Sieben Jahre nach dem Bestseller „Deutschlands vergessene Kinder“ bringt Bernd Siggelkow das Buch „Ausgeträumt: Die Lüge vom sozialen Staat“ heraus. Er legt seinen Finger in die Wunden des Sozialstaates und prangert Entwicklungen in Deutschland an, die nicht zukunftstauglich sind. Mit seinem Buch ermutigt er aber auch, sich für die Zukunft Deutschlands zu engagieren.
ERF Online: Herr Siggelkow, warum beschäftigen Sie sich so intensiv mit den Schlaglöchern unseres Sozialsystems?
Bernd Siggelkow: Seit vielen Jahren kämpfen wir gegen Kinderarmut in Deutschland. Vor sieben Jahren erschien neben dem vierten Armuts- und Reichtumsbericht unser Buch „Deutschlands vergessene Kinder“. Seitdem hat sich die Armutszahl der Kinder eher vergrößert als verkleinert. Ich habe nicht das Gefühl, dass sich die Situation für Kinder in Deutschland drastisch verbessert hat.
Mit unserem aktuellen Buch wollen wir also einerseits Politiker wachrütteln und sie aufrufen, endlich gute Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Kinder sich in der Gesellschaft vernünftig entwickeln können. Die Politiker sollen in das Bildungssystem investieren und nicht immer mehr Geld in die Familienpolitik stecken. Andererseits wollen wir auch die Wirtschaft mobilisieren. Kinder sind nicht nur die Gegenwart, sondern auch die Zukunft. Sie sind die Arbeitnehmer von morgen. Und wenn wir gemeinsam an Lösungsansätzen arbeiten, werden unsere Kinder eine besser Zukunft erleben.
Kinderarmut wächst
ERF Online: Deutschland ist das geburtenschwächste Land der EU und will daher möglichst familienfreundliche Politik betreiben. Gleichzeitig wachsen so viele Kinder wie nie zuvor verwahrlost auf. Warum?
Bernd Siggelkow: Das große Problem in der Politik ist, dass sie Lobbyarbeit leistet. Entsprechend versuchen Politiker erst einmal, ihre Wähler zusammenzubekommen. Kinder haben folglich keine Lobby, sie gehen ja nicht wählen. Mit dem Thema Kinderarmut wurde in Vergangenheit zwar viel Propaganda gemacht, aber bisher ist nichts passiert.
ERF Online: Wo liegt denn konkret die Wurzel der Kinderarmut?
Bernd Siggelkow: Kinder werden in der Gesellschaft und von der Politik noch nicht richtig wahrgenommen. Auch wir Erwachsene behandeln Kinder häufig wie kleine Erwachsene, dabei sind Kinder aber Kinder. Wir haben noch nicht erkannt, was unsere Kinder letztendlich brauchen.
Außerdem hat sich unser Sozialsystem in den letzten Jahren stark gewandelt. Auch die Familien. Das System für Kinder ist nie verändert worden. Deshalb müssen sich Kinder heute an Schulsysteme anpassen, während sich die Schulsysteme eigentlich an unsere Kinder anpassen sollten.
ERF Online: Was wären denkbaren Lösungsvorschläge, um den negativen Kreislauf von Kinderarmut zu durchbrechen?
Bernd Siggelkow: Wenn wir uns das Bildungssystem anschauen, dann müssen wir endlich ein einheitliches System bekommen. Es nützt nichts, dass wir 72 verschiedene Schulformen in Deutschland haben, bei denen keiner richtig durchblickt. Es kann auch nicht sein, dass reiche Eltern ihre Kinder auf Privatschulen schicken und Nachhilfeunterricht bezahlen, während Kinder aus dem falschen Bezirk auf schlechte Schulen gehen.
Es wäre auch hilfreich, wenn Unternehmen nicht mehr nach dem Gießkannenprinzip ihre Spenden ausgießen und verschiedene Vereine unterstützen. In Kinder sollte man letztendlich nachhaltig investieren und sie begleiten. Das ist nicht die Sache von einem Jahr. Wir als Arche versuchen präventiv zu arbeiten. Unser Staat bekämpft immer nur Symptome: Er investiert in den Strafvollzug und in den Drogenentzug. Doch das ist siebenmal so teuer, als wenn wir schon heute in die Kinder investieren.
ERF Online: Sind nicht trotzdem Geldleistungen nach dem Gießkannenprinzip besser als gar keine Reaktion von der Seite des Staates?
