02.12.2025 / Serviceartikel

Meine Bedürfnisse, deine Bedürfnisse

In 4 Schritten Konflikte entschärfen. Wie die Gewaltfreie Kommunikation ein respektvolles Miteinander fördert.

Vielleicht kennst du das? Schon wieder ist ein Konflikt eskaliert. Ich bin generell ein friedensliebender Mensch, aber wenn andere meine Bedürfnisse wie Bulldozer überrollen, sehe ich schon mal rot. Dann werde ich zur Drama Queen, wie mein Mann es mal scherzhaft, mal eher gequält beschreibt.

Erst letztens haben wir uns über eine Sache in die Haare gekriegt, bei der wir grundsätzlich gleicher Ansicht waren, uns jedoch über das Vorgehen uneins waren.

Obwohl wir das gleiche Ziel hatten, hatten wir in dem Moment ganz unterschiedliche Bedürfnisse und das erwies sich als regelrechter Sprengstoff.

Der Psychologe Marshall B. Rosenberg sieht in unseren Bedürfnissen die eigentliche Triebfeder hinter unseren Gefühlen und damit auch hinter Konflikten. Rosenberg entwickelte die Gewaltfreie Kommunikation. Dies ist eine Form der Konfliktlösung, bei der man den Blick auf die Bedürfnisse der Streitparteien statt nur auf den Streitgegenstand richtet.

Auf diese Weise kann im besten Fall bei Interessenskonflikten Streit ganz vermieden werden. Doch wie genau funktioniert die Gewaltfreie Kommunikation?

Ich-Botschaften statt Du-Botschaften

Die Gewaltfreie Kommunikation stellt Empathie, Klarheit und Wertschätzung in den Fokus. Das bedeutet: Ich formuliere klar meine Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse und zeige Verständnis für die Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse des anderen. Gemeinsam ringen wir um eine Lösung, die die Bedürfnisse von uns beiden berücksichtigt, und gehen dabei wertschätzend miteinander um.

Das beginnt bei der Sprache. Daher heißt die Gewaltfreie Kommunikation auch Gewaltfreie Kommunikation: Statt Anklagen, Vorwürfen oder gar Beleidigungen äußere ich Wünsche oder Bedürfnisse. Statt Du-Botschaften verpacke ich in Ich-Botschaften, was mir am Herzen liegt. 

Das hört sich zum Beispiel so an: „Ich fühle mich einsam, wenn du jeden Abend mit Freunden unterwegs bist. Ich habe dann das Gefühl, dass sie dir wichtiger sind als ich.“ Das klingt ganz anders als „Jeden Abend bist du weg. Ist dir eigentlich egal, wie ich mich dabei fühle?“, nicht wahr?

Gewaltfreie Kommunikation einüben – wie gelingt’s?

Nun wirst du vielleicht einwenden: Das weiß ich alles bereits, aber im Streit denke ich da nie dran. So geht es mir auch. Sonst hätten mein Mann und ich uns letztens nicht in die Haare gekriegt.

Tatsächlich muss man die Gewaltfreie Kommunikation erst einüben. Denn sie unterscheidet sich stark davon, wie wir sonst miteinander reden. Am besten tust du das nicht mitten in einem Streit, sondern übst es in „Friedenszeiten“ bei vergleichsweise harmlosen Interessenskonflikten. Dafür suchst du dir jemanden, der sich wie du eine bessere Streitkultur wünscht. 

Zur Unterstützung gibt es in der Gewaltfreien Kommunikation zudem vier Schritte, die du in einem Konflikt nacheinander abarbeiten kannst. Das hilft dir, um wirklich Klarheit und Wertschätzung einzuüben.

Ich beziehe mich hier auf die Beschreibung dieser Schritte aus dem Buch „Einander verstehen lernen – Wie uns verbindet, was wir sagen“ von Elisabeth Haag. Du findest sie aber auch in anderen Quellen zur GFK, eventuell aber in leicht abgeänderter Form.

Schritt 1: Beobachten

Zunächst ist es wichtig, die Situation zu beobachten und vor dem anderen zu benennen. Vielleicht denkst du jetzt: Das ist ja ganz einfach. Oder du fragst dich, warum du das tun sollst. Schließlich kennen du und der andere die Situation zur Genüge. Dann tritt bitte einen Schritt zurück und frage dich: Stimmt das wirklich?

