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© D-squared/sxc.hu (Beispielfoto); privat

10.08.2011 / Interview / Lesezeit: ~ 8 min

Autor/-in: Hanna Willhelm

"Man muss es sich leisten können."

Dagmar Hees bleibt als junge Mutter ihren Kindern zuliebe zuhause. Wie hat sie den Verzicht auf beruflichen Erfolg und finanzielle Sicherheiten erlebt?

ERF Online: Frau Hees, Sie haben sich bewusst dafür entschieden, Vollzeitmama zu sein. War es schon als kleines Mädchen Ihr Traumjob, Mutter zu werden?

Dagmar Hees: Nein. Ich habe mir eher vorgestellt, einen Job zu machen, bei dem ich ein Kostüm tragen kann und ganz wichtig bin. Kinder und Muttersein habe ich nicht als etwas gesehen, das unbedingt sein muss. Ich war als Mädchen sehr jungenhaft, bin draußen herumgetobt und habe lieber mit Jungs als mit Mädchen gespielt. Klar hatte ich Puppen, das gehörte in der Generation dazu. Aber Muttersein war nicht mein Traumjob.

Bild: Dagmar Hees

Dagmar Hees, geboren 1971, ist Mutter von drei Kindern. Für sechzehn Jahre hat sie auf eine Erwerbstätigkeit verzichtet, um sich um ihre Kinder zu kümmern. Im Bund Freier Evangelischer Gemeinden ist sie als Referentin in der regionalen und überregionalen Frauenarbeit tätig.

ERF Online: Trotzdem war es später für Sie selbstverständlich, nach der Geburt des ersten Kindes nicht mehr zu arbeiten. Wie kam es zu diesem Sinneswandel?

Dagmar Hees: Ich habe es als unheimlich positiv erlebt, dass meine Mutter zuhause war. Gerade als Jugendliche fand ich es total klasse, dass sie da war und Zeit für uns hatte, wenn wir von der Schule nach Hause kamen. Wir haben am Mittagstisch viel diskutiert und konnten unsere Probleme ausbreiten. Später habe ich meine Praktika als Lehramts-Studentin für Grund- und Hauptschule in einem Ortsteil von Koblenz gemacht, der damals sozial sehr schwierig war. Für mich war es sehr eindrücklich, die Kinder zu erleben. Man spürte ihnen einfach ab, dass zuhause niemand ist, der ihnen zuhört. Das hat am stärksten einen Sinneswandel bewirkt. Ich sagte mir: Wenn ich überhaupt Kinder bekomme, dann ist es mir ganz wichtig, sie selbst großzuziehen und für sie in dieser positiven Weise dazu sein, wie ich es mit meiner Mutter erlebt hatte.

ERF Online: Dann wäre aber auch eine Teilzeitstelle eine Option gewesen. Warum diese radikale Entscheidung, ganz zuhause zu bleiben?

Dagmar Hees: Ich habe im Studium bezüglich der frühkindlichen Pädagogik und Entwicklungspsychologie gelernt, dass Kinder sichere Bezugspersonen brauchen. Das war mir ganz wichtig und diese Möglichkeit gab es damals außerhalb der Familie für mich nicht. Ich hatte keine Verwandtschaft vor Ort, so dass das Kind bei der Oma in guten Händen gewesen wäre und eine feste Bezugsperson gehabt hätte. Vielleicht hätte ich mich anders entschieden, wenn die Betreuungsmöglichkeiten anders gewesen wären. Aber auch heute ist es meiner Meinung nach nicht ideal, wenn Kinder schon früh in eine Krippe gehen, selbst wenn es gute Betreuungsangebote gibt.

Das Frauenbild der Bibel ist weiter

ERF Online: Entspricht es auch Ihrem Bibelverständnis, dass eine Frau ihren ersten Platz in der Familie hat, bevor der Beruf und andere Sachen kommen?

Dagmar Hees: Wenn ich mir das Aufgabenspektrum der Frau aus Sprüche 31 anschaue, die ja vielen als die ideale Frau gilt, dann geht das weit über Kinderbetreuung und den Haushalt hinaus. Diese Frau hat Handel getrieben und war für die Knechte und Mägde verantwortlich. Auch die anderen Frauenbilder der Bibel fächern ein weites Spektrum auf, wie Frauen gelebt und gehandelt haben. Deswegen tue ich mich schwer damit zu sagen, die Bibel kennt die Frau nur als Mutter und als Stütze für den Ehemann, der den Lebensunterhalt verdient und für alles andere sorgt.

