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© Karl-Heinz Münker-Appel, via Wikimedia Commons CC BY-SA 2.0 de

24.05.2016 / Interview / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Andreas Odrich

Der Kniefall von Warschau

Das sichtbare Zeichen der Versöhnung zwischen den Völkern Deutschland und Polen.

Versöhnung  – das ist ein Themenschwerpunkt von ERF Medien. In unserer Reihe „Versöhnung zwischen den Völkern“ geht es um ein Ereignis, das in den Beziehungen zwischen Deutschen und Polen einen Wendepunkt markierte: Der damalige deutsche Bundeskanzler Willy Brandt weilte im Dezember 1970 in Polen, das damals noch eine kommunistische Regierung hatte. Am 7. Dezember wollte er am Warschauer Ehrenmal für die Toten des von den Nazis ausgelöschten Warschauer Ghettos einen Kranz niederlegen. Spontan kniete er damals nieder, um die Opfer des NS-Terrors zu ehren – eine Geste, die um die Welt ging. Michael Klein von der Redaktion ERF Aktuell hat hat seine eigenen Erinnerungen an diesen Ereignis  – wir haben mit ihm darüber gesprochen.
 

ERF: Michael, wie hast Du das damals wahrgenommen?

Michael Klein: Ich war gerade 15 Jahre alt – und das war die Zeit, in der ich anfing, mich damit auseinanderzusetzen, was meine Vätergeneration im Krieg angestellt hatte. Davon erfuhren wir übrigens nichts in der Schule – denn die meisten unserer Lehrer waren selbst dabei gewesen. Man musste also hartnäckig nachfragen. Hinzu kam, dass Anfang der 70er Jahre zwischen Nato und Warschauer Pakt der so genannte „Kalte Krieg“ weiter köchelte und brodelte.

In diese Situation hinein wurde ein Politiker zum Kanzler gewählt, der versprochen hatte, die Beziehungen zu unseren östlichen Nachbarn auf eine neue Grundlage zu stellen. Ich war bereits leidenschaftlicher Tagesschau-Gucker und habe die Bilder von Brandts Warschauer Kniefall abends gesehen. Selbst auf dem Fernsehbildschirm war das ein ganz bewegender Moment. Da war zu spüren: Hier macht einer ernst mit Versöhnung und Abbitte – und das nicht aus politischem Kalkül, sondern aus innerster Überzeugung.
 

ERF: Wie reagierte denn die deutsche Öffentlichkeit auf Brandts Geste?

Michael Klein: Der Warschauer Kniefall löste wie kein anderes Ereignis jener Jahre heftigste Reaktionen und Emotionen in allen politischen Lagern aus. Man muss bedenken: Die Generation der Kriegsteilnehmer war damals um die 50 Jahre alt. Und viele aus dieser Generation litten am Trauma, Angehörige einer missbrauchten Generation zu sein. Oder sie suchten nach Rechtfertigung für ihre Jugendsünden. Sie waren mit ihrer eigenen Biographie unversöhnt. Konservative Kreise heulten auf. Für sie war Brandts Demutsgeste eine Demütigung. Wir Jüngeren fragten uns – und unsere Eltern – natürlich: „Warum tut der das eigentlich?“ Meistens ernteten wir betretenes, aber hartnäckiges Schweigen. Das Verhältnis Deutschland-Polen stand aber plötzlich ganz oben auf der Tagesordnung des politischen Diskurses.


ERF: Was steckte denn politisch dahinter, dass plötzlich so heftig über die Beziehungen zwischen beiden Völkern debattiert wurde?

Es ging vor allem um die Grenze zwischen Deutschland und Polen. Die alten preußischen Provinzen Schlesien, Pommern und Ostpreußen lagen jenseits von Oder und Neiße. Und an diesen beiden Flüssen verläuft seit dem 2. Weltkrieg die Grenze. Damals gab es noch keinen Vertrag, der das absicherte. Gegen einen solchen Vertrag gab es eine sehr lautstarke Opposition. Wer sich dafür aussprach, wurde schnell als „Verräter“ tituliert – nicht von „Radikalen“, wohlgemerkt, sondern von etablierten Politkern. In der Folge des Warschauer Kniefalls kam es dann zu den so genannten Ostverträgen – als die im Bundestag debattiert wurden, flogen die Fetzen. Ich entsinne mich noch an den leidenschaftlichen Ausruf des damaligen CDU-Oppositionsführers Rainer Barzel: „So nicht, Herr Brandt!“
 

ERF: Wie wurde Brandts Kniefall in Polen aufgenommen?

Michael Klein: Polen war ein junges Land. Es entstand als eigener Staat erst 1919. In seiner Geschichte war es immer wieder unter den großen Anrainern Deutschland, Österreich und Russland aufgeteilt worden – allein im ausgehenden 18. Jh. dreimal. Ängste der Menschen, erneut unter eine Fremdherrschaft zu geraten, waren also latent und durchaus nachvollziehbar. Genau das ist heute wieder zu beobachten: Derzeit fürchten die Polen, erneut in den russischen Machtbereich zu geraten, aus dem sie sich durch die Ereignisse der Jahre 1989/90 befreit hatten - nicht zuletzt durch die Opposition der Gewerkschaft „Solidarnosc“ seit 1981 und durch das Engagement der kath. Kirche.
 

ERF: Wie ist es heute um die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen bestellt?

ERF: Die momentane polnische Regierung fremdelt etwas mit dem westlichen Nachbarn Deutschland. Ich war vor einem Jahr in Görlitz. Die Stadt liegt auf beiden Neiße-Ufern und war bis zum Mauerfall durch eine schwer bewachte Grenze geteilt. 1990, bei meinem ersten Besuch dort, herrschte auf beiden Seiten noch eine unglaubliche Tristesse. Überall Zerfall und Zerstörung. Heute spaziert man durch eine blühende Doppelstadt. Über eine freundlich einladende Brücke kommt man ohne jede Kontrolle vom deutschen in den polnischen Teil, sitzt auf der Terrasse eines polnischen Lokals am Ufer der Neiße, plauscht mit polnischen Studenten am Nebentisch auf Deutsch, Englisch oder einer Mischung aus beidem und denkt sich hinterher: Unfassbar, dass unsere Väter und Großväter dazu gebracht worden waren, aufeinander zu schießen …
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch. 

 Andreas Odrich

Andreas Odrich

  |  Redakteur

Er verantwortet die ERF Plus-Sendereihe „Das Gespräch“. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und ist begeisterter Opa von drei Enkeln. Der Glaube ist für ihn festes Fundament und weiter Horizont zugleich.

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Kommentare (2)

Libby /

Es mag gute Gründe gegeben haben, wie Torsten schreibt, dass nach dem Holocaust die polnische Grenze nach Westen verschoben wurde. schließlich war Hitler nach Polen eingefallen und gab dem 2. mehr

Torsten /

Schön geschrieben mit Emotionen und Teilwahrheiten. Polen wurde nach dem II. WK nach Westen verschoben. Nicht einmal die vereinbarte Oder-Neiße-Grenze wurde eingehalten. In den sog. Ostverträgen mehr

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