19.05.2022 / Andacht

Und dafür soll ich dankbar sein?

Schlechte Erfahrungen mit der Familie können zur lebenslangen Last werden. Wie es trotzdem gelingen kann, Grund zum Danken zu finden.

Wenn Sie gerne Geschichten von harmonischen Familien lesen möchten, gibt es ein Buch, das ich Ihnen an dieser Stelle nicht empfehlen kann: die Bibel. Von den ersten Seiten an. Allein die Lektüre des 1. Buches Mose reicht aus, um wahlweise Jugendamt, Scheidungsanwalt, Finanzbehörden oder Staatsanwaltschaft anzurufen – in manchen Fällen vorsorglich gleich alle auf einmal! Da wird übervorteilt, ausgebeutet, betrogen, fremdgegangen, versklavt und nicht zuletzt misshandelt und gemordet, sodass man dem Buch gerne FSK 16 verpassen würde.

Ein Paradebeispiel: die Geschichte von Josef. Und damit meine ich nicht nur den Evergreen aus dem Kindergottesdienst, wo Josef von seinen neidischen Brüdern zusammengeschlagen und in die Sklaverei verkauft wird. Viel interessanter ist hier der zweite Akt dieses nicht gerade KIKA-geeigneten Plots: Die Zeit, in der Josef als Sklave in Ägypten lebt.

Ein verpfuschtes Leben

Josef hat keinen Grund, seiner Familie dankbar zu sein. Sein Leben ist verpfuscht, und schuld daran ist sein Vater. Josef war der Lieblingssohn, wurde von vorne bis hinten verhätschelt und wuchs im Glauben auf, etwas ganz Besonderes zu sein. Seine Charaktermängel (Hang zur Angeberei, mangelnde Empathie) sind die direkte Folge der Erziehungsfehler seines Vaters.

Dann hat er auch noch Pech mit seinen Brüdern. Die besiegeln seinen weiteren Lebensweg, indem sie ihn erst halbtot schlagen und dann als Sklaven an eine ägyptische Karawane verkaufen. Diese völlig gestörte Brüderbeziehung bedeutet für Josef fortan ein Leben in Unfreiheit.

In Ägypten schuftet Josef als Sklave, bekommt schwere Verantwortung aufgebürdet, muss hartnäckigen Versuchungen widerstehen und landet schließlich – nach übler Verleumdung – im Knast. Dort muss er wieder schuften und Verantwortung übernehmen, und dank der Unachtsamkeit eines Mithäftlings verlängert sich seine Haftstrafe um weitere zwei Jahre!

Als er endlich freikommt, ergattert er einen Job am Hof des Pharaos. Doch auch das bedeutet nur wieder: viel Arbeit, noch mehr Verantwortung und jede Menge Lasten. Und schuld an all der Mühsal ist Josefs vermaledeite Familie, die die Weichen für sein Leben gestellt hat. Vielen Dank auch!

An dieser Stelle bitte ich Sie, sich die Geschichte einmal selbst durchzulesen: 1. Mose 39-41. Vielleicht fällt Ihnen ja etwas auf.

Die Konstante, die aus einem schlechten Leben ein gutes machen kann

So schlecht, wie eben dargestellt, ist Josefs Leben gar nicht verlaufen. Denn aus der Perspektive, die ich eben für die Schilderung genutzt habe, habe ich eine entscheidende Konstante herausgerechnet: Gott. Ohne diese Konstante ist es sehr leicht, das Leben von der düsteren Seite aus zu betrachten. Versäumnisse der Eltern und Gewalt unter Geschwistern stürzen einen jungen Mann in ein Leben voller Leid, Unfreiheit und Mühsal.

Eine Biografie, wie es sie millionenfach schon gegeben hat. Beziehen wir die Konstante Gott aber mit in die Gleichung ein, ändert sich die Gewichtung vom Negativen ins Positive. Dann liest sich die Geschichte von Josef plötzlich ganz anders:

Beziehen wir die Konstante Gott aber mit ins Leben ein, ändert sich die Gewichtung vom Negativen ins Positive.