ERF Online: Sie haben sich auch als Vollzeitmutter stark in Ihrer Gemeinde engagiert. Haben Sie so die Anerkennung und Bestätigung bekommen, die sich viele Frauen von ihrem Beruf erhoffen?

Dagmar Hees: Auf jeden Fall! Es war natürlich so, dass mir die Ansprache gefehlt hat, als ich mit zwei Wickelkindern alleine zuhause war. Es war mir zu wenig, mich immer nur über zahnende Kinder und Vollkornbrei mit anderen Müttern zu unterhalten. Ich habe gemerkt, dass ich die Beschäftigung mit anderen Themen, mit geistiger und geistlicher Nahrung brauche. Da bot mir die Mitarbeit in der Gemeinde einen Rahmen, der mit der Familie gut zu vereinbaren war. Ich konnte meine Kinder zum Frauenkreis mitnehmen und sie konnten nebenher spielen. Oder ich habe für einen englischsprachigen Pastor die Predigten redigiert. Das war eine gute Möglichkeit, mich intellektuell zu beschäftigen.

ERF Online: Abgesehen von der eigenen Überzeugung spielt auch die finanzielle Frage eine Rolle, wenn es darum geht, ob eine Frau wieder arbeiten geht. Hat Ihr Mann so gut verdient, dass Sie es sich leisten konnten, zuhause zu bleiben?

Dagmar Hees: Nein, nicht immer. Als die Kinder klein waren, sind wir mit einem Gehalt gut zurechtgekommen, auch wenn mein Mann damals nicht überdurchschnittlich viel verdient hat. Etwas anderes war es, als unser jüngstes Kind in den Kindergarten kam. Zu der Zeit hatten wir schon ein Eigenheim bezogen und mussten die Kredite abbezahlen. Da sah es finanziell nicht immer so rosig aus. Es war eine sehr bewusste Entscheidung, auf Komfort und bestimmte Annehmlichkeiten zu verzichten und sich darauf zu verlassen, dass Gott uns versorgt.

Ich bin in dieser Zeit durch eine spannungsreiche Entscheidungsphase gegangen. Mir war klar, dass die Hausarbeit meine Tage nicht ausfüllt, dass ich auf der anderen Seite aber mein Gemeindeengagement sehr einschränken müsste, wenn ich arbeiten gehe. Das waren die Parameter, unter denen ich Gott sehr eindringlich gefragt habe, was als nächstes dran ist. Ich hatte dann wiederholt den Eindruck, dass Gott mir deutlich gesagt hat: „Ich möchte Dich in der Gemeinde haben, überlasse alles andere mir - auch eure finanzielle Situation.“ Ich habe das mit zwei Leuten, denen ich vertraut habe, besprochen und sie haben mich in meinem Eindruck bestätigt. Darauf habe ich mich dann verlassen und Gott gesagt: „Ich entscheide mich, diesen Weg zu gehen und fordere es von dir ein, dass du deine Zusage einhältst.“

Wir sind nicht zur kurz gekommen

ERF Online: Hat Gott es getan?

Dagmar Hees: In den sechs Jahren vom Kindergarteneintritt unserer jüngsten Tochter bis vor zwei Jahren hat Gott uns durchgetragen. Wir haben immer wieder erlebt, wie Gott Versorgungswunder getan hat. Wir haben gemerkt, wir kommen nicht zu kurz. Dann kam eine Phase, in der mein Mann und ich übereinstimmend den Eindruck hatten, jetzt ist etwas anderes dran. Es wurde auch finanziell immer enger mit drei Kindern auf dem Gymnasium. Da haben wir neu angefangen über eine Berufstätigkeit nachzudenken. Seit zwei Jahren arbeite ich jetzt in Teilzeit.

ERF Online: Wie war es für die Kinder, dass sie manches nicht bekommen konnten, was andere hatten?

Dagmar Hees: Unsere Kinder haben deutlich gemerkt, dass es bei uns knapper zugeht, als bei anderen Familien. Das kam auch manchmal zur Sprache, wenn zum Beispiel nach den Sommerferien alle erzählt haben, wo sie hingeflogen sind und unsere Kinder waren eine Woche bei der Oma und ansonsten im Freibad. Das war für sie zuweilen herausfordernd. Aber was Klamotten und diese Dinge angeht, haben sie nicht geklagt oder gejammert.

