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27.11.2015 / Interview / Lesezeit: ~ 7 min

Autor/-in: Ingrid Heinzelmaier und Christine Keller

Zwischen Bibel und Politik

Wie zeitlose Werte helfen, auf die Flüchtlingskrise zu reagieren.

Dr. Rainer Rothfuß ist Konfliktforscher und setzt sich deshalb intensiv mit der Flüchtlingskrise, ihrer Ursache und ihren Folgen auseinander. Wovon er überzeugt ist: Christliche Werte helfen, politische Konflikte zu bewältigen und Flüchtlingen liebevoll zu begegnen. Wie genau das aussehen kann, erklärt er im Interview.

Dr. Rainer Rothfuß. Bild: Privat.

ERF: Im Neuen Testament ist uns die Aussage von Jesus überliefert: „Liebt eure Feinde!“ Trotzdem gab es im Mittelalter Kreuzzüge und auch heute gehen Kriege von christlichen Ländern aus­. Ist das Christentum trotzdem eine friedliebende Religion?

Dr. Rainer Rothfuß: Durchaus. Bei jeglicher Religion muss unterschieden werden zwischen der Lehre, die als Richt­schnur dienen soll und der Umsetzung seitens der Gläubigen bzw. der Institutionen. Sie erheben ja lediglich den Anspruch, eine gewisse Religion zu vertreten. Die Institutionen sind nicht gottgegeben, sondern von Menschen geschaffen. Zwischen der Lehre und ihrer Umsetzung gibt es in jeder Religion Diskrepanzen.  

Aber man kann feststellen, dass christliche Grund- und Lehrsätze wie die Feindesliebe wichtig für eine Kon­flikt­beilegung sind. Die Grund- und Lehrsätze des Christentums sind weise und ewig gültige Leitsätze, aber nicht jede christliche Bewegung hat sich diese Grundsätze immer zu eigen gemacht. Natürlich muss man sehen, welche Fehler im Namen des Christentums schon begangen wurden. Das Christentum wurde häufig missbraucht. Ich denke an George W. Bush, der demon­strativ in eine Kirche gegangen ist, gebetet hat und dann den Krieg gegen den Irak als Kreuzzug verkündet hat. Das ist verlogen im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Argumentation für den Irakkrieg 2003 war das Auffinden vermeintlicher Massenvernichtungs­waffen, die letztendlich nie nachgewiesen werden konnten.

ERF: Wie funktioniert Feindesliebe, wenn zum Beispiel die eigene Familie bedroht wird?

Dr. Rainer Rothfuß: Man muss Verständnis haben für Menschen in Konfliktregionen, die entweder flüchten, um das Leben ihrer Familie zu schützen oder sich mit Waffengewalt verteidigen. Man muss sich in die Lage hineinversetzen: Was wäre, wenn es um meine Tochter oder mein Baby geht? Es gibt Kontexte, in denen die jeweilige Situation rasch von der Person bewertet werden muss, die in dem Konflikt steckt.

Aber grundsätzlich ist es richtig, dass die Feindesliebe die Eskalation von Konflikten verhindern kann. Konflikte entstehen nicht über Nacht, sondern werden durch mangelnde Kommunikation, fehlendes Nachgeben oder mangelnde Anerkennung der Bedürfnisse des Anderen aufgeschaukelt. Wenn man das im Nahen Osten umgesetzt hätte und wenn der Westen tatsächlich christliche statt interessengetriebenene  Außen­politik gemacht hätte, wäre diese Region heute deutlich friedlicher als sie ist.

Leider ist es so, dass aus der Sicht muslimischer Gesellschaften die Politik des Westens als christliche Politik betrachtet wird. Obwohl wir säkulare Gesellschaften sind, werden wir von außen betrachtet, als seien wir eine ausschließlich christliche Gesellschaft. Aus dieser Perspektive heraus betrachtet vertreten wir das christliche Gedankengut miserabel und beschmutzen das Ansehen des Christentums. Die westlichen Staaten haben schon immer in erster Linie interessengesteuerte Außenpolitik betrieben – da braucht man nur an den Kolonialismus zu denken.

Eine Aufgabe, die beim Einzelnen beginnt

ERF: Was sagt denn die Bibel zu kriegerischen Auseinandersetzungen und Waffen?

