/ Wort zum Tag
Der Geber aller Gaben
Die Bibelstelle Psalm 145,15-16 – ausgelegt von Bernhard Berends.
Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit. Du tust deine Hand auf und sättigst alles, was lebt, mit Wohlgefallen.
Die Familie sitzt um den Mittagstisch. Die Mutter stellt die Schüsseln mit Kartoffeln, Gemüse und Fleisch auf den Tisch.
Sofort wollen sich die Kinder darauf stürzen.
„Moment“, sagt die Mutter. „Zuerst beten wir.“ Und sie betet mit einem Bibelvers aus Psalm 145: „Aller Augen warten auf dich, Herr, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit.“ Und sie fügt ein kurzes Dankgebet an.
Sie macht deutlich: „Ja, wir sitzen am gedeckten Tisch. Unsere Augen sehen die verschiedenen Speisen. Wir riechen ihren Duft. Der Appetit ist groß. Aber es wird nicht sofort zugelangt. Zuerst gilt: Eben kurz innehalten. Wir sehen jetzt nicht auf die Speisen auf dem Tisch. Wir wenden uns an Gott, unseren Schöpfer. Wir bedenken: unsere Mahlzeit verdanken wir nicht der Kochkunst unserer Köchin, nicht dem Geld, das wir zur Verfügung haben, um Lebensmittel einkaufen, nicht dem Sortiment im Supermarkt, sondern Gott, dem Geber aller Gaben.
Mir scheint: das Tischgebet wird in christlichen Familien nicht mehr so gepflegt wie noch vor wenigen Jahrzehnten. Vielleicht liegt es daran, dass es auch immer weniger gemeinsame Mahlzeiten im Familienkreis gibt. Die Kinder kommen zu unterschiedlichen Zeiten aus der Schule, die Eltern sind gestresst. Da wird schnell eine Mahlzeit zubereitet. Gut, dass es die Mikrowelle gibt! Jeder isst so, wie er Zeit hat oder wie hungrig er ist. Wie soll man da noch ein gemeinsames Tischgebet sprechen! Und wenn man ganz allein lebt und somit auch allein am Tisch sitzt? Soll man da noch beten? Oder ist es einfach zu selbstverständlich geworden, dass wir an jedem Tag genug zu essen und zu trinken haben?
Übergewicht ist vielfach eher das Problem als Unterernährung.
Gelegentlich höre ich von alten Menschen, die unter uns leben, dass sie als Kinder die Hungerjahre der Kriegs- und Nachkriegszeit miterlebt haben. Und mich lassen Berichte und Reportagen im Fernsehen erschrecken, in denen gezeigt wird, wie gerade junge Menschen darum kämpfen müssen, wenigstens eine Mahlzeit am Tag zu bekommen.
„Du tust deine Hand auf und sättigst alles, was lebt, mit Wohlgefallen.“ So heißt es weiter in dem Psalmvers, der für heute im Losungsbuch der Herrnhuter Brüdergemeine angegeben ist.
Dieser Bibelvers macht mir bewusst: Es ist keineswegs selbstverständlich, dass ich heute genug zu essen habe. Ich verdanke mein ganzes Leben und auch die Nahrung für diesen Tag meinem Schöpfer, der mich im Auge hat und meine leere Hand füllt.
Mit Blick auf die Menschen, die heute nicht satt werden können, sehe ich in den Worten des Psalms auch die Verpflichtung, mich dafür einzusetzen, dass hungrige Menschen satt werden. Ich blicke über meinen Tellerrand hinaus. Ich denke an Menschen, die ich nicht kenne, die weit von mir entfernt leben. Mit meinem Dankgebet für den gedeckten Tisch bete ich auch für sie, die heute hungrig bleiben müssen. Ich tue, was ich kann, damit auch diejenigen, die heute hungern müssen, eines Tages beten können: „Aller Augen warten auf dich, und du gibst ihnen ihre Speise zur rechten Zeit. Du tust deine Hand auf und sättigst alles, was lebt, mit Wohlgefallen.“
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