ERF Online: Haben Sie den Eindruck, dass es ihnen geschadet hat?

Dagmar Hees: Manchmal denke ich, es wäre schön gewesen, wir hätten ihnen mehr von der Welt zeigen können. Aber der Verzicht auf manche Konsumgüter oder teure Urlaubsreisen hat ihnen bestimmt nicht geschadet.

ERF Online: Würden Ihre Kinder das auch so sehen?

Dagmar Hees: Ich glaube, dass sie das differenziert sehen. Klar hätten sie manches gerne gehabt, was andere sich leisten konnten. Aber auf der anderen Seite haben sie auch viel Spannendes und Gutes erlebt. Ich denke da z. B. an eine Freizeit, für die wir keine Geld hatten. Wir haben das nicht an die große Glocke gehängt, geschweige denn, um Unterstützung gebeten. Trotzdem kam auf einmal der verantwortliche Mitarbeiter zu mir und sagte, dass jemand unseren Kindern die Freizeit schenken wolle. Solche Erlebnisse waren für unsere Kinder sehr eindrücklich.

Für die Jüngste war es sehr, sehr schwierig, als ich anfing zu arbeiten. Sie hatte einen Schulwechsel vor sich, der ihr schwer gefallen ist. Da hat mir manches Mal das Herz geblutet, wenn ich sie einfach losschicken musste, weil ich selbst zur Arbeit musste und nicht die Zeit hatte, alles aufzufangen, was ihr durch den Kopf ging. Von daher würde ich sagen, sie wissen zu schätzen, dass ich all diese Jahre zu Hause gewesen bin.

Es braucht die innere Stärke, anders sein zu können

ERF Online: Was raten Sie einer jungen Mutter, die vor der Entscheidung steht, wieder ins Berufsleben einzusteigen oder noch eine gewisse Zeit zuhause zu bleiben?

Dagmar Hees: Ich würde als erstes fragen: Kannst du dir es vielleicht nicht doch leisten, noch ein bisschen bei deinen Kindern zu bleiben?

ERF Online: Sich Leisten können im finanziellen Sinne?

Dagmar Hees: Man muss es sich auch von der inneren Stärke her leisten können. Heutzutage schwimmt man mit dieser Entscheidung gegen den Trend. Wir wohnen in einer kleinen Siedlung, wo man viel voneinander mitbekommt. Da bin ich immer wieder auch hinterfragt und neugierig beäugt worden, warum ich das anders mache als andere. Es braucht ein gewisses Standing, als Frau zu sagen, dass man sein Kind erst mit drei Jahren in den Kindergarten bringt und nicht wieder in den Beruf einsteigt. Man muss es sich auch leisten können, im Hinblick auf Ziele, die man für die Zukunft hat. Wenn eine Frau gerne Karriere machen möchte, kann sie es sich eigentlich kaum leisten zuhause zu bleiben.

Auch die Altersversorgung ist ein wichtiges Thema. Das ist für mich noch eine ungeklärte Frage: Was wird einmal sein, wenn ich alt werde? Wird das, was mein Mann an Rente erwirtschaftet hat, für uns beide reichen? Andererseits sage ich mir, dass Gott für uns sorgen wird. Auch wenn es in den Ohren vieler Menschen naiv klingt, so zu denken und zu handeln. Das alles sind Aspekte, die eine Rolle spielen und bei denen das "sich Leisten können" nicht nur die rein finanzieller Seite betrifft.

ERF Online: Das spricht alles nicht unbedingt für eine verlängerte Babypause. Warum lohnt es sich dann überhaupt, vorübergehend auf eine Erwerbstätigkeit zu verzichten?

Dagmar Hees: Die Zeit, die man in seine Kinder investiert, wenn sie klein sind, ist von einem unschätzbaren Wert. Das klingt in den Ohren der meisten jungen Frauen abgedroschen. Ich glaube aber, dass es wahr ist und dass sich diese Zeit auch auszahlt. Kinder lernen im frühen Alter hauptsächlich durch Abschauen und Nachmachen. Ich habe so manches Mal gedacht, dass es so viel Unausgesprochenes gibt, was ich unseren Kindern mitgegeben habe. Einfach dadurch, dass ich bei ihnen war, als sie groß geworden sind. Das sind Werte und eine Geborgenheit, die in das ganze Leben hineinreichen. Der Schriftsteller Jean Paul hat gesagt: „Mit einer Kindheit voll Liebe aber kann man ein halbes Leben hindurch für die kalte Welt haushalten.“ In dieser Aussage steckt für mich viel Wahrheit.