Dr. Rainer Rothfuß: Es gibt in der Bibel einen Bruch zwischen dem Alten und Neuen Testament. Im Alten Testament lebte das Volkes Israel in einem feindlichen Umfeld. Dieses Umfeld bestand zu großen Teilen aus gewalttätigen Gesellschaften, in denen es Menschenopfer und Grausamkeiten im Namen heidnischer Religionen gab. Im Neuen Testament fordert Jesus uns auf, dass wir Konflikte nicht gewalttätig austragen sollen. Das war ein ganz neuer Gedanke: Durch die Feindesliebe sollten Feindschaften in Freundschaften umgewandelt werden.

Das ist eine zivilisatorische Herausforderung, die Jahrtausende braucht, um umgesetzt zu werden. In der Zwischenzeit mussten die Menschen durch leidvolle Erfahrungen gehen – das wissen wir als deutsches Volk am besten. Durch den 2. Weltkrieg und die Erfahrung mit dem Nationalsozialismus hat sich unser Denken als deutsches Volk sicherlich geläutert. Es bleibt ein langer Weg und eine Aufgabe, die beim Einzelnen anfängt.


ERF: Im Neuen Testament schreibt Paulus, dass der Staat das Schwert haben soll, um die Ordnung im Land aufrecht erhalten zu können. Ist nicht genau das ein Problem, dass der Staat in einigen Ländern – wie zum Beispiel Nordnigeria – wenig ordnenden Einfluss hat?

Dr. Rainer Rothfuß: Es gibt Gesellschaften, in denen Gewalt im alltäglichen Leben erlebt wird. Dort kann man nicht sagen: „Wir reden alle nett miteinander und dann werden wir Frieden wahren können.“ In solchen Staaten muss Ordnung mit harten Maßnahmen durchgesetzt werden. Genau das haben Gaddafi oder Assad ein Stück weit getan. Sie haben ihre autoritären Regime unter Kontrolle gehalten – mit weniger Opfern, wenn man es mit der Situation vergleicht, die herrscht, seit diese Diktatoren mit Hilfe des Westens weggebombt oder geschwächt wurden. Da müssen wir erkennen: Gewalt hat in den Gesellschaften einen unterschiedlichen Stellenwert. Das ist in Nigeria anders als in Europa. In Europa brauchte man bislang keine Waffengewalt, um Ordnung durchzusetzen. Menschen halten sich in der Regel (noch) an Ordnungen.

Wandel ist möglich

ERF: Ein anderes aktuelles Thema ist das Asylrecht. Sagt die Bibel etwas zu diesem Thema?

Dr. Rainer Rothfuß: Es ist eindeutig christliche Lehre, dass der Fremde unterstützt werden soll – genauso wie die ärmsten Glieder der Gesellschaft, wie zum Beispiel die Waisen oder Witwen. Darauf fußt letztendlich die christliche Religion: Sie solidarisiert sich immer mit den Schwächsten. Trotzdem muss man anerkennen, dass diese Unterstützung nur im Rahmen einer sicheren Ordnung geleistet werden kann. Momentan haben wir in Deutschland geordnete Verhältnisse und eine stabile Wirtschaft. Jetzt können wir das schaffen. Die Frage ist aber, wie es in 10 Jahren aussieht, wenn unsere sozialen Sicherungs­systeme allein durch den demographischen Wandel doppelt so stark unter Druck stehen werden wie heute. Wenn dann einige Millionen Flüchtlinge dazu gekommen sein werden, die sich – wie eine aktuelle Studie aus Dänemark belegt – innerhalb von 10 Jahren nur zu einem Viertel in den Arbeitsmarkt integrieren lassen, ist die Frage: Wie sehen unsere Möglichkeiten zu helfen dann aus? Denn Ordnung ist die feste Grundlage, auf der man stehen muss, damit man helfen kann. 

ERF: Friedensgebete sind eine tief verwurzelte Tradition – auch in unserem Land. Im Osten Deutschlands hat so die friedliche Revolution begonnen. Wie beten Sie denn für Frieden?

