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© Privat / Jana Hrivniaková

10.01.2013 / Interview / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

„Die Ökonomie hat den Glauben ersetzt!“

Glauben und Wirtschaft haben viel gemein. Dieser Überzeugung ist Chefökonom und Buchautor Tomas Sedlacek. Ein Interview.

Tomas Sedlacek hat in seinem Buch „Die Ökonomie von Gut und Böse“ die Bibel und andere religiöse und philosophische Texte auf ihre Aussagen zur Wirtschaft untersucht. ERF Online hat mit ihm darüber gesprochen, worin christlicher Glauben und wirtschaftliches Denken einander ähneln und wieso es sich lohnt, in ökonomischen Fragen auf die Bibel zurückzugreifen.

ERF Online: Guten Tag Herr Sedlacek, in Ihrem Buch „Die Ökonomie von Gut und Böse“ untersuchen Sie religiöse und philosophische Denkmodelle auf Ihre Aussagen zur Ökonomie. Inwieweit bestimmt die religiöse Überzeugung eines Menschen sein wirtschaftliches Handeln?

Tomas Sedlacek: Unser ökonomisches System ist ein System religiöser Überzeugungen. Wir nennen es nur anders. Ökonomie und christlicher Glaube sind nicht entgegengesetzte Pole, die Ökonomie hat den Glauben vielmehr ersetzt. Wir glauben an die Macht der Märkte, an ihre göttliche Vorsehung und daran, dass sie uns Wegweisung für die Zukunft gibt. Diese Märkte sind gerissen wie die Götter des Olymps. Es gibt Menschen, die für sich beanspruchen, dass sie verstehen und deuten können, was der Markt von uns will und wie er sich fühlt. Es wird über die Märkte gesprochen als handle es sich dabei um Personen.

„Die Bücher der Bibel zeigen das praktische Leben“

ERF Online: Viele ihrer Beispiele für verantwortliches Wirtschaften entnehmen Sie der Bibel. Welche Bedeutung hat die Bibel für Sie persönlich?

Tomas Sedlacek: Ich benutze in meinem Buch viele kulturelle Denkmodelle als Reflexionspunkte. Das Problem ist, dass die Bibel oft zu spirituell gelesen wird. Wir sondern sie ab vom normalen Leben und produzieren religiösen Kitsch. Wenn wir das Spirituelle vom Praktischen oder Ökonomischen trennen, dann verlieren beide Aspekte an Sinn. Wie bei einem Körper gehören die spirituelle und praktische Ebene zusammen. Es hat nur Sinn, wenn der Geist im Körper wohnt, sprich die spirituelle oder geistliche Ebene mit den praktischen Aspekten des Lebens verbunden bleibt.

Die Bücher der Bibel zeigen das praktische Leben: In der Bibel finden sich realistische, anschauliche Schilderungen und Gleichnisse, die bis zum heutigen Tag gültig sind. Der Rat „Sorgt nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet; auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet“ (Matthäus 6, 25) hat heute noch dieselbe Gültigkeit, allerdings von einem anderen Blickwinkel her. Wir haben heute zu viel zu essen, so dass wir uns darum sorgen, was genau wir essen sollen. Und obwohl wir vor einem vollen Kleiderschrank stehen, stellen wir uns die bange Frage: „Was soll ich bloß anziehen?“ Für mich persönlich ist die Bibel also ein Buch, auf das ich immer wieder zurückgreife.

Tomas Sedlacek,  Chefökonom bei der größten tschechischen Bank und Mitglied des Nationalen Wirtschaftsrats in Prag.
(Bild: Jana Hrivniakova, privat)

Die Bibel gibt Antworten auf wirtschaftliche Fragen

ERF Online: Wenn Sie es ganz kurz und knapp formulieren müssten: Was sagt die Bibel über Ökonomie?

Tomas Sedlacek: Genau genommen bezieht sich die Mehrzahl der Gleichnisse Jesu auf wirtschaftliche oder soziale Fragen. Wirtschaftliches Handeln ist das nach Götzendienst meistbehandelte Thema im Alten Testament. Sogar der Sündenfall kann ökonomisch verstanden werden. Da alles, was Gott den Menschen im Garten Eden gab, ihnen nicht genug war und sie immer noch mehr wollten, wird ihnen nun nichts mehr genug sein.

