2006: Ein Morgen im Eschental, einem virtuellen Gebiet des Computerspiels World of Warcraft. Mein untoter Priester mühte sich zum wiederholten Mal mit irgendwelchen Nebenquests ab. Doch nach durchzockter Nacht fiel mir auf einmal die Farbenprächtigkeit und Schönheit der Grafik auf. Ich dachte echt: WOW. Und dieses eine Mal meinte ich es nicht als Abkürzung für „World of Warcraft“.
Der Tanz des Laubs im Wind
Szenenwechsel: Fünf Jahre später im Wald bei Gießen. Ich hatte gerade erfolgreich den Schiffenberg (281 Meter) bezwungen. Mein Fahrrad rollte langsam den Berghang herab, ich genoss die Schönheit und Idylle der Natur. Ein Windstoß wirbelte das erste Laub des Jahres auf, es flog mir in den Weg, wirbelte umher und zauberte einen magischen Moment herbei.
Wer es sich nicht vorstellen kann, dem empfehle ich, sich den folgenden Filmausschnitt aus „American Beauty“ anzusehen. Auch dabei gibt es eine Szene, in der eine Plastiktüte im Herbstwind gefilmt wird. Großes Kino!
Atmen, Leben, Leiden
Natürlich habe ich auf meinem Fahrrad nicht nur die wunderbare Umgebung gesehen, sondern auch meinen Körper gespürt. Die Anstrengungen der Muskeln, das heftige Atmen, der hämmernde Herzschlag. All das hat mir gesagt: Du lebst. Du atmest. Du leidest vielleicht auch. Aber du empfindest mit all deinen Sinnen.
Bei WOW war ich gefesselt an meinen Stuhl, an mein Zimmer, an meinen Computer. Ich konnte den Moment im Eschental bei einem Stück Pizza und einer Cola erleben, dabei das Headset aufhaben und mit irgendwelchen Gildenmitgliedern über die nächsten Ziele sprechen.
Freiheit, die nicht kopierbar ist
Das virtuelle Leben war auch krass. Es gab immer wieder neue Ziele, es war nicht langweilig. Aber eines konnte es nicht bieten: Die Momente, in denen man sich vollständig bewusst ist, dass man lebt. Das ist eine Form von Freiheit, die nicht kopiert oder im Computer abgebildet werden kann.
In diesem Sinne habe ich mich nach vier Jahren endgültig von einer anderen Lebenswirklichkeit verabschieden können. Daher kann ich jetzt sagen, dass es stimmt: Das wahre Leben schlägt alles - Real Life > all!
Ihr Kommentar
Kommentare (2)
Glückwunsch!
ich kann ganz gut verstehen, was markus dörr uns vermitteln will. dass seine fahrrad-berg-fahrt eine gute alternative zu computerspielen ist - auch. nur, ist das der ausstieg aus der virtuellen welt? … mehrinteressanterweise las ich den artikel von ihm am computer - virtuell und nicht real, direkt.
ausstieg aus der virtuellen welt impliziert bei mir den gedanken, mal wirklich abstitent zu sein: von facebook, emails, www - und dafür das gras zwischen den zehen zu spüren, echte menschen im gespräch zu treffen, hand anzulegen, um bedürfnisse in der nachbarschaft abzudecken usw.
aber trotzdem glückwunsch, wenn er der spieleleidenschaft entflohen ist...:-)