In vielen Fällen beobachten wir das Verhalten einer anderen Person und interpretieren einen nicht unerheblichen Teil hinein. Die Spülmaschine ist noch nicht ausgeräumt, also haben deine Kinder oder dein Partner das mal wieder bewusst dir überlassen. Dein Chef gibt dir am späten Nachmittag noch einen wichtigen Arbeitsauftrag und du denkst: Der gönnt mir auch gar keinen Feierabend.

Aber ist wahr, was du in diese Situationen hineininterpretierst? Vielleicht ist deinen Kindern nicht aufgefallen, dass die Spülmaschine ausgeräumt werden kann. Und vielleicht gibt dir dein Chef den Auftrag nur, um ihn vor seinem Feierabend aus dem Kopf zu haben.

Es lohnt sich daher, die Situation, über die du dich gerade ärgerst, genau anzuschauen und im Gespräch mit dem anderen erstmal nur deine Beobachtungen und nicht deine Interpretation zu äußern.

In dem Beispiel mit dem Chef kannst du sagen: „Du hast mir noch einen Auftrag gegeben, aber ich will in einer halben Stunde Feierabend machen. In der Zeit werde ich die Aufgabe nicht mehr schaffen.“

So formulierst du klar, wie die Dinge stehen. Ob dein Chef dir mit der Aufgabe Überstunden anordnen wollte, lässt du erstmal außen vor. Wenn das seine Intention war, wird er dies nun sagen. Wenn nicht, wird er dir mitteilen, bis wann die Aufgabe erledigt sein muss, oder er wird sie selbst angehen oder an jemand anderen delegieren. In jedem Fall hast du eine möglicherweise falsche Vorannahme vermieden.

Schritt 2: Gefühle und Gedanken schildern

Manchmal klären sich Interessenskonflikte schon, wenn du die Situation so schilderst, wie du sie wahrnimmst. In dem Beispiel mit dem Chef kann es also sein, dass allein deine Beobachtung dazu führt, dass sich die Dinge zum Guten wenden und du pünktlich in den Feierabend kommst.

Meist ist aber auch der zweite Schritt nötig, um einen Konflikt friedlich aus der Welt zu schaffen. Hier wird es nun komplizierter. Denn jetzt drückst du deine Gedanken und Gefühle aus, solltest dabei aber ganz bewusst bei dir bleiben.

Das könnte in unserem Spülmaschinen-Beispiel so aussehen: „Wenn ich die Spülmaschine unausgeräumt vorfinde, habe ich den Eindruck, es sei allein meine Aufgabe, unsere Küche ordentlich zu halten. Das betrübt mich. Zudem setzt es mich unter Druck, da ich noch andere Haushaltsaufgaben zu erledigen habe.“

Wie du siehst, verwende ich in meinem Beispiel nicht einmal das Wort „Du“. Das sind die berühmten Ich-Botschaften, mit denen wir vormalige Du-Botschaften in unserer Kommunikation ersetzen. Dennoch ist dem Gegenüber sofort klar, dass sein Verhalten diese Gefühle mitverursacht hat.

Manche Menschen werden daher bereits auf eine solche Äußerung anspringen. Dann ist es sinnvoll, noch einmal klarzumachen: Ich spreche hier von meinen Gefühlen und davon, dass ich mir die Dinge anders wünsche. Das ist erstmal kein Angriff gegen dich.

Wenn dein Gegenüber das kapiert und dann auch real erlebt, dass auf solch eine Selbstoffenbarung kein direkter Angriff folgt, wird er bereit sein, dir zuzuhören.

Schritt 3: Bedürfnisse erkennen und äußern

Jetzt geht es um die Bedürfnisse und das ist der schwierigste Part. Vielleicht hast du schon beim Äußern deiner Gefühle gemerkt, dass da noch ganz andere Emotionen mit im Spiel sind als Wut oder Empörung. Und eventuell fällt es dir schwer, diese in Worte zu fassen, wenn dich die Situation oder das Verhalten des anderen nicht nur wütend macht, sondern auch betrübt oder Angst in dir weckt.

Oft kaschieren wir Gefühle, die uns verletzlich zeigen, hinter Wut. Aber erst deine unterschwelligen Gefühle helfen dir weiter, um dein eigentliches Bedürfnis zu erkennen.