Evas Fluch ist unbändiges Verlangen: Sie kann ihre Begierden nicht mehr steuern, sondern wird von ihnen beherrscht. Dabei entsprechen diese Begierden nicht einmal ihren tatsächlichen Wünschen. Ihr Begehren ist in gewisser Weise ziellos. Adams Fluch ist der Fluch der Versorgung. Egal wie hart wir Menschen arbeiten – und sogar trotz der neuen Technologien, die wir im 21. Jahrhundert haben, reicht es nie aus, um unsere Wünsche und Begierden zu stillen.

„Wir dürfen ökonomisches Denken nicht zu einem Fetisch werden lassen“

ERF Online: Mit vielen Ihrer Kritikpunkte und Anregungen wenden Sie sich vor allem an Ökonomen und fordern von der Wirtschaft Veränderungen ein. Was kann der Otto-Normalverbraucher von Ihren Prinzipien lernen, um seine eigene, aber auch die allgemeine wirtschaftliche Lage zu verbessern?

Tomas Sedlacek: Man sollte anfangen, anders über Ökonomie zu denken. Es gilt die Wirtschaft als moralisches System zu begreifen. Denn obwohl die Ökonomie vorgibt, wertfrei zu sein, ist genau das Gegenteil der Fall. Die Wirtschaft gibt uns Werte und Preise vor. Wir dürfen ökonomisches Denken nicht zu einem Fetisch werden lassen. Obwohl wirtschaftliches Handeln eine wichtige Rolle in unserem Leben spielt, haben wir diesem Aspekt zu viel Platz eingeräumt. Wenn man sich in jemanden verliebt, muss man aufpassen, den anderen und die Beziehung nicht zu idealisieren. Aber genau das passiert in großem Maße bei der Wirtschaft: Wir idealisieren die Märkte.

Von diesem Standpunkt her ist die aktuelle Krise sogar gesund, denn am weltweiten ökonomischen Glauben, genannt ökonomisches Wachstum, gibt es nun Zweifel. Er wird nicht mehr als heilig und vollkommen wahrgenommen. Das Wort Kredit stammt ursprünglich vom lateinischen Verb „credere“, was „glauben“ bedeutet. Ein Kredit erfolgte in dem Glauben, dass der Schuldner das Geld zurückzahlen wird. Eine Kreditkrise ist dem eigentlichen Wortsinn nach also eine Glaubenskrise. Und genau das passiert gerade weltweit: Unser Glauben in die göttliche Vorsehung der unsichtbaren Hand des Marktes wurde erschüttert.

ERF Online: Vielen Dank für das Interview!

 Rebecca Schneebeli

Rebecca Schneebeli

  |  Redakteurin

Rebecca Schneebeli ist Literaturwissenschaftlerin und arbeitet nebenberuflich als freie Lektorin und Autorin. Die Arbeit mit Büchern ist auch im ERF ihr Steckenpferd. Ihr Interesse gilt hier vor allem dem Bereich Lebenshilfe, Persönlichkeitsentwicklung und Beziehungspflege. Mit Artikeln zu relevanten Lebensthemen möchte sie Menschen ermutigen.

Ihr Kommentar

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Kommentare (6)

Jaques L. /

Es gibt exakt EINE Alternative zum Markt. Und die heißt BEFEHL. Diese Tatsache hat der vor einem Jahr verstorbene Ökonom und Unternehmer Roland Baader festgestellt und in seinem Buch "Markt oder mehr

otto /

Wirklich einleuchtend, wirklich real, ein Boden wo viele Ideen gegen unsere Schein-Wahrheit-Ansichten spriessen können:
Wir wollen ja dass alle die 3 Billionen Eva´s
gleich viel Röcke haben, jeder mehr

FEMINA /

Weshalb bitte schön soll Eva von Begierden beherrscht werden (worden sein), die auch noch ziellos sein sollen. Das ist schlichte Hausmannskost-Psychologie. Adam hat dagegen zielgerichtete mehr

Jaques L. /

Bei einer Staatsquote von über 50 Prozent von einer Macht der Märkte zu sprechen, und zu behaupten, alle wüden daran glauben, ist schlicht absurd. Der Markt ist keine Person. Markt heißt (konkrete) mehr

Dorena /

Endlich mal fühle ich mich ein wenig bestätigt in meiner Skepsis,was die Sprache über ökonomische Prozesse angeht. Wenn ich im TV höre,wie über Börse und Markt gesprochen wird,hört sich das immer an mehr

Gertrud /

Mit dem Inhalt des Gesagten stimme ich durchaus überein - es ist längst erkanntes in einem etwas veränderten Gewand. Was ich mir jedoch nie zu eigen machen möchte ist diese alberne Formulierung etwas mehr

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