Navigation überspringen
© Gronvik / sxc.hu (Beispielbild)

21.03.2012 / Buchvorstellung / Lesezeit: ~ 3 min

Autor/-in: Hanna Willhelm

Ich will meine Gemeinde zurück

Was tun, wenn man sich in der eigenen Kirche nicht mehr wohlfühlt? Ein Ratgeber-Roman verspricht für diesen Fall Hilfe. Zu Recht?

„Unsere Gemeinde wurde uns vor der Nase weggestohlen. Sie wurde entführt.“ Mit diesen Worten klagt ein älterer Mann Gordon MacDonald bei einem Gespräch sein Leid. Ihm bliebe nur noch die Lösung, sich eine neue geistliche Heimat zu suchen, in der sich auch seine Generation zuhause fühlt. Diese wahre Begebenheit wird für den bekannten amerikanischen Pastor zum Anlass, eine fiktive Geschichte zu schreiben, die sich um genau dieses Thema dreht: Wie gehe ich damit um, wenn sich meine Gemeinde so verändert, dass ich das Gefühl habe, nicht mehr dazuzugehören?

Darum geht es:

In Ich will meine Gemeinde zurück befindet ist sich eine Gruppe 50-70-jähriger Gemeindemitglieder genau an diesem Punkt. Sie sind frustriert, weil Ihr Pastor nicht mehr im Anzug predigt, es keinen Chor mehr gibt und die neue Musik furchtbar laut und inhaltlich oberflächlich ist. Als die Situation zu eskalieren droht, tritt der Gemeindepastor als Vermittler auf und gründet die „Entdeckergruppe“: Jeden Dienstagabend treffen sich die älteren Männer und Frauen, um über ihre Situation zu sprechen. MacDonald, der fiktiv die Rolle des Pastors übernimmt, versucht bei diesen Treffen gleichzeitig aufzuzeigen, warum sich eine Gemeinde verändern muss, wenn sie überleben will. Im Laufe der Wochen wandelt sich die innere Einstellung der Teilnehmer gegenüber den eingeführten Neuerungen tatsächlich und sie werden wieder zu engagierten Mitarbeitern: Sie haben ihre Gemeinde zurück.

Würdigung …

Es ist Gordon MacDonald mit diesem Buch ein Anliegen, Alt und Jung in den Gemeinden miteinander ins Gespräch zu bringen und füreinander zu sensibilisieren. Um zu zeigen, wie das praktisch aussehen kann, greift der Roman u.a. das Paradebeispiel für den Generationenkonflikt auf: Alte Choräle versus neue Lobpreislieder. Die Entdeckergruppe macht während einiger ihrer Treffen deswegen einen Streifzug durch die Kirchengeschichte und beginnt zu verstehen, dass es auch früher „Anbetungskriege“ gegeben hat – und dass ihre geliebten Choräle damals etwas völlig Neuartiges waren. Umgekehrt nimmt die Jungendband an einem Dienstagstreffen teil und merkt, wie viel die alten Lieder den Senioren bedeuten.

Darüber hinaus sind die Hintergrundinformationen zum Zeitgeschehen, die MacDonald in die Handlung einfließen lässt, die große Stärke der ersten Hälfe des Romans. Der Leser bekommt ein Gefühl dafür, warum die verschiedenen Generationen unterschiedlich ticken. Darüber hinaus hilft ihm diese Analyse, sich gedanklich auf Veränderungen einzustellen, die aufgrund der technischen Entwicklungen auf Gemeinden zukommen könnten.

und Kritik

Diese Ausgewogenheit kippt jedoch in der zweiten Buchhälfte. Zunehmend entsteht der Eindruck, dass es überwiegend die ältere Generation ist, die sich auf die Jüngeren einstellen und sich verändern muss. Der Grund für diese Einseitigkeit liegt möglicherweise in der Tatsache, dass MacDonald vor allem für seine Generation ab 50+ schreibt. Trotzdem schießt er über das Ziel hinaus, wenn er sich als Pastor gegen Ende des Romans zum Beispiel darüber freut, dass seine Entdeckergruppe jetzt nicht mehr „egozentrisch“ sondern veränderungsbereit ist. Hier verkennt MacDonald, dass es oft nicht Unwille oder Egoismus sind, die es manchen Menschen schwer machen, Veränderungen zu akzeptieren und anzunehmen.

