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© World Economic Forum, via Wikimedia Commons CC BY-SA 2.0

12.02.2016 / Interview / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Katrin Faludi

Schluss mit Rassentrennung?

Rudolf Kabutz berichtet, was sich seit dem Ende der Apartheid vor 25 Jahren in Südafrika verändert hat.

Vor 25 Jahren verkündete Präsident Frederik Willem de Klerk die Abschaffung der Rassengesetze in Südafrika. Damit fielen gesetzliche Schranken zwischen Menschen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen. Rudolf Kabutz ist in Südafrika aufgewachsen und lebt auch heute noch mit seiner Familie dort. Lange Jahre war er Direktor von ERF Südafrika. Heute arbeitet er als Project Coordinator und als Media Ambassador für TWR Südafrika. Außerdem ist er Senior Associate for the Media Engagement Network bei der Lausanner Bewegung. Katrin Faludi hat ihn dazu interviewt, wie er die Aufhebung der Rassentrennung erlebt hat und was sich in den letzten 25 Jahren in Südafrika verändert hat.
 

ERF: Am 1. Februar 1991 kündigte Präsident De Klerk vor dem Parlament die Abschaffung der Rassengesetze in Südafrika an. Wie haben Sie das damals erlebt?

Rudolf Kabutz: Ich war zu der Zeit in der Universität am Studieren. Für mich war die Kindheit und Jugendzeit in der Apartheid hier in Südafrika Teil des normalen Lebens. Ich habe die ganze Rassentrennung als Kind fast gar nicht mitbekommen, weil man einfach sagte: „So ist es.“

Erst in den Teenagerjahren, als ich selbst ein paar Jugendliche von den Khoisan kennengelernt habe, wurde mir bewusst, wie effektiv das System funktionierte. Es war richtig gut darin, Menschen voneinander zu trennen. So gut, dass ich nicht wusste, wie andere Jugendliche in anderen Teilen der Stadt aufwuchsen. Erst durch diese Freundschaften, die ich als Teenager entwickelt hatte, wurde mir bewusst, wie viel ich dadurch verpasst hatte, dass ich keine Jugendlichen aus anderen Volksgruppen kennenlernen konnte.
 

ERF: Was ging in Ihnen vor, als Sie hörten, dass die Gesetze aufgehoben werden?

Rudolf Kabutz: Persönlich fand ich es immer schon sehr schwierig unter diesen Gesetzen zu leben. Ich konnte das alles nicht verstehen und als Jugendlicher habe ich mir darüber Gedanken gemacht, aber ich wusste nicht, wie es anders aussehen könnte. Damals gab es große Besorgnis, dass ein Übergang gewaltsam vonstattengehen würde. Doch für mich war die große Frage: Wie kann man es umsetzen, dass Menschen von den verschiedenen Gruppen wirklich menschenwürdig leben können?

Und da war mir sofort bewusst, dass die Aufhebung der Gesetze allein nicht unbedingt eine große Veränderung in die Gesellschaft bringen würde. Mir war klar, dass es ein langer Weg wird, bis Menschen in offener Liebe und mit Verständnis in einer Gesellschaft zusammenleben können.

Ein neues Gefühl der Zugehörigkeit

ERF: 25 Jahre ist das her. Was hat sich in Südafrika verändert und wie weitreichend sind die Veränderungen?

Rudolf Kabutz: Das ist eine Frage, über die man Stunden reden kann. Die große Sache, die sich seit der großen Wende verändert hat, ist, dass die Kirche still geworden ist. Während der Apartheid haben sich viele Christen gegen das gestellt, was verkehrt lief in diesem Land. Nach der Wende haben viele Kirchen es nicht mehr gewagt, den Mund aufzumachen und das anzusprechen, was verkehrt war. In den vergangen Jahren sind Christen und Gemeinden wieder mutiger geworden, das anzusprechen, was in der Gesellschaft anders gemacht werden sollte. Aber über eine lange Zeit war die Kirche kein offenes Sprachrohr in der Gesellschaft und hat es nicht gewagt, die Veränderungen herbeizuführen, die Gottes Reich groß machen würden. Daher gibt es immer noch viele Herausforderungen, an denen die Kirchen in der Zukunft mitwirken können.
 

ERF: Wie sieht konkret das Verhältnis zwischen Dunkelhäutigen, Weißen und anderen Bevölkerungsgruppen in Südafrika aus?

Rudolf Kabutz: Ein dramatischer Unterschied in der Gesellschaft in Südafrika ist, dass Menschen heute mit Menschenwürde leben können. Das heißt: Menschen aus verschiedenen Kulturen respektieren und akzeptieren einander viel mehr als früher. So ergeben sich neue Möglichkeiten, wie man miteinander umgehen kann. Es ist scheinbar leichter geworden, aufeinander zuzugehen. Menschen der verschiedenen Völkergruppen haben akzeptiert: „Wir leben jetzt miteinander und schlagen uns gemeinsam durchs Leben.“

Dadurch ist in Südafrika eine Gemeinsamkeit zwischen den Menschen gewachsen und hat sich vertieft. Hier in Südafrika ist die Zusammengehörigkeit wahrscheinlich sogar enger als man sie anderswo erlebt. Und das ist für mich eine sehr ermutigende Entwicklung in den letzten Jahrzenten.

Christen können Vorbilder in Sachen Versöhnung sein

ERF: Sie haben eben gesagt, dass eine Änderung der Gesetze nicht unbedingt eine Veränderung in den Köpfen der Menschen bewirkt. Was müsste dafür passieren ?

