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08.05.2019 / Bericht / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Regina König

Europawahl: Schicksalswahl?

Am 26. Mai wählen die EU-Bürger ein neues Europaparlament. Nicht wenige sehen darin eine Schicksalswahl für den Kontinent.

Am 26. Mai sind die EU-Bürger aufgerufen, ein neues Europaparlament zu wählen. Nicht wenige sehen darin eine Schicksalswahl für den Kontinent und befürchten einen Rechtsruck und die Erosion der Volksparteien. Steht die Zukunft Europas auf dem Spiel? Die ehemalige Grünen-Politikerin Antje Hermenau bleibt gelassen – und wirbt in ihrem neuen Buch für ein neues Verständnis für Mitteleuropa. Regina König hat die Publizistin in Dresden getroffen.
 

 

„Für den Kontinent halte ich die EU-Wahl nicht für eine Schicksalswahl und ich glaube nicht, dass Europa aus den Fugen gerät. Aber es wird politische Korrekturen geben, davon gehe ich aus.“ Fast ein Vierteljahrhundert hat Antje Hermenau selbst Politik gemacht, saß für die Grünen im sächsischen Landtag und im Bundestag. Vor fünf Jahren ist sie ausgestiegen aus der Politik, doch die großen Themen lassen sie nicht los. Warum nimmt die Unruhe in Europa zu und warum rückt der Osten nach rechts? Ihre Antworten, komplex – und gleichzeitig sehr menschlich. Ostdeutsche sind keine Rassisten, betont sie, doch dass hunderttausende arbeitslose Migranten Sozialleistungen beziehen, enttäusche die Menschen im Osten in ihrem leistungsbezogenen Gerechtigkeitsgefühl. „Wir haben hier in Sachsen zum Beispiel lange Zeit bei den Sozialausgaben den Platz 16 (unter den Bundesländern) inne gehabt; wir haben gespart und waren sehr darauf bedacht, dass das Geld, das wir über den Solidarpaket bekommen, in Investitionen fließt. Wir haben uns also alle angestrengt, und jetzt sagen die Bürger, `für uns war damals kein Geld da,´ und dann vergleichen sie, und das finden sie nicht fair.“

Für den Kontinent halte ich die EU-Wahl nicht für eine Schicksalswahl und ich glaube nicht, dass Europa aus den Fugen gerät. Aber es wird politische Korrekturen geben, davon gehe ich aus. – Antje Hermenau

Nachwendeleistungen wurden nicht anerkannt

Antje Hermenau (Foto: privat)
Antje Hermenau (Foto: privat)

Ganz ähnlich fühlen sich die osteuropäischen Nachbarn, sagt Antje Hermenau. Auch Polen, Ungarn, Tschechen und Slowaken hätten sich mit Fleiß der neuen Zeit angepasst.  „Sie haben sich reingehängt, haben gelernt, wie die soziale Marktwirtschaft funktioniert, haben sich Unternehmensberater angehört, die ihnen erklärt haben, wie es laufen muss. Dann haben sie sich reingekniet und gesagt: so kann ich mir Besitz und Eigentum erarbeiten, so will ich leben.“

Doch diesen Ehrgeiz und Fleiß scheinen weder Berlin noch Brüssel zu honorieren – so der Eindruck vieler Ostdeutscher und Osteuropäer. Das dämpft die Begeisterung für Europa. Eine noch größere politische Unruhe wird allerdings aufkommen, glaubt Antje Hermenau, wenn das Wirtschaftswachstum in der EU nachlassen wird. Damit stünde auch weniger Geld für Sozialausgaben zur Verfügung.

Die Zukunft liegt in Mitteleuropa

Grundsätzlich, so die ehemalige Grünenpolitikerin, würde es Deutschland gut tun, 30 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sich wieder mehr den osteuropäischen Nachbarn zuzuwenden: Polen, Tschechen, den baltischen Staaten, Ungarn, der Slowakei. Denn mit Österreich oder auch der Schweiz bildeten sie gemeinsam mit Deutschland den Kern des alten Europas, sprich: Mitteleuropa. Mitteleuropäer hätten eine andere Mentalität und Wirtschaftsstrategie als die ehemaligen großen Kolonialmächte wie Frankreich, Spanien oder Großbritannien. „Der Mitteleuropäer hat wenig Zugang zum Meer, und wenn, dann über die Ostsee, die ja nicht so ganz gilt, (lacht auf). Man muss kooperieren, damit man überhaupt an einen Hafen herankommt, um exportieren zu können. Man ist es also gewöhnt, zu kooperieren, man streitet sich, versöhnt sich aber auch wieder. Außerdem ziehen Mitteleuropäer dem russischen Bären nicht mutwillig am Schwanz – macht man einfach nicht. Und Mitteleuropäer erarbeiten ihren Wohlstand selbst und verlassen sich nicht auf Geldströme, die irgendwo von außen hereinfließen.“

Stark durch den Glauben

Antje Hermenau begann ihre politischen Aktivitäten in der Wendezeit, als sie Mitglied des Runden Tischs der Stadt Leipzig war. Von 1990 bis 1994 saß sie als Abgeordnete für Bündnis90/Die Grünen im Sächsischen Landtag.  Zwischen 1994 und 2004 war sie Mitglied des Deutschen Bundestages. 2004 gab sie ihr Bundestagsmandat auf, um als Abgeordnete und Fraktionschefin der Bündnisgrünen in der sächsischen Landtagsfraktion tätig zu sein. Zehn Jahre später, im September 2014 erklärte Hermenau ihren Rückzug von allen politischen Ämtern. Im Januar 2015 trat sie nach 25 Jahren aus der Partei aus. Heute ist sie als Publizistin und Unternehmensberaterin tätig.

Europa wird unruhiger, glaubt Antje Hermenau, doch in der Krise könnten sich die Völker Europas vielleicht wieder auf das zurückbesinnen, was ihren Kontinent jahrhundertelang geprägt und stark gemacht hat: die christliche Religion. Sie selbst hat als Erwachsene zum Glauben gefunden und hofft, dass die Kirchen Europas die Zeichen der Zeit erkennen werden. „Wenn die Erschütterungen in der Welt zunehmen, weil andere Kontinente und Länder auch etwas vom Kuchen abhaben wollen – was ich ihnen nicht verdenken kann!  - dann wird es wieder Zeit, dass sich auch die Kirche ein Herz fasst. Aber wenn sie weiterhin nur zeitgeistig unterwegs ist, wird sie auf Dauer kein Angebot machen können. Aber ich würde mir wünschen, dass die Stärkung und Festigung, die ich selbst durch den Glauben erfahren habe, auch andere Menschen erleben  können.“

 Regina König

Regina König

  |  Redakteurin

Für ERF Plus in Mitteldeutschland unterwegs. Sie ist verheiratet und hat vier Kinder.

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