ERF Online: Vielen Dank für das Gespräch!


Aktuell zum Thema (alleinerziehende) Mütter, Kinder und Beruf: Deutsche Evangelische Allianz kritisiert Urteil des Bundesgerichtshofes

 Hanna Willhelm

Hanna Willhelm

  |  Redakteurin

Hanna Willhelm ist Redakteurin, Autorin und begeisterte Theologin. Ihre Faszination für die Weisheit und Bedeutung biblischer Texte möchte sie gerne anderen zugänglich machen.  In der Sendereihe "Das Gespräch" spricht sie am liebsten mit Gästen über theologische und gesellschaftlich relevante Themen. Sie liebt Bücher und lebt mit ihrer Familie in Mittelhessen.

Ihr Kommentar

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Kommentare (14)

tigercat /

Ich kann Ihre Worte nur unterstreichen. Ich muß bis zum letzten Tag meiner Berufstätigkeit arbeiten, d.h. bis 65 1/2 Jahre, da ich 13 Jahre Vollzeit Mutter von 2 Kindern war. Ich möchte keinen Tag mehr

N., Wolfhart /

Liebe Frau Hess, vielen Dank für Ihre Offenheit und für Ihren Mut, den Kindern das Beste zu geben. Es zahlt sich aus: Unsere 8 Kinder zw. 38 und 19 Jahren könnten das bestätigen. Finanziell zahlt es mehr

Daniela /

Sehr mutmachend - dieses Interview.
Ich war selbst 10 Jahre lang nach der Geburt unseres Sohnes Hausfrau. Und das war durchaus keine Entscheidung, die von vornherein so klar für mich gewesen mehr

FranzX /

Da unten nach der Meinung von Männern gefragt wurde:
Ich bin sehr froh, dass meine Frau die ersten 3 Jahre seit der Geburt unserer Tochter zuhause blieb. Es hat sowohl unserer Kleinen, als auch mehr

heidi /

Ich kann Junia sehr gut verstehen und möchte noch hinzufügen, dass nicht alles gut ist,nur, weil es früher so üblich war. Heutzutage gibt es in der Arbeits- und Familienwelt auch viele andere mehr

Adelheid E. /

hallo ihr frauen, ich bin selbst mutter von drei töchter, die kostbare zeit mit kindern ist niemals umsonst, selbst wenn der trend der heutige zeit meint, die kinder sollen in fremden händen betreut mehr

Véronique /

Bei diesem Thema fehlen mir die Väter. Ich denke, dass die Anwesenheit der Väter in der Kindererziehung ebenso wichtig ist. Es wäre schön wenn mehr Väter Teilzeit arbeiten könnten (und die mehr

Mike /

endlich mal ein sehr authentischer Bericht! Vielen Dank! Auch in christl. Frauenzeitschriften liest man leider fast nur Berichte von sehr erfolgreichen Frauen mit mehreren Berufen und noch mehr mehr

Waltraud /

wir haben drei "Kinder" (mittlerweile fast 31,29 und 25Jahre) und ich habe auch sehr lange auf meine Berufstätigkeit ihretwegen verzichtet. Auch wir hatten ein Haus abzuzahlen und waren im Urlaub mehr

Junia /

ich würde mir wünschen, wenn wir uns gegenseitig besser stehen lassen könnten, auch mit unterschiedlichen Lebensentscheidungen und nicht immer werten, was ist besser, mütterlicher, christlicher. Mein mehr

Rolf Graf /

Danke für dieses Glaubenszeugnis in dieser Postmoderen Zeit etwas Wunder-
bares!

Yasmin B. /

Ich würde gerne für mein Kind zu hause bleiben, aber es geht eben nicht. Und nicht weil ich alles Geld der Welt haben will, sondern weil ich alleine bin. Nicht jeder kann sich einfach so entscheiden

Petra M. /

Ich habe mich damals auch dafür entschieden für meine Kinder zu hause zu bleiben und ich rate es jeder jungen Mutter solange wie möglich das Kind selbst zu betreuen. Die vielen schönen Momente und Erlebnisse sind viel wertvoller als alles Geld der Welt.

Ruth /

Danke für dieses offene und ehrliche Gespräch..beeindruckt mich sehr ...es gibts doch noch..auch heutzutage..Eine Investition, in die eigenen Kinder..die sich immer lohnt...

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