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© Beppe Briguglio, Patrizia Pulga, Medardo Pedrini, Marco Vaccari, via WikimediaCommons CC BY SA 3.0

08.06.2016 / Interview / Lesezeit: ~ 3 min

Autor/-in: Andreas Odrich

Wenn Versöhnung unmöglich scheint

Terror der faschistischen Geheimlogen und „roten Brigaden“ in den 80er Jahren.

 

Versöhnung heißt unser Monatsthema – das Gegenteil davon ist Unversöhnlichkeit. Und sie kann in Hass und Gewalt umschlagen. Das ist in Mitteleuropa noch gar nicht so lange her. Im Italien der 80er Jahre zum Beispiel war die terroristische Bedrohung der Menschen mindestens so groß wie die, die wir heute empfinden. Die so genannten „roten Brigaden“ lieferten sich einen rücksichtlosen Kampf mit den faschistischen Geheimlogen, die beste Beziehungen zur Regierung, zur Großindustrie und zum Vatikan hatten. Wer zur falschen Zeit am falschen Platz war, konnte zwischen die Fronten geraten. ERF Redakteur Michael Klein ist vor 35 Jahren genau das passiert. Andreas Odrich hat mit ihm gesprochen.

 

ERF: Was genau hat sich damals abgespielt?

Michael Klein: Ich war auf einem internationalen Chortreffen in Rom. Wir bummelten in einer kleinen Gruppe durch eine Hauptstraße. Ich sah an den geparkten Autos entlang. Was ich da gesehen habe, vergesse ich nie! Da stand ein dunkelblauer Fiat, am Steuer saß ein junger Mann und rauchte eine Zigarette - und auf der Rückbank lag eine Maschinenpistole. Ich sagte zu meinen Begleitern: „Nichts wie weg hier“.

Wir waren noch keine fünf Meter in eine Seitengasse abgetaucht, als auf der Hauptstraße, mitten im dichtesten Verkehr, eine wilde Schießerei begann. Am nächsten Tag haben wir dann aus der Zeitung erfahren, dass ein Polizeikommando eine konspirative Wohnung der „roten Brigaden“ gestürmt hatte. Beim Schusswechsel gab es einen Toten und mehrere Schwerverletzte. Zwei Tage später kam die „Revanche“: In einem Linienbus explodierte eine Splitterbombe. Das war 1981, nicht 2016!
 

ERF: Hat man Euch denn nicht vor solchen Anschlägen gewarnt?

Michael Klein: Nein, die Italiener haben damals mit dieser Bedrohung gelebt. Nach der Schießerei hieß es lapidar: „Die roten Brigaden werden jetzt zurückschlagen“ – was ja dann auch passiert ist. Die Menschen haben die latente Gefährdung einfach hingenommen als Teil ihres Alltags.
 

ERF: Was wollten diese Terroristen?

Michael Klein: Dasselbe, was heute die Islamisten wollen: Das politische System destabilisieren. Das war relativ einfach, denn in Italien betrug die Amtszeit einer Regierung damals oft nur ein paar Monate. Es gab einflussreiche Eliten, die im Hintergrund die Fäden zogen. Die wohl bekannteste war die Geheimloge P2, die über dem Vatikan nahestehende Banken Geldwäsche in großem Stil betrieb. Eines Morgens hing einer der Top-Banker, Roberto Calvi, unter einer Londoner Brücke. Bis heute ist sein Tod nicht geklärt. Zufälligerweise fiel seine Sekretärin am selben Tag aus dem fünften Stock der Mailänder Bankenzentrale.
 

ERF: Ist da jemals etwas aufgeklärt worden?

Michael Klein: Nein, daran hatte ganz offensichtlich niemand ein Interesse. Staatsanwälte, die sich an die Aufklärung wagten, lebten gefährlich. Sie mussten mit Bombenterror von links und rechts rechnen. Bis heute hält sich hartnäckig das auf Indizien beruhende Gerücht, dass die faschistischen Logenbrüder Bomben legen ließen, um die Anschläge den „roten Brigaden“ in die Schuhe zu schieben und die Menschen in Angst zu halten.

Ich fand es bemerkenswert, dass wir in Deutschland von diesen Vorgängen so gut wie nichts erfuhren. Als ich mein Erlebnis daheim erzählte, waren meine Zuhörer regelrecht geschockt. Der Konflikt hat sich dann übrigens irgendwann totgelaufen. Da hat wohl die Zeit die Wunden vernarbt – von einem Versöhnungsprozess zu sprechen, wäre sicher zu hoch gegriffen.
 

ERF: Vielen Dank für das Gespräch.

 

 Andreas Odrich

Andreas Odrich

  |  Redakteur

Er verantwortet die ERF Plus-Sendereihe „Das Gespräch“. Er ist verheiratet, hat drei Kinder und ist begeisterter Opa von drei Enkeln. Der Glaube ist für ihn festes Fundament und weiter Horizont zugleich.

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Kommentare (2)

PomHobbit /

Ähm, dies soll erstmal ein komentar an Margit sein, auch wenn dies vermutlich nie von ihnen gelesen wird. Erstmal, dass mit der durchtriebenheit finde ich persönlich, hat sich kein Stück verändert. mehr

Margit /

Sehr gutes Interview! Auch im Kleinen gibt es solche Korruptionen wo andere das Schicksal Einzelner lenken um ihre Ziele durchzusetzen, sei es in der Firma oder in der Familie. Es gibt einfach mehr

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