Schauen wir hier noch mal auf das Beispiel mit der Spülmaschine. Auf den ersten Blick scheint das Bedürfnis zu sein, die Spülmaschine nicht immer selbst ausräumen zu müssen. Ein sehr verständlicher Wunsch, aber nicht das einzige Bedürfnis im Beispiel.

In meiner Ich-Botschaft formuliert die Person auch, dass sie sich allein für die Sauberkeit und Ordnung in der Küche zuständig fühlt. Das zeigt das Bedürfnis, nicht allein die Verantwortung für diese Dinge tragen zu müssen. Dann sagt sie noch, dass es sie unter Druck setzt, neben anderen Aufgaben noch die Spülmaschine ausräumen zu müssen. Sprich: Auch das Bedürfnis, Haushaltsarbeiten ohne Stress zu erledigen, spielt eine Rolle.

Diese beiden Bedürfnisse sind erfüllbar, selbst wenn das Hauptbedürfnis, die Spülmaschine nicht immer selbst auszuräumen, aus irgendwelchen Gründen nicht erfüllbar sein sollte. Andere Familienmitglieder oder Mitbewohner könnten etwa andere Haushaltstätigkeiten übernehmen, um die Person zu entlasten. Eventuell wäre auch die Anstellung einer Haushaltshilfe eine Option.

Was zeigt dieses Beispiel? 1. Oft liegen weitere Bedürfnisse hinter einem scheinbar einfachen Bedürfnis. 2. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Bedürfnisse zu erfüllen.

Wenn mein Partner, meine Freundin oder mein Chef mein Bedürfnis nicht so erfüllen kann oder will, wie ich es mir wünsche, lohnt es sich, gemeinsam zu schauen, welche anderen Strategien zur Bedürfniserfüllung mir offenstehen.

Wenn ich einsam bin, muss nicht zwangsläufig mein Partner diese Einsamkeit füllen. Wenn ich Entlastung bei Aufgaben brauche, ist nicht per se der andere in der Pflicht. Das bedeutet aber auch: Ich akzeptiere, dass zuallererst ich für die Erfüllung meiner Bedürfnisse zuständig bin. Wenn ich dabei Hilfe brauche, formuliere ich dies als Bitte an den anderen.

Schritt 4: Klare Bitten äußern

Den anderen zu bitten, mir meine Bedürfnisse zu erfüllen oder mir Raum zu schaffen, damit ich mich selbst um meine Bedürfnisse kümmern kann, ist der vierte Schritt in der Gewaltfreien Kommunikation. Hier ist entscheidend, dass ich meine Bitte klar, aber nicht als Forderung formuliere.

Sinnvoll ist, wenn ich zu diesem Zeitpunkt bereits meine verschiedenen Bedürfnisse für mich geklärt und im besten Fall dem anderen mitgeteilt habe. Dann formuliere ich daraus eine klare Bitte.

Hier lohnt es sich, wirklich ehrlich zu sein. Oft neigen wir dazu, tiefzustapeln und nur um den kleinen Finger zu bitten, wenn wir eigentlich die ganze Hand wollen.

Doch dieses Vorgehen birgt neues Konfliktpotenzial. Denn selbst, wenn ich es nicht äußere, spürt der andere, was ich mir unterschwellig von ihm wünsche. Eventuell wird er sich sogar manipuliert fühlen. Besser ist es, ganz frei heraus, aber wertschätzend zu sagen, was ich mir wünsche.

Dann schweige ich und warte auf die Antwort des anderen. Folgt ein Nein, bringe ich mein Bedürfnis erneut vor und suche einen Kompromiss. Im besten Fall habe ich mir bereits eine zweitbeste Option überlegt, die ich nun vorschlagen kann. Wenn nicht, frage ich den anderen, ob er andere Möglichkeiten sieht, meinem Bedürfnis zu begegnen.

Ich kann auch eine Bedenkzeit vorschlagen, damit der andere und ich über andere Optionen der Bedürfniserfüllung nachdenken können. Im besten Fall findet dann zeitnah ein Anschlussgespräch statt, in dem wir erneut auf unsere jeweiligen Bedürfnisse schauen und einen Umgang damit finden, der für uns beide passt.

