexibilität und der Suche nach Sinn in der Arbeit der jungen Generationen Y und Z profitieren. Die Kombination aus Erfahrung und Stabilität der Boomer kann den technologischen Vorsprung der Jungen ergänzen.

Der Schlüssel gemeinsamen Handelns: Empathie und Interesse aneinander – beim Plausch an der Kaffeebar genauso wie in eigens dafür geschaffenen Seminaren.
 

Modell christliche Gemeinde

Hier könnten die christlichen Gemeinden zum Vorbild werden. Gewiss, es gab einige Gemeindespaltungen aufgrund von Streitigkeiten verschiedener Generationen. Und dennoch ist die klassische christliche Gemeinde ein idealer Ort, an dem sich die unterschiedlichen Generationen begegnen: von der Krabbelgruppe, über die verschiedenen alters- und interessengerechten Gemeindegruppen bis hin zum Fahrdienst für die Hochbetagten.

Überall dort, wo die Gemeinde dies aktiv lebt, lernen die unterschiedlichen Generationen miteinander zu leben und zuweilen auch zu streiten und dennoch einen gemeinsamen Lösungsweg zu finden.

Die Aufforderung des Apostels Paulus in 1. Korinther 12,12-14 zur Einheit in Verschiedenheit spricht jedenfalls eine unmissverständliche Sprache: „Denn gleichwie der Leib einer ist und doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obwohl sie viele sind, doch ein Leib sind: so auch Christus.“
 

Biblische Vorbilder

Dass dieses Zusammenwirken der Generationen keine Einbahnstraße von Alt nach Jung sein muss, zeigen zahlreiche Vorbilder der Bibel. Im Kampf der Israeliten gegen die Amalekiter unterstützen die beiden Jüngeren den älteren Mose, als er Gott um Hilfe bittet. (2. Mose 17,8-13; 4. Mose 27,18-23).

Die Jünger (oder etwa „Schüler“) von Jesus sind im erweiterten Kreis eine wilde Mischung unterschiedlich alter Frauen und Männer. Im berühmten Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus wendet sich der alte, gesetzestreue und hochgebildete Nikodemus an den jungen Wanderprediger Jesus. (Johannes 3,1-21). Und der Lehrer der frühen Christenheit, Paulus, bereitet wie ein Trainer und Coach Timotheus darauf vor, in seine Fußstapfen zu treten (2. Timotheus 1,1-7).
 

Wir wirken zusammen

Die Beispiele aus der Bibel zeigen: Zusammenwirken der verschiedenen Generationen ist möglich und führt zu einem gemeinsamen Ziel. Natürlich gibt es die Unterschiede. Doch ist es besser, voneinander zu profitieren und das Verbindende nicht aus dem Blick zu verlieren, als sich misstrauisch zu beäugen und sich gegenseitig nichts zuzutrauen.

Jeder bringt seine Gaben und Fähigkeiten ein – Weisheit, Erfahrung, neue Ideen, frische Energie. Mit Respekt, Demut und der Bereitschaft, einander zuzuhören und voneinander zu lernen, lassen sich die Grundlagen in Gemeinde und Gesellschaft für ein inspirierendes Zusammenwirken der Generationen schaffen. Und genau das brauchen wir in diesen herausfordernden Zeiten.

Jeder bringt seine Gaben und Fähigkeiten ein. So lässt sich ein inspirierendes Zusammenwirken der Generationen schaffen.

 

Schreiben Sie dem Autor Ihre Gedanken zum Thema unter [email protected]

 

2 Pantel, Johannes, Krieg der Generationen, Herder, 2022.

3 „Ein Drittel der Pflegeeinrichtungen in Hessen von Insolvenz bedroht“, www.diakonie-hessen.de

4 „Bundesweit fehlen 378.000 Kitaplätze“, www.tagesschau.de

 Andreas Odrich

Andreas Odrich

  |  Redakteur

Er verantwortet die ERF Plus-Sendereihe „Das Gespräch“. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und ist begeisterter Opa von drei Enkeln. Der Glaube ist für ihn festes Fundament und weiter Horizont zugleich.

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