Bernd Siggelkow: Auf jeden Fall ist es gut, dass Geld ausgegeben wird. Der Staat muss Verantwortung für die nächste Generation übernehmen. Denn letztendlich profitiert der Staat von den Kindern. Es kann ja nicht sein, dass uns in 10 oder 15 Jahren Fachkräfte fehlen, während wir die „Dummen“ oder die „Bildungsfernen“ zwar durchgehend gefördert haben, aber nicht ausreichend. Es kann nicht sein, dass in Deutschland - dem Land der Dichter und Denker - 10 % der 15-jährigen funktionale Analphabeten sind.
ERF Online: Warum gibt es immer noch so viele Analphabeten?
Bernd Siggelkow: In den Brennpunktschulen fällt der Unterricht sehr häufig aus. Außerdem haben wir in vielen Gebieten ein großes Sprachproblem. Sprache ist nun einmal der Schlüssel zur Integration. Zwar fordern wir stark, dass Menschen sich integrieren, doch wir geben ihnen kaum die Chance dazu. Wir schieben sie in ein Gebiet ab und lassen es zu, dass einzelne Klassen einen Migrantenanteil von 90 – 95 % haben. Diese Kinder sollten auf unterschiedliche Schulen verteilt werden, damit die schwachen Schüler nicht schwach bleiben, sondern gestärkt werden.
ERF Online: Werden dadurch denn nicht andere Schüler benachteiligt?
Bernd Siggelkow: Es gibt Schulen, die haben 23 Kinder mit Migrationshintergrund und ein deutsches Kind in eine Klasse. Wenn ich diese Kinder in gut strukturierte Klassen in unterschiedlichen Schulen verteile, dann wird das auf der einen Seite die Klasse mobilisieren, auf die Schwächeren zu schauen. Auf der anderen Seite wird es die Schwächeren stärken. Wir können es uns nicht leisten, weiterhin Generationen zu erziehen, die von Transferleistungen leben.
„Mein Ziel wäre es, die Arche zu schließen.“
ERF Online: Sie selbst gründeten 1995 in Berlin Hellersdorf das christliche Kinder- und Jugendwerk Die Arche. Was war denn der Auslöser, dieses Projekt zu gründen?
Bernd Siggelkow: Auf der einen Seite war das meine eigene Kindheit: Ich bin selbst in emotionaler Armut aufgewachsen, denn meine Mutter hat die Familie verlassen, als ich sechs Jahre alt war. Mit 16 Jahren habe ich mich dann dafür entschieden, Christ zu werden und etwas für Kinder zu tun. 1995 haben wir dann die Arche gegründet.
ERF Online: Was meinen Sie denn mit „emotionaler Armut“?
Bernd Siggelkow: Emotionale Armut ist das größere Problem in Deutschland als die finanzielle Armut. Sie bedeutet, dass Kinder kaum Ansprechpartner haben oder jemanden, der sie auf den Schoß oder in die Arme nimmt. In einer Studie von UNICEF kam raus, dass die Zufriedenheit der Kinder in Deutschland aktuell auf Platz 22 von 29 liegt. Das sollte uns sehr zu denken geben. Unseren Kindern in Deutschland geht es gar nicht gut, obwohl wir ein reiches Land sind.
ERF Online: Was wollen Sie durch Ihr Projekt Die Arche erreichen?
Bernd Siggelkow: Mein Ziel wäre es, die Arche zu schließen, weil es das Problem der Kinderarmut in Deutschland nicht mehr gibt. Doch das ist eine Zukunftsvision, die wir in den nächsten 30 Jahren nicht erreichen werden. Wir wollen Kinder fit machen für das Leben, ihre Potenziale sehen, sie stärken und ihnen zeigen, dass sie geliebt und wertvoll sind. Wir sind eine Beziehungsorganisation, denn wir wissen, dass der Schlüssel des Herzens nicht in erster Linie ein pädagogisches Konzept ist, sondern Liebe und Beziehung. Dabei ist der Glaube unser Motor, der uns bewegt. Wir haben ganz viele Kinder aus anderen Religionen. Ihnen vermitteln wir auf Kinderpartys biblischen Inhalte. Wir missionieren nicht, aber wir versuchen den Kindern Wertmaßstäbe in einer Welt zu geben, in der sie manchmal das Gefühl haben, wertlos zu sein.
