„Unsere Gemeinde wurde uns vor der Nase weggestohlen. Sie wurde entführt.“ Mit diesen Worten klagt ein älterer Mann Gordon MacDonald bei einem Gespräch sein Leid. Ihm bliebe nur noch die Lösung, sich eine neue geistliche Heimat zu suchen, in der sich auch seine Generation zuhause fühlt. Diese wahre Begebenheit wird für den bekannten amerikanischen Pastor zum Anlass, eine fiktive Geschichte zu schreiben, die sich um genau dieses Thema dreht: Wie gehe ich damit um, wenn sich meine Gemeinde so verändert, dass ich das Gefühl habe, nicht mehr dazuzugehören?
Darum geht es:
In Ich will meine Gemeinde zurück befindet ist sich eine Gruppe 50-70-jähriger Gemeindemitglieder genau an diesem Punkt. Sie sind frustriert, weil Ihr Pastor nicht mehr im Anzug predigt, es keinen Chor mehr gibt und die neue Musik furchtbar laut und inhaltlich oberflächlich ist. Als die Situation zu eskalieren droht, tritt der Gemeindepastor als Vermittler auf und gründet die „Entdeckergruppe“: Jeden Dienstagabend treffen sich die älteren Männer und Frauen, um über ihre Situation zu sprechen. MacDonald, der fiktiv die Rolle des Pastors übernimmt, versucht bei diesen Treffen gleichzeitig aufzuzeigen, warum sich eine Gemeinde verändern muss, wenn sie überleben will. Im Laufe der Wochen wandelt sich die innere Einstellung der Teilnehmer gegenüber den eingeführten Neuerungen tatsächlich und sie werden wieder zu engagierten Mitarbeitern: Sie haben ihre Gemeinde zurück.
Würdigung …
Es ist Gordon MacDonald mit diesem Buch ein Anliegen, Alt und Jung in den Gemeinden miteinander ins Gespräch zu bringen und füreinander zu sensibilisieren. Um zu zeigen, wie das praktisch aussehen kann, greift der Roman u.a. das Paradebeispiel für den Generationenkonflikt auf: Alte Choräle versus neue Lobpreislieder. Die Entdeckergruppe macht während einiger ihrer Treffen deswegen einen Streifzug durch die Kirchengeschichte und beginnt zu verstehen, dass es auch früher „Anbetungskriege“ gegeben hat – und dass ihre geliebten Choräle damals etwas völlig Neuartiges waren. Umgekehrt nimmt die Jungendband an einem Dienstagstreffen teil und merkt, wie viel die alten Lieder den Senioren bedeuten.
Darüber hinaus sind die Hintergrundinformationen zum Zeitgeschehen, die MacDonald in die Handlung einfließen lässt, die große Stärke der ersten Hälfe des Romans. Der Leser bekommt ein Gefühl dafür, warum die verschiedenen Generationen unterschiedlich ticken. Darüber hinaus hilft ihm diese Analyse, sich gedanklich auf Veränderungen einzustellen, die aufgrund der technischen Entwicklungen auf Gemeinden zukommen könnten.
und Kritik
Diese Ausgewogenheit kippt jedoch in der zweiten Buchhälfte. Zunehmend entsteht der Eindruck, dass es überwiegend die ältere Generation ist, die sich auf die Jüngeren einstellen und sich verändern muss. Der Grund für diese Einseitigkeit liegt möglicherweise in der Tatsache, dass MacDonald vor allem für seine Generation ab 50+ schreibt. Trotzdem schießt er über das Ziel hinaus, wenn er sich als Pastor gegen Ende des Romans zum Beispiel darüber freut, dass seine Entdeckergruppe jetzt nicht mehr „egozentrisch“ sondern veränderungsbereit ist. Hier verkennt MacDonald, dass es oft nicht Unwille oder Egoismus sind, die es manchen Menschen schwer machen, Veränderungen zu akzeptieren und anzunehmen.
Es ist auch zu schwarz-weiß gedacht, wenn die „Entdecker“ auf einmal vermuten, dass das einzige Mitglied, das die Gruppe frustriert verlässt, nie wirklich mit ganzem Herzen dabei war. Der Leser bekommt so unterschwellig das Gefühl, dass nur der ein guter Christ ist, der Veränderungen begeistert aufnimmt oder sie zumindest guten Willens mitträgt. Die Frage, ob Neuerungen immer positiv sind, ob manche Bedenken der älteren Generation berechtigte Gründe haben oder ob man nicht auch Kompromisslösungen finden kann, wird im Roman bezeichnenderweise nicht aufgegriffen.
Leser, die sich darüber hinaus mit der amerikanischen Vorliebe für Methoden und Konzepte in Bezug auf Gemeindewachstum schwer tun, werden auch manche der im Buch vorgestellten Methoden und Überlegungen diesbezügllich kritisch hinterfragen.