Rudolf Kabutz: Es ist sehr schwierig, wenn Gesetze geändert werden, unter denen Menschen Jahrzehnte lang gelebt haben. Unter der Apartheid haben viele Menschen sehr Schweres erlebt wie zum Beispiel Gewalt. Sie haben auch erlebt, dass sie nicht die gleichen materiellen Ressourcen wie andere hatten und bestimmte Sachen nicht tun durften. Das hat viel Bitterkeit hinterlassen. Viele Menschen haben noch nicht gelernt, diese Schmerzen zu verarbeiten. Sie hatten nicht den nötigen Freiraum, um Vergebung auszusprechen und Versöhnung durch neue Freundschaften zu erleben.

Auf der anderen Seite gibt es auch Menschen, die auf andere herabgeschaut und nicht davon abgelassen haben, obwohl die Gesetzte jetzt anders sind. Sie haben es nicht geschafft, tiefe, persönliche Freundschaften mit Menschen aus anderen Völkergruppen aufzubauen und mit diesen durchs Leben zu gehen. Daher tut es mir immer sehr, dass sowohl der Schmerz als auch die negativen Einstellungen aus vorherigen Jahrzenten immer noch sichtbar sind, weil Menschen untereinander diese Vergebung noch nicht erlebt haben.

Als Christen wissen wir, dass Jesus uns vergibt. Wir können einander vergeben und wir können offen miteinander leben. Und genau hier merke ich, dass die Christen und die Kirche eine unglaublich wichtige Aufgabe auch in der Zukunft haben, diese Versöhnung auszuleben und dazu zu ermutigen.
 

ERF: Wird die Rolle der Kirchen bei der Versöhnung in der Gesellschaft denn auch wahrgenommen ?

Rudolf Kabutz: Die Kirchen setzen sich sehr für Versöhnung ein. Das passiert auf verschiedene Weise und in verschiedenen Kontexten. Oft wird es nicht an die große Glocke gehängt. Aber es passiert dort, wo Menschen ermutigt werden, einander zu helfen. Es passiert dort, wo leidenden Menschen unter die Arme gegriffen wird. Es passiert auch da, wo die Kirchen ganz konkrete Wege gehen, um in Gebiete hineinzuwirken, in denen sie früher nicht aktiv waren. Und das wird auch wahrgenommen. In den Nachrichten werden natürlich oft die heiklen Themen angesprochen, aber es gibt immer wieder spannende Geschichten, wie Christen ganz bewusst in die Gesellschaft hineinwirken, um Frieden zu bewirken und Hoffnung zu bringen.

Zum Vorbild für andere Nationen werden

ERF: Lässt sich die Situation in Südafrika heutzutage mit der in Europa in Bezug auf die Migranten vergleichen?

Rudolf Kabutz: In Südafrika haben wir eine sehr komplexe Bevölkerung. Hier leben einerseits viele Völkergruppen zusammen, andererseits kommen aber auch viele Menschen aus den umliegenden Ländern hierher und werden teilweise von der lokalen Bevölkerung nicht unbedingt willkommen geheißen. So lernen wir in Südafrika nicht nur aufeinander einzugehen, sondern auch miteinander in die Zukunft zu gehen. Das ist nicht einfach, aber über die Jahre haben wir gelernt, wie wichtig das ist und wie wir es bewältigen können.

In anderen Gebieten wie in Europa ist das natürlich viel schwieriger, weil die Menschen es nicht gewöhnt sind, dass immer wieder andere Völkergruppen dazu kommen. Daher denke ich: Wir haben sogar viel gelernt, das anderen Völkern helfen könnte, auch Wege in die Zukunft zu finden.
 

ERF: Wie sehen Sie die Zukunft von Südafrika?

Rudolf Kabutz: Bei uns im Land passiert viel. Aber wenn Sie in die Medien schauen, werden Sie davon wahrscheinlich nicht viel mitbekommen. Hier in Südafrika gibt es eine Menge junge Leute, die sehen, was in den letzten 20 Jahre gelaufen ist. Aber sie erkennen auch, dass sich einiges nicht zum Guten entwickelt hat. Trotzdem sehen sie Hoffnungsschimmer und arbeiten daran, ganz gezielt und auf praktische Weise dem Land Heilung und Hoffnung für die Zukunft zu bringen. Es gibt viele Initiativen, aber es ist wirklich herausfordernd, die Kirche so zu mobilisieren, damit genug Leute daran mitwirken, einen positiven Weg in die Zukunft zu gehen.

Es ist schön und gut, wenn ein paar Leute sagen „Wir wollen etwas Neues bewirken in Südafrika.“ Aber schlussendlich braucht es für einen Durchbruch in Südafrika viele hunderte, tausende oder sogar Millionen Menschen, die sagen: „Wir wollen einen Durchbruch erleben. Wir wollen einen Neuanfang wagen. Auch jetzt − so viele Jahren nach der offiziellen Apartheid − wollen wir neue Wege aufeinander zugehen. Wir wollen in Südafrika nicht nur ein Licht im Land sein, sondern auch ein Vorbild für andere Nationen.“ Dass Menschen sich das vornehmen und das unterstützen, das ist mein Wunsch.
 

ERF: Vielen Dank für das Interview.

 Katrin Faludi

Katrin Faludi

  |  Redakteurin

Katrin Faludi hat Medienwissenschaft und Amerikanistik studiert. Hauptberuflich arbeitet sie seit vielen Jahren als Radioredakteurin, nebenberuflich ist sie Buchautorin. Zu ihren Themen gehören Lebenshilfe und seelische Gesundheit, denen sie mit einer Prise Humor sehr gerne die Schwere nimmt. Sie ist verheiratet, hat zwei Kinder und mag alles, was mit Sprache(n) zu tun hat.

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