ERF Online: Wie können Bundesbürger sich dafür einsetzen, damit Kinder und Jugendliche eine vielversprechende Zukunft erleben?
Bernd Siggelkow: Ich plädiere immer stark dafür, dass wir in erster Linie kinderfreundlich sind. Dass wir einem Kind, an dem wir vorbeilaufen, einfach mal "Guten Morgen" sagen und ein freundliches Wort mit ihm wechseln oder ihm ein freundliches Lächeln schenken. Wir könnten auf Kinder in unserem Bekanntenkreis und Verwandtschaft zugehen und ihnen bei den Hausaufgaben helfen. In den Großstädten leben viele Kinder, die häufig alleine sind und solche Freunde und Unterstützer brauchen, die ihnen helfen. Und natürlich kann man sich auch in Vereinen einbringen oder die Arche finanziell unterstützen. Auch Spenden kann helfen, damit es Kinder besser geht.
ERF Online: Vielen Dank für das Interview.
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Kommentare (5)
Der Begriff Kinderarmut ist meiner Meinung ein Begriff, der in unser Deutschland so gar nicht reinpasst. Wir jammern auf einem sehr hohen Nivo. Wenn wir uns einmal in der Welt umschauen, so werden … mehrwir sehr viele wirklich arme Länder mit einer sehr armen Kinderschar entdecken. Aus der Zeit des Ende des 2. Weltkrieges kommend, haben wir noch wirkliche Armut erlebt. Das heisst nun ja nicht, das ich den Kindern diese Zeit herbeiwünschen würde. aber das heisst doch noch lange nicht, das es uns so unsäglich schlecht ergangen wäre. Was ich damit zum Ausdruck bringen möchte, ist nur das, das man nboch lange nicht arm ist, wenn man nicht das neueste Handy oder die neueste Spielkonsole hat. Im Nachhinein, hat mir dieses nicht alles haben zu können nicht geschadet.
Aufgrund der Pädophilen-Paranoia kann man sich in Deutschland aber nicht mehr trauen, zu fremden Kindern freundlich zu sein, geschweige denn sich mit ihnen anzufreunden. Ich will mir den Schuh nicht anziehen.
Noch was zum Thema Armutsstatistik. In keinem Land der Welt wird die Armutsgrenze so hoch gelegt wie in Deutschland, nämlich bei 60 Prozent des Durchschnittseinkommens. Ein weiterer Effekt der … mehrstarren Armutsgrenze ist der, dass die Armut immer mitwächst, wenn das Durchschnittseinkommen steigt. Wenn ich sehe, was heute als arm gilt, dann war ich die meiste Zeit meines Lebens arm und habe es nicht gemerkt.
Herr Siegelkow prangert an, und kommt doch von der typisch deutschen Staatsvergötterung nicht los. Einmal mehr wird die Ursache eines Problems als Lösung präsentiert. Der bankrotte Sozialstaat soll, … mehrnachdem er Milliarden versenkt hat und die Misere erst geschaffen hat, vor allem eines immer wieder: "Geld reinstecken". Längst hat der Sozialetat 50 Prozent des Bundeshaushalts erreicht, der zweitgrößte Posten ist schon Schuldendienst. Also zwischen zwei Drittel und drei Viertel des Bundeshaushalts sind Sozialausgaben und Schuldendienst. Das lässt eigentlich nur noch den Schluss zu, dass die (Sozialstaats-)Party vorbei ist. Der Staat, der gefallene Gott, ist bankrott. Die Schulden sind nicht mehr zurückzuzahlen, sie lasten der künftigen Generation wie ein Mühlstein um den Hals. Es ist erschreckend, dass Herrn Siegelkow das Paradoxon seiner Äußerungen nicht auffällt: Er fordert tatsächlich noch mehr Sozialausgaben auf Pump zugunsten der künftigen Generation, ohne zu erkennen, dass es die künftige Generation ist, der die Zukunft mit diesen Schulden verbaut wird. Nicht weniger erschreckend ist die Ansicht, dass die emotionale Armmut nur mit Geld bekämpft werden kann. Nicht Gott gibt Würde, sondern der Staat, und er tut das mit Geld. Soweit ist Deutschland schon heruntergekommen.
Er hat recht und er rüttelt wach, auch mich. Danke für das Interview. Ich werde mir das Buch kaufen und mein Verhalten ändern.