02.06.2014 / Interview

Ohne Smartphone geht nix

Wie das digitale Zeitalter die Schulen prägt und welche Herausforderungen dadurch entstehen.

Die Inhalte des Internets sind nicht die eigentlich Gefährdung für unsere Kinder. Gefahren lauern ganz woanders. Diese These stellt Dr. Bernhard Bueb auf. Er hat über 30 Jahre das Internat Schloss Salem am Bodensee geleitet. Oliver Jeske hat ihn interviewt.
 

Oliver Jeske: Herr Bueb, haben sich Ihrer Ansicht nach die Herausforderungen eines Lehrers in den letzten 30 Jahren geändert?

Dr. Bernhard Bueb: Es ist viel mehr gleich geblieben, als sich verändert hat. Die Grundfragen, die Lehrer zu beantworten haben, sind gleich geblieben. Das ist die Motivation der Schüler, der Umgang mit der Heterogenität in der Klasse, die verschiedenen Lerngeschwindigkeiten der Kinder, das Problem der Schule als einer künstliche Einrichtung und das Problem des Vergleichens in den Noten. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Trotzdem hat sich einiges durch die Dauerpräsenz der Medien geändert. Nehmen sie einmal an, ein Kind fühlt sich unwohl und ruft noch während des Unterrichts seine Eltern an und sagt: "Mir geschieht unrecht". Nur eine Stunde später könnte der Anruf der Eltern bei der Schulleitung sein. Das sind Entwicklungen, mit denen Lehrer schwer zurecht kommen. Oder auch das Problem, dass die Schüler auch während des Unterrichts ständig mit ihren Smartphones beschäftigt sind. Wenn Lehrer das nicht verbieten, können sie sich darauf verlassen, dass ein Teil der Schüler ständig unterwegs ist - auch zu Klassenkameraden zwei Bänke hinter ihnen.

Von den Likes anderer Menschen abhängig

Oliver Jeske: Sie sagen, dass das Problem beim Internet weniger die Inhalte sind, sondern ganz andere Dinge. Diese Aussage hat mich überrascht. Wie meinen Sie das?

Dr. Bernhard Bueb: Kinder und Jugendliche, die behütet aufgewachsen sind, werden mit vielen Inhalten fertig. Sie werden zu ihren Eltern kommen und Fragen stellen. Das Problem durch Inhalte haben eher die Kinder, die keine fürsorglichen und liebevollen Eltern haben. Was das Leben der Kinder aus den Bildungshaushalten stark verändert, ist die Dauerkommunikation im Alltag und die Unverbindlichkeit der Beziehungen. Sie entsteht durch Nutzung der Handys und Smartphones. Man vereinbart ein Treffen und weiß im Hinterkopf, dass man auch noch kurz vorher absagen kann. Außerdem wird durch Facebook und andere Medien das Vergleichen untereinander stark gefördert. Darin sehe ich ein großes Problem. Aus diesen Gründen sage ich, dass die Inhalte zwar nicht sekundär sind und trotzdem nicht so gravierend wie die weiteren eben erwähnten Gründen.
 

Oliver Jeske: Wie können Jugendliche und Kinder innerlich gestärkt werden, sodass sie frei werden vom ständigen Vergleichen, insbesondere durch Facebook und andere soziale Netzwerke?

Dr. Bernhard Bueb: Ein starkes Selbstwertgefühl macht Menschen unabhängig, denn dann wird das persönliche Glück nicht mehr davon beeinträchtigt, ob andere Menschen glücklicher, reicher oder begabter sind. Wenn Menschen mit sich im Reinen sind und sich selbst akzeptieren, dann können sie auch andere Menschen akzeptieren, unabhängig davon, wer ihnen gegenüber steht.

Das Ziel von Bildung und Erziehung muss sein, dass Kinder und Jugendliche in ihrem Selbstwertgefühl gestärkt und unabhängig werden. Dieser mühsame Prozess endet erst mit 80 oder 90 Jahren. Auch im Alter ist man nicht frei vom ständigen Vergleichen untereinander. Aber je mehr wir in uns ruhen, desto unabhängiger werden wir und das ist die Grundlage unseres Glücks. Der Inhalt des Faches sollte deswegen nicht das erste Ziel des Lehrers sein, sondern vielmehr dass die Kinder durch den Unterricht in ihrer Persönlichkeit gestärkt werden und Selbstvertrauen gewinnen.

Dr. Bernhard Bueb ist 1938 in Tansania geboren und studierte Philosophie und Theologie. 1974 bis 2005 war er Leiter des Internats Schulschloss Salem am Bodensee.

„Wissen sollte nicht vermittelt werden, nur weil es im Lehrplan steht“

Oliver Jeske: Sie kritisieren an Gymnasien ein zu starkes Ausgerichtetsein auf die Wissensvermittlung. Was meinen Sie damit?  

Dr. Bernhard Bueb: Natürlich brauchen wir ein bestimmtes Maß an Wissen. Doch das Wissen sollte nicht vermittelt werden, nur weil es im Lehrplan steht. Dieses Wissen sollten die Schüler für ihren nächsten Schritt gebrauchen können. Bildung und Wissenserwerb sollte immer einem Zweck dienen und nicht dem Zweck der Wissensanhäufung. Meiner Meinung leidet die Motivation der Schüler stark darunter, dass sie wenig experimentieren und in die Praxis umsetzen. Die Schüler häufen viel unnötiges Wissen an, das sie dann bald wieder vergessen. Wenn sie sich dagegen Wissen aneignen, um ein Experiment durchführen zu können, dann würde das Wissen auch bleiben.

Schulen sollten daher stärker projektorientiert arbeiten. Im Deutschunterricht sollte neben der Theorie auch viel mehr Schauspiel von bekannten Stücken eingebunden werden. Auch in naturwissenschaftlichen Fächern sollte mehr experimentiert werden und dieser Aspekt stärker im Vordergrund stehen.
 

Oliver Jeske: Zu Beginn haben wir darüber gesprochen, dass wir gerade im Digitalzeitalter starke junge Persönlichkeiten brauchen, die Selbstbewusstsein entwickeln und sich nicht von der Meinung anderer in den Foren abhängig machen. In welchem Maße spielt Ihrer Meinung denn der Glauben an Gott in der Stärkung der Persönlichkeiten eine Rolle?

Dr. Bernhard Bueb: Im klassischen Religionsuntersicht sollte der Glaube weniger eine Rolle spielen, als das Nachdenken über den Glauben. Schließlich darf ich nicht allen Schülern unterstellen, dass  sie gläubig sind. Doch die großen Themen in der christlichen Religion finde ich zentral wichtig, insbesondere dass die Erzählungen aus der Bibel den Kindern und Jugendlichen bekannt sind. Ideal wäre es, wenn diese nicht auf den Religionsunterricht begrenzt werden, sondern in den Bildungskanon kämen. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter müsste jedem Menschen geläufig sein, egal ob Christ oder Nichtchrist.  
 

Oliver Jeske: Vielen Dank für das Gespräch!