/ Bibel heute
Die Aufnahme des Evangeliums in Bedrängnis
Der Bibeltext 1. Thessalonicher 2,13-20 – ausgelegt von Andreas Hornung.
Darum danken wir auch Gott ohne Unterlass dafür, dass ihr das Wort der göttlichen Predigt, das ihr von uns empfangen habt, nicht als Menschenwort aufgenommen habt, sondern als das, was es in Wahrheit ist, als Wort Gottes, der in euch wirkt, die ihr glaubt. Denn ihr, Brüder und Schwestern, seid Nachfolger geworden der Gemeinden Gottes in Judäa, die in Christus Jesus sind; denn ihr habt dasselbe erlitten von euren Landsleuten, was jene von ihren erlitten haben, den Juden, die den Herrn Jesus getötet haben und die Propheten und die uns verfolgt haben und die Gott nicht gefallen und allen Menschen feind sind,[...]
In der Sächsischen Kirchenzeitung „Der Sonntag“ vom 20. April dieses Jahres
las ich einen Beitrag von Reinhard Mawick unter der Überschrift „Bach und die Judenfeindschaft“. Darin weist der Autor auf judenfeindliche Aussagen in Bachs Werken hin, besonders in der Johannespassion, und schlägt vor, dass in den Pausen der Aufführungen auf diese Problematik aufmerksam gemacht werden müsse, um Bachs Passionstheologie zu korrigieren. Dieser Artikel hat mich sehr befremdet.
Der Antisemitismusbeauftragte der niedersächsischen Landesregierung Gerhard Wegner plädiert sogar dafür, man solle vorerst auf die Aufführungen der Bach´schen Passionen ganz verzichten.
Nun, die Wissenschaft liefert keine Hinweise darauf, dass Bach besonders judenfeindliche Ansichten gehabt hätte. Auch hat er nicht die judenfeindlichen Tendenzen seiner Zeit in irgendeiner Weise verstärkt. Bach hat lediglich die überlieferten Texte des Evangeliums nach der Lutherbibel verarbeitet. Dieses Zitieren von Bibeltexten wird heute problematisiert.
Doch wie steht es um die sogenannten „judenfeindlichen Texte“ der Bibel? Unser heutiger Text enthält solche eine Passage. In den Versen 1. Thessalonicher 14-16 schreibt der Apostel Paulus:
„Denn ihr, Brüder, seid Nachahmer geworden der Gemeinden Gottes in Judäa, die in (Gemeinschaft mit) Jesus, dem Christus, ihr Leben führen; denn ihr habt dasselbe erlitten von euren Landsleuten, was jene von den Juden erlitten haben, die Jesus, den Herrn, getötet haben - und die Propheten - und die (auch) uns verfolgt haben und die (deshalb) Gott nicht gefallen und allen Menschen feind sind, indem sie uns hindern, den Heiden zu predigen zu ihrem Heil. So machen sie das Maß ihrer Sünden für alle Zeit voll. Aber das Strafgericht Gottes hat sie schon in vollem Umfang erreicht.“
Auf welches Strafgericht nimmt Paulus hier Bezug, das die Juden getroffen habe? Paulus hatte diesen Brief im Winter des Jahres 50/51 geschrieben. Er nimmt also nicht auf die Zerstörung Jerusalems und des Tempels im Jahre 70 Bezug, sondern anscheinend auf einen Vorfall im Jerusalemer Tempel im Jahre 48, wo 20 000 Juden umkamen.[1]
Paulus schildert hier einfach nur die Faktenlage, wie es die Christen in Thessaloniki erlebt haben und wie wir es in Apostelgeschichte Kapitel 17 nachlesen können. Die Juden haben ja tatsächlich den ersten Christen das Leben schwer gemacht, wie wir es überall in der Apostelgeschichte lesen können.
Fakten sind erst einmal kein Antisemitismus. Antisemitismus ist eine Hineininterpretation in die Faktenlage – also eine Ideologisierung. Aber das findet hier nicht statt. Allerdings ist die anstößige Aussage über die Juden in unserem Text - „sie gefallen Gott nicht und sind allen Menschen Feind“ - eine Frage der richtigen Übersetzung.