Es ist auch zu schwarz-weiß gedacht, wenn die „Entdecker“ auf einmal vermuten, dass das einzige Mitglied, das die Gruppe frustriert verlässt, nie wirklich mit ganzem Herzen dabei war. Der Leser bekommt so unterschwellig das Gefühl, dass nur der ein guter Christ ist, der Veränderungen begeistert aufnimmt oder sie zumindest guten Willens mitträgt. Die Frage, ob Neuerungen immer positiv sind, ob manche Bedenken der älteren Generation berechtigte Gründe haben oder ob man nicht auch Kompromisslösungen finden kann, wird im Roman bezeichnenderweise nicht aufgegriffen.

Leser, die sich darüber hinaus mit der amerikanischen Vorliebe für Methoden und Konzepte in Bezug auf Gemeindewachstum schwer tun, werden auch manche der im Buch vorgestellten Methoden und Überlegungen diesbezügllich kritisch hinterfragen.

Fazit

Die Idee und Aufmachung von Ich will meine Gemeinde zurück sind gut und treffen das Empfinden vieler Gemeindemitglieder. Seinem Anspruch, ein Ratgeberbuch zu sein, wird der Roman aus den oben genannten Gründen aber nur teilweise gerecht. Vielleicht ist Gordon MacDonald selbst zu sehr Erneurer, als dass er sich in diejenigen hineinversetzen kann, die eher Bewahrer sind. Hier fehlen dem Buch Ausgewogenheit und praktische Tipps, wie ältere Gemeindemitglieder ihre Bedenken und Ängste auf gute Art und Weise in den Umgestaltungsprozess ihrer Kirche einbringen können. Menschen, die sich mit Veränderungen wirklich schwer tun, wird das Buch nur sehr bedingt eine Hilfe sein – auch wenn es herausfordernde und sehr wertvolle Impulse enthält.

 Hanna Willhelm

Hanna Willhelm

  |  Redakteurin

Hanna Willhelm ist Redakteurin, Autorin und begeisterte Theologin. Ihre Faszination für die Weisheit und Bedeutung biblischer Texte möchte sie gerne anderen zugänglich machen.  In der Sendereihe "Das Gespräch" spricht sie am liebsten mit Gästen über theologische und gesellschaftlich relevante Themen. Sie liebt Bücher und lebt mit ihrer Familie in Mittelhessen.

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Kommentare (7)

martin m /

das ist ein wirklich guter bericht!!
martin

Christa R /

Danke Hanna für die vorzügliche Arbeit, die du da wieder geleistet hast! dir einen guten Tag und Shalom! Christa

ERF - Fan /

Wenn alle Christen das Wort des Apostels Paulus "Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor" berherzigen, dann überlegen sich die "Progressiven" (egal welchen Alters), was sie "Konservativen" mehr

Reader /

Stell dir vor, du hast ein Lied, das dich in den wirklich wichtigen Situationen deines Lebens immer begleitet hat. Es hat dich Gott deutlich und nachhaltig näher gebracht, und es fällt dir auch mehr

Ingrid /

Vorweg muss ich sagen, dass ich das Buch nicht gelesen habe, nur diese Kritik.
Was mich etwas befremdet ist, dass hier die 50- 70Jährigen als so konservativ dargestellt werden. Mein Mann und ich, 68 mehr

Daniel P. /

Mir hat diese Rezession sehr gut gefallen und es ärgert mich, das mein Vorredner Daniel N. so angriffig darauf reagiert. Ich bin noch nicht 50+ aber auch nicht mehr 20. Und ich bin der <Meinung das mehr

Daniel N. /

Mir scheint, Hanna Wilhelm sollte auch mal an einer "Entdeckergruppe" teilnehmen und ihre eigenen Motive kritisch hinterfragen. Mir scheint es tatsächlich ein Kennzeichen der Nachfolge zu sein, dass mehr

Das könnte Sie auch interessieren