Dr. Rainer Rothfuß: Ich bete um Gottes Frieden, nicht um den Frieden, der oft nur eine momentane Abwesenheit von Krieg bedeutet. Das ist kein innerer Friede, der tragfähig und dauerhaft ist. Ein Stück weit müssen wir akzeptieren, dass Konflikte ein Weg in der Entwicklung von Gesellschaften sind. Aber ich bin zuver­sichtlich, dass es ein Wirken Gottes gibt, das irgendwann auch zu einem guten Ziel führt – wenngleich über schwierige Etappen hinweg.

ERF: Was kann der Normalbürger, der bewusst als Christen lebt, für den Frieden tun?

Dr. Rainer Rothfuß: Er kann sich bewusster und kritischer über die Zusammenhänge von Konflikten informieren. Es reicht nicht, Massenmedien zu konsumieren, die uns aufgetischt werden. Man sollte auch kritisch über Google oder YouTube nach Stichwörtern suchen. Die ostdeutsche Erfahrung hat außerdem gezeigt, dass Wandel möglich wurde, als viele Menschen gemeinsam gebetet haben. Das Beten war eingebettet in ein Fiebern und Denken; in einen Diskurs, in dem die Menschen miteinander geredet und bisherige Tabus gebrochen haben. Das ist ein guter Weg für aktuelle Herausforderungen: Dass wir als Gesellschaft die Probleme thematisieren; dass wir nicht akzeptieren, dass Politik und Medien uns Denk­verbote auferlegen.

Über Religion offen sprechen

ERF: Viele in Deutschland setzen sich für Flüchtlinge ein; gleichzeitig gibt es Anschläge auf Flüchtlingsheime. Was kann man tun, um Ängste seitens der Bevölkerung abzubauen?

Dr. Rainer Rothfuß: Die Bevölkerung muss sehen, dass die Politik nicht nur hilflos reagiert, sondern dass sie eine offene und schonungslose Problemanalyse betreibt und daraus ein Konzept entwickelt: Wie können wir Flüchtlinge unterbringen und integrieren? Genauso sollten Politiker fragen: Wie können die Ursachen behoben werden und wie kann eine Zukunftsperspektive für die Gesellschaften im Nahen Osten aussehen? Extremisten und Frustrierten würde es den Wind aus den Segeln nehmen, wenn ersichtlich wäre: Die Politik handelt verantwortungsvoll. Sie schaut nicht nur ängstlich auf die Medienberichterstattung und die nächste Wahl.

ERF: Flüchtlinge brauchen nicht nur eine warme Wohnung und etwas zum Essen. Jeder von ihnen braucht inneren Frieden, um sich auf ein neues Leben einlassen zu können. Wie könnte ein Schritt in diese Richtung aussehen?

Dr. Rainer Rothfuß: Wir sollten den Flüchtlingen vom christlichen Glauben erzählen.  Das ist die einzige Chance für sie, aus einem Glaubenssystem herauszukommen, in dem die Rechte von Frauen, Mädchen und religiösen Minderheiten nicht geachtet werden. Dem Koran ist Gewalt gegen Andersgläubige zugrunde gelegt und er legitimiert sie auch. Deswegen geht es nicht nur darum, in dieser Situation Nächstenliebe zu üben, sondern auch über unseren Glauben zu sprechen. Unserer Gesellschaft ist das fremd, weil wir in der Regel nicht über Religion sprechen. Aber in den Gesellschaften, aus denen diese Menschen herkommen, ist Religion ein Thema des öffentlichen Diskurses. Deswegen werden sie es einem nicht übel nehmen oder es als Beleidigung des islamischen Glaubens auffassen.

ERF: Vielen Dank für das Gespräch.


Lesen Sie auch das Interview „Europäisches Versagen? Warum die Ursachen der Flüchtlingskrise stärker analysiert werden müssen.“ mit Rainer Rothfuß. Hier können Sie beide Interviews hören.

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Kommentare (2)

Christiane B. /

Stichpunkt Kreuzzüge: diese waren nicht in erster Linie Angriffskriege, sondern waren die Antwort auf die Islamisierung der (gesamten)christlichen Mittelmeerstaaten durch arabische Stämme.
Volle mehr

W.Druba /

alles gut und schön - bis auf die Bewertung von Präsident Busch - so banal wie dargestellt kann es nicht gewesen sein ...

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