Man kann diesen Text nämlich auch anders übersetzen:
„Sie haben Jesus und die Propheten getötet und (auch) uns haben sie verfolgt. Deshalb gefallen sie Gott nicht (oder: deshalb hat Gott kein Gefallen an ihnen, weil sie Boten Gottes verfolgen und töten). Sie sind (deshalb) allen Menschen Feind, weil sie uns hindern, den Nationen zu predigen, damit diese gerettet werden (und damit unterbinden sie, dass viele Menschen von ihrer Sündenschuld befreit und erlöst werden).“
So gesehen lese ich nichts Judenfeindliches oder gar Antisemitisches in diesem Text. Ich glaube, man sieht immer das, was man sehen will. Und heutzutage schießt man oft übers Ziel hinaus, wenn man die Geschichte verändern möchte – aber das geht nicht. Wenn wir das tun, ideologisieren wir das ganze Unternehmen.
Heute werden Denkmäler abgerissen von Menschen, die Großes geleistet haben, aber die Kinder ihrer Zeit waren und deshalb Äußerungen machten, die wir mit unserem heutigen Wissen als rassistisch bezeichnen. Wollen wir auch Martin-Luther-Denkmäler zerstören, weil er in seiner letzten Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ [2] zum Niederbrennen von Synagogen und zum Töten von Juden aufruft?
Wir müssen aufpassen, dass wir nicht das Kind mit dem Bade ausschütten. Mir kommt es manchmal vor, wie eine moderne Bilderstürmerei.
Biblische Texte sind immer auch Zeit-kritische Texte. Darin wird auch das Verhalten der Juden und ihrer Obrigkeit selbstkritisch gemaßregelt. Die Propheten des Alten Testaments waren deshalb auch nicht gern gesehen und mussten oft viel erleiden, ja, sie wurden sogar ins Gefängnis geworfen und manchmal auch von ihren eigenen Landsleuten getötet.
Auch Jesus redete sehr selbstkritisch über die Juden, denn Er war selbst Jude.
Er sagt zum Beispiel: „Ihr baut den Propheten Gräber und schmückt die Grabmäler der Gerechten und sagt: 'Hätten wir in den Tagen unserer Väter gelebt, wir hätten uns nicht mitschuldig gemacht am Blut der Propheten.'
So stellt ihr euch selbst das Zeugnis aus, dass ihr Söhne der Prophetenmörder seid. Macht ihr nur das Maß euer Väter voll! - Ihr Schlangen! Ihr Natterngezücht! Wie wollt ihr dem Gericht der Hölle entrinnen?
Darum siehe, ich sende zu euch Propheten und Weise und Schriftgelehrte. Etliche von ihnen werdet ihr töten und kreuzigen, andere werdet ihr in euren Synagogen geißeln und von Stadt zu Stadt verfolgen, damit über euch alles gerechte Blut komme, das auf die Erde ausgegossen wurde, vom Blute Abels, des Gerechten, an, bis zum Blute des Zacharias, … den ihr … ermordet habt. Wahrlich, ich sage euch: Dies alles wird über dieses Geschlecht kommen.“ [3]
Diesen Worten Jesu Judenfeindschaft und Antisemitismus zu unterstellen ist paradox; denn Jesus liebt sein Volk. Er weinte über Jerusalem[4] und sagte: „Wie oft habe ich deine Kinder sammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken unter die Flügel nimmt! Aber ihr habt nicht gewollt!“ [5]
Die letzte Aussage Jesu in der Bibel lautet: „… Wenn jemand von den Worten des Buches dieser Weissagung etwas wegnimmt, dem wird Gott seinen Anteil wegnehmen am Baum des Lebens und an der heiligen Stadt, von denen in diesem Buche geschrieben ist. Der dies bezeugt spricht: 'Ja, ich komme bald!'“ [6]
Die sogenannten „Deutschen Christen“ hatten im Dritten Reich auf der Wartburg in Eisenach das sogenannte Entjudungsinstitut[7] eingerichtet, an dem viele Theologen und Pfarrer damit beschäftigt waren, sämtliche Bezüge auf das Judentum aus allen kirchlichen Texten auszutilgen. Auch Luthers Katechismus und das Gesangbuch wurden judenrein gemacht.
1940 erschien dann die ent-judete Volksbibel unter dem Titel „Die Botschaft Gottes“. All das geschah unter dem Vorwand der „Wissenschaftlichkeit“! Wir müssen aufpassen, dass wir heute nicht von der anderen Seite vom Pferd fallen.
[1]Flavius Josephus, Bellum 2,224-227
[2]erschienen 1543 und im Internet nachzulesen
[3]Mt 23,29b-36
[4]Lk 19,41-42
[5]Mt 23,37
[6]Offb 22,18-20. Die Kirchenväter haben die Offenbarung des Johannes bewusst an den Schluss der Bibel gesetzt, weil sie diese letzten Worte gern auf die ganze Bibel bezogen wissen wollten und nicht nur auf die Offenbarung.
[7]Offizieller Name: „Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben“.
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