Fazit
Die Idee und Aufmachung von Ich will meine Gemeinde zurück sind gut und treffen das Empfinden vieler Gemeindemitglieder. Seinem Anspruch, ein Ratgeberbuch zu sein, wird der Roman aus den oben genannten Gründen aber nur teilweise gerecht. Vielleicht ist Gordon MacDonald selbst zu sehr Erneurer, als dass er sich in diejenigen hineinversetzen kann, die eher Bewahrer sind. Hier fehlen dem Buch Ausgewogenheit und praktische Tipps, wie ältere Gemeindemitglieder ihre Bedenken und Ängste auf gute Art und Weise in den Umgestaltungsprozess ihrer Kirche einbringen können. Menschen, die sich mit Veränderungen wirklich schwer tun, wird das Buch nur sehr bedingt eine Hilfe sein – auch wenn es herausfordernde und sehr wertvolle Impulse enthält.
Ihr Kommentar
Kommentare (7)
das ist ein wirklich guter bericht!!
martin
Danke Hanna für die vorzügliche Arbeit, die du da wieder geleistet hast! dir einen guten Tag und Shalom! Christa
Wenn alle Christen das Wort des Apostels Paulus "Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor" berherzigen, dann überlegen sich die "Progressiven" (egal welchen Alters), was sie "Konservativen" … mehrGutes tun können und umgekehrt. Manchmal frage ich mich, ob die Mahungen des Apostels zur Liebe nur "Schall und Rauch" gewesen sein sollen. Wenn die Gemeinde nur die gesellschaftlichen Kämpfe widerspiegelt, dann geht auch keine Kraft von ihr aus. Ich bete jeden Tag um eine geistliche Erneuerung, die nicht durch Übernahme neuer Konzepte und Stratgien, sondern durch die Kraft des Heilgien Geistes geschiet. Bete mit!
Stell dir vor, du hast ein Lied, das dich in den wirklich wichtigen Situationen deines Lebens immer begleitet hat. Es hat dich Gott deutlich und nachhaltig näher gebracht, und es fällt dir auch … mehrimmer als erstes ein.
Plötzlich ist dieses Lied out.
Was machst du, wenn du trotz Brille und Hörgerät neue Lieder (Stichwort Beamer!) weder lesen noch verstehen, geschweige denn singen kannst, und dich obendrein von deiner Persönlichkeit her nicht mal ansatzweise im Musikstil wiederfindest? Mal ehrlich - wär dir das egal??
Was ist, wenn sich obendrein deine ganz normale Alltagssituation grundlegend unterscheidet von dem, was in neueren Liedern ausgedrückt wird, weil du alt bist oder krank, oder, oder... und dein Leben regelrecht zum Existenz-Kampf wird?
Mit Liedern ist es manchmal wie mit alten Freunden: Man kann (und sollte!) im Lauf seines Lebens immer wieder neue Freundschaften schließen - aber die werden vermutlich nie dieselbe Tiefe und Qualität haben wie ersten.
Das soll kein Freibrief für Stillstand sein; ich meine aber, man sollte im Auge behalten, dass ältere Gemeindeglieder genauso vollwertig zum Leib Christi gehören wie jüngere - und "wenn ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit"!
Was spricht eigentlich dagegen, neue Lieder einzuführen, ohne deshalb die alten in Vergessenheit geraten zu lassen?
Vorweg muss ich sagen, dass ich das Buch nicht gelesen habe, nur diese Kritik.
Was mich etwas befremdet ist, dass hier die 50- 70Jährigen als so konservativ dargestellt werden. Mein Mann und ich, 68 … mehrund 63 Jahre alt, sind durchaus mit moderner Musik und neuen Gottesdienstformen einverstanden. Wir gehören zu einer Generation, die sich schon vor fast 50 Jahren über neue Lieder im Gottesdienst gefreut hat. Außerdem sind wir froh, wenn junge Leute den Gottesdienst besuchen und sich in der Gemeinde einbringen. So "von gestern" ist unsere Generation wirklich nicht, zumindest nicht unser Bekanntenkreis......
Mir hat diese Rezession sehr gut gefallen und es ärgert mich, das mein Vorredner Daniel N. so angriffig darauf reagiert. Ich bin noch nicht 50+ aber auch nicht mehr 20. Und ich bin der <Meinung das … mehrWachstum ohne Kompromisse kein Wachstum sondern lieblosigkeit ist. Kompromisse von beiden Seiten wohlgemerkt. Das ist in der Gemeinde nicht anders als in der Ehe und allen anderen Beziehungen.
Mir scheint, Hanna Wilhelm sollte auch mal an einer "Entdeckergruppe" teilnehmen und ihre eigenen Motive kritisch hinterfragen. Mir scheint es tatsächlich ein Kennzeichen der Nachfolge zu sein, dass … mehrman "unterwegs" bleibt, also zu Veränderungen bereit ist - im Stil, nicht im Inhalt des Evangeliums, wohlgemerkt. Welche "berechtigten Gründe" gibt es denn, einer jüngeren Generation die Gemeinde zu verleiden, weil man unbedingt alles so konservieren möchte, wie man es anno 1970 (oder so) kennen gelernt hat? Und wem gegenüber soll man Kompromisse eingehen - etwa zugunsten von Leuten, die behaupten: "Das ist MEINE Gemeinde, und MEIN Wille geschehe hier"? Im Gegenteil - das ist gelebte Blasphemie, und der kann man nur klar entgegen treten.