Die Bedürfnisse des anderen sehen

Bislang habe ich die einzelnen Schritte der GFK vor allem aus Sicht einer Person geschildert, aber natürlich funktioniert die Methode am besten in Wechselwirkung. Sprich: Wenn bei jedem Schritt auch der andere seine Sichtweise äußert.

Denn die Gewaltfreie Kommunikation ist keine Einbahnstraße. Es geht eben nicht allein darum, meine Interessen in einem Konflikt zu vertreten. Vielmehr soll diese Methode einen sicheren Raum öffnen, in dem beide Streitparteien ihre Gefühle und Bedürfnisse äußern können und jeder seine Wünsche an den anderen formulieren darf.

Bedürfnisse und Bitten zu formulieren, fällt oft einer Partei leichter als der anderen. Wenn du das in deiner Paarbeziehung, Freundschaft oder im Arbeitskontext beobachtest, frage bewusst auch nach den Bedürfnissen des anderen. Genauso darfst du auch mal etwas bestimmter für deine Bedürfnisse einstehen, sollten sie immer wieder übergangen werden.

Denn die Gewaltfreie Kommunikation lehrt nicht nur ein faireres Streiten, sondern möchte auch Beziehungen auf Augenhöhe ermöglichen.

Stolpersteine aus dem Weg räumen

Damit das möglich wird, ist es wichtig, ihre Prinzipien wirklich im Kern zu verinnerlichen. Viel zu leicht passiert es, dass wir Bewertungen als Beobachtung tarnen oder unter dem Mantel von Gefühlen Interpretationen äußern. Wenn du einen Satz mit „Ich fühle, dass du …“ oder „Ich beobachte, dass du …“ beginnst, frage dich, ob du nicht indirekt einen Vorwurf formulierst. Wenn dem so ist, halte inne und formuliere den Satz um.

Generell lohnt sich immer die Frage: Ist meine Bitte konkret, positiv formuliert, im Hier und Jetzt und kann der andere sie erfüllen?

Hier und da passiert es nämlich, dass man seine Bitte mit einer indirekten Drohung verbindet („Wenn, dann …“, „Sonst …“). Auch das ist nicht die feine englische Art. Gleichsam kann es in Einzelfällen legitim und durchaus sinnvoll sein, aufzuzeigen, dass ein Missachten der eigenen Bedürfnisse Konsequenzen haben wird.

Wenn etwa jemand dich ausbeutet oder dir sogar körperliche oder seelische Gewalt antut, solltest du dich aus dieser Situation schnellstmöglich befreien. Sinnvoll ist aber auch hier, in der Kommunikation bei dir zu bleiben. Benenne die Konsequenzen als für dich logische Folge aus dem Verhalten des anderen, nicht als Strafe oder gar Rache.

Gott sieht auch ungestillte Bedürfnisse

Nicht alle meine Bedürfnisse werden erfüllt, nur weil ich freundlich darum bitte. Genauso wenig kann ich mir meine Bedürfnisse immer selbst erfüllen, sollten andere es nicht tun. In dieser Hinsicht bleiben wir alle ein Stückweit von anderen abhängig.

Hierzu passt ein Zitat, das Nora Imlau zugeschrieben wird: „Gestillte Bedürfnisse verschwinden. Unerfüllte begleiten uns ein Leben lang.“ Tatsächlich ist es so, dass unerfüllte Bedürfnisse uns manchmal länger begleiten und sich tiefer einprägen als unsere vielen erfüllten Bedürfnisse.

Vielleicht erlebst auch du in deinem Leben, dass deine Bedürfnisse gerade massiv übergangen werden und Interessenskonflikte fortbestehen. Dann wende dich mit dieser Not an Gott. Schildere ihm, was du brauchst.

In den meisten Fällen wirst du kein sofortiges Wunder erleben. Aber vielleicht begegnet er deiner Sorge durch ein ermutigendes Bibelwort oder ist dir in deiner Einsamkeit nahe, wenn du an anderen Stellen keine erfüllende Gemeinschaft erlebst.

Gott sieht dich und deine Bedürfnisse. Er nimmt sie ernst und deshalb darfst auch du sie ernstnehmen und in deinen Beziehungen für sie eintreten. Aber wo dies nicht gelingt, fängt er erst an. Bist du bereit, darauf zu vertrauen?
 

Autor/-in: Rebecca Schneebeli

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