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22.01.2021 / Buch-Rezension / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Vera Nölke

Deutungshoheit – die Muster der Meinungsmacher

Kommunikationsberater Sebastian Callies beschreibt in seinem Buch das Vorgehen einflussreicher Personen auf sozialen Netzwerken.

Beim Lesen der aktuellen Schlagzeilen kann sich ein Nutzer der Sozialen Medien fragen: Wie konnte eine 18-jährige Schülerin, wie Greta Thunberg aus Schweden, so einen Einfluss auf die Klima-Bewegung nehmen? Woran liegt es, dass der ehemalige US-Präsident Donald Trump und seine Tweets so viel Aufmerksamkeit erzeugten und Einfluss nahmen?

Und Lifestyle-Influencerin Kim Kardashian prägt auf Instragram und durch ihre Reality-Show im TV das Leben vieler Menschen durch skandalöse Beiträge, und ist eine der erfolgreichsten Influencerinnen weltweit. Woran liegt das? Vera Nölke hat darüber mit dem Kommunikationsberater Sebastian Callies gesprochen, der zu dieser Thematik jetzt ein Buch veröffentlicht hat.
 

Als Kommunikationsberater ist Sebastian Callies viele Jahre im Werbe- und Medienbereich tätig. In den letzten Jahren nimmt er eine Veränderung wahr: Die öffentliche Kommunikation wird personalisiert. Führungspersönlichkeiten wie Donald Trump oder Elan Musk, eine Schülerin wie Greta Thunberg oder ein Wirtschaftsunternehmen wie Red Bull äußern auf den sozialen Netzwerken direkt ihre Meinungen und Interessen. Nutzerinnen und Nutzer lesen diese Meinungen „ungefiltert“. Die Statements, Interessen und Meinungen der einzelnen Personen fliegen direkt zu den Nutzern ganz persönlich aufs Smartphone, Tablet oder Notebook.

Was war früher anders?

Früher halfen Journalisten mit ihrem „Handwerkszeug“ bei der Meinungsbildung. Dieses Handwerkszeug umfasst Recherchearbeiten und Fragen wie:

  • Warum sagt die Person das aus?
  • In welcher Rolle sagt sie das?
  • Gibt es Quellen, die ihre Aussagen belegen oder widerlegen?

Leserinnen und Leser der Zeitungen bildeten sich durch das Lesen der Artikel ihre eigene Meinung.

Heute: Meinungsmacher neuen Typs

Auf den sozialen Plattformen entsteht ein Marktplatz der Meinungen. Jeder und jede kann für ihre Meinungen eintreten und auf dem virtuellen Marktplatz die eigene Sichtweise äußern. Das ist an und für sich legitim, sagt Sebastian Callies, und macht auf zwei gegensätzliche Eigenschaften dieser Kommunikation aufmerksam. Die Chance: Meinungsmacher regen andere zum Handeln an. Die Gefahr: Influencer, Konzerne und Politiker bringen Menschen dazu, etwas zu unterstützen, was sie gar nicht wollen, nur weil bestimmte Kommunikationsmuster greifen.

Das Anliegen des Autors ist, auf diese Kommunikationsmuster aufmerksam zu machen und Möglichkeiten vorzuschlagen, durch das Hinterfragen der gelesenen oder gehörten Meinungen eine eigene Sicht auf die Dinge zu entwickeln. Dazu nennt der Medienexperte Fragen wie: Woher kommt meine eigene Meinung? Warum teile ich diese Meinung oder warum auch nicht? Dieses Vorgehen nennt Callies Meinungskompetenz.

Das Anliegen des Autors ist, auf diese Kommunikationsmuster aufmerksam zu machen und Möglichkeiten vorzuschlagen, durch das Hinterfragen der gelesenen oder gehörten Meinungen eine eigene Sicht auf die Dinge zu entwickeln.

Wie wir selbst unser Denken bestimmen

Der Algorithmus erschwert dem Nutzer, sich eine eigene Meinung zu bilden. Dabei ist der Algorithmus ein Schlüssel aus gesammelten Daten: Was wir schon angesehen haben, bestimmt das, was wir als Nächstes sehen werden. Aber nicht nur das. Was ähnlich ist zum vorherigen Beitrag, ähnelt sich auch in der Meinungsaussage und im Inhalt. Wenn ein Nutzer die Nachrichten einer bestimmten politischen Richtung intensiv teilt und kommentiert, hallt das Echo dieser Meinungen zurück. Sebastian Callies nennt das, was dann entsteht „Echokammern“. Weil sich Nutzer in ihren jeweiligen Echokammern versammeln, entstehen Polarisierung und Abgrenzung. Dieser Effekt wird von politischen Akteuren immer wieder benutzt und bewusst eingesetzt.