Josef wird verprügelt, verkauft und versklavt. Doch weil er an Gott festhält und dadurch in der Lage ist, sein Bestes zu geben, macht er sich seinem Dienstherrn unentbehrlich und genießt hohe Privilegien. Gott hilft ihm auch dabei, den Verführungskünsten der Frau seines Herrn zu widerstehen. Zwar landet Josef nach den Verleumdungen dieses bösen Weibsbilds im Knast, aber auch dort weiß er, dass Gott an seiner Seite ist.

Mit Gottes Hilfe erwirbt er das Vertrauen des Gefängnisaufsehers und wird allgemein bekannt als ein Mann, der einen festen Glauben hat. Davon bekommt am Ende sogar der Pharao Wind, der sich sehr wohlwollend und beeindruckt von Josefs Glauben zeigt und ihn zu seinem wichtigsten Beamten macht. So ist Josef inmitten all dieser Umstände ein Zeugnis für die Dinge, die Gott tun kann (zum Beispiel Träume deuten).

Wäre er als Junge nicht in die Sklaverei verkauft worden, wäre er am Ende nicht zum zweitmächtigsten Mann in Ägypten aufgestiegen.

Dankbarkeit für das, was Gott aus einem Leben machen kann

Der rote Faden, der sich durch die gesamte Josefsgeschichte zieht, ist Josefs tiefes Vertrauen auf Gott. Auch in den schwierigen Phasen des Lebens, etwa als er unschuldig im Gefängnis sitzt. Weder hadert Josef noch klagt er. Stattdessen vertraut er auf Gott und gestaltet sein Leben in dem jeweiligen Rahmen, der ihm zur Verfügung steht.

Gott sorgt im Gegenzug dafür, dass Josef seine Fähigkeiten trainiert und ausbaut und dadurch Erfolge feiert. Die ganze Zeit hindurch ist und bleibt er äußerlich ein Sklave. Innerlich aber ist er ein Kind Gottes, das sich unter allen Umständen von ihm geleitet weiß. So erlebt Josef Segen und kann zum Segen werden. Trotz der Lasten seiner Familiengeschichte.

Der dritte Akt der Josefgeschichte erzählt, wie seine Brüder nach vielen Jahren – Josef muss inzwischen Ende dreißig sein – wegen einer Hungersnot bei ihm anstehen und Getreide kaufen wollen. Natürlich erkennen sie ihren Bruder nicht wieder, der nun königlicher Hofbeamter ist. Josef ist von der Not seiner Brüder angerührt.

Als er mitbekommt, dass sie ihre Tat von damals tief bereuen, ist er bereit, ihnen zu vergeben und ihnen sogar noch Gutes zu tun. Am Ende, als er sich ihnen zu erkennen gibt, sind sie erfreut, aber auch beschämt. Josef aber sagt zu ihnen:

Was mich betrifft, hat Gott alles Böse, das ihr geplant habt, zum Guten gewendet. Auf diese Weise wollte er das Leben vieler Menschen retten (1. Mose 50,20).

Mit dieser Aussage redet Josef den Schaden, der ihm zugefügt wurde, nicht klein. Er spricht sehr deutlich aus: Ihr habt mir Böses angetan! Er ist gewiss nicht dankbar für die konkreten Dinge, die er durch seine Familie erlitten hat. Niemand muss dankbar sein für Mobbing, Schläge und die emotionale Unfreiheit, die daraus resultiert. Und doch wage ich zu behaupten, dass Josef am Ende dankbar dafür ist, wie sich sein Leben entwickelt hat.

Ohne den Verkauf in die Sklaverei hätte er vermutlich ein angenehmes, aber unspektakuläres, möglicherweise sogar segensarmes Leben gelebt. Er kann dankbar sein für das, was Gott aus seinem Leben gemacht hat. Josef macht deutlich, dass ein Leben, das unter schlechten Vorzeichen begonnen hat, trotzdem eine gute Wendung nehmen kann – wenn man Gott das Steuer überlässt.

 

Autor/-in: Katrin Faludi

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