Was machen Trump, Merkel und Co.?

Der Autor beschreibt die Art und Weise, wie die Prominenten kommunizieren. Bei den ausgewählten Personen stellt Callies Kommunikationsmuster fest. Einige Beispiele, die Callies in seinem Buch verwendet, wobei er sie nur beschreibt und bewusst nicht bewerten will:

  • Donald Trumps Tweets stehen für eine einfache Sprache: Die Beiträge sind kurz, verständlich und einfach formuliert. Sachverhalte erklärt er in kurzen Sätzen. Kleine Anmerkung: Der Autor bittet darum, nicht den Inhalt nachzumachen, sondern das WIE, also die einfachen Formulierungen.
  • Angela Merkel betrachtet er unter dem Aspekt des Schweigens: Das Nicht gesagte lässt Geheimnisse und Deutungsspielraum zu und führt bei ihr zu Erfolg. Callies formuliert das so: „Die Deutungshoheit gewinnen durch ‚nicht reden‘, auch das kann also eindrucksvoll gelingen.“
  • Eine „parasoziale“ Beziehung entwickelt sich zu Stars wie Bibi Claßen (bibis beauty place). Parasozial heißt: Die Nutzer glauben, sie seien den Stars nahe und bekämen ihren Alltag mit. Doch das ist eine Illusion. Denn die Nutzer sehen im Video nur einen Teil des Ausschnitts, nicht den gesamten Alltag. Die Kommentare der Nutzer erschaffen das positive Bild und bestimmen mit, was die Influencerin tut. Je mehr positive Kommentare unter ihren Beiträgen stehen, umso mehr denken zufällige Besucher, was Bibi tut, sei „toll“ und „echt“ und folgen ihr ebenfalls und glauben ihrer scheinbar authentischen Auftrittsweise. Dieses Muster macht sich vor allem die Werbeindustrie zunutze, die die Influencer mit Produkten ausstattet, die diese ihrerseits in ihren Social-Media-Auftritten präsentieren.
     

Mach mal Pause!

Das alles bringt uns außer Atem und lässt uns kaum noch selber klar denken, meint Sebastian Callies. Deshalb rät er ganz klar: Abschalten hilft. Zum Beispiel einfach den Live-Ticker nicht alle paar Minuten aktualisieren, sondern ein- bis zweimal täglich eine große News-Seite lesen.

Abschluss: Beurteilung

Ich wende das gleich mal praktisch an und bilde mir eine Meinung über sein Buch. Es begeistert mich, wie einfach und klar er viele Dinge beschreibt, selbst schwierige Sachinhalte. Er schreibt seine Beobachtungen auf und sagt gleichzeitig: Das ist meine Sicht der Dinge. Tipps und die Fakten, die ich schreibe, müssen nicht allgemeingültig sein.

Sebastian Callies zitiert viel, auch griechische Philosophen und Künstler verschiedener Epochen. Bei all dem Lesen und Hinterfragen fällt mir eines auf: Als Kommunikationsberater ruft er dazu auf, selbst aktiv zu werden – doch die Beobachtungen aus dem Buch stehen auf dem Fundament langjähriger Erfahrung. Die Muster erkennen, die Meinung bilden – ist das nicht etwas, was den Gebildeten vorbehalten bleibt?

Und als Theologin fange ich an, mich nach der Lektüre des Buches zu fragen: Hat unser christliches Menschenbild noch eine Chance, bei all der Meinungsmache und Selbstinszenierung in der Gesellschaft zu überleben? Das habe ich Sebastian Callies in einem Interview direkt gefragt. Seine Antwort stimmt mich optimistisch: Ein Wertesystem hilft beim Meinung bilden.

Und als Theologin fange ich an, mich nach der Lektüre des Buches zu fragen: Hat unser christliches Menschenbild noch eine Chance, bei all der Meinungsmache und Selbstinszenierung in der Gesellschaft zu überleben?

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