25.02.2014 / Rezension
Hurenleben
Einst Mensch, nun Objekt. Wer oder was sind Huren wirklich? Eine Rezension.
Eine Hure. Hure, die. Substantiv, feminin. 1. Prostituierte. 2. (abwertend, oft Schimpfwort) Frau, die als moralisch leichtfertig angesehen wird, weil sie außerehelich oder wahllos mit Männern geschlechtlich verkehrt.
Das ist das, was der Duden über eine Hure sagt. Mit der zweiten Beschreibung kommt der Duden bereits dem sehr nahe, wie Huren in unserer Gesellschaft gesehen werden. Einst waren sie Menschen, nun Objekte, die dazu dienen, Sehnsüchte zu befriedigen. Aber wer oder was sind Huren wirklich? In ihrem Buch „Hurenleben“ gibt Monika Rudolph Huren wieder ein Gesicht – und viel Herz.
Traumberuf Prostituierte?
Der Leser begleitet die Autorin in ihrem Arbeitsalltag als Krankenhaus-Seelsorgerin. Monika Rudolph erzählt in einzelnen Kapiteln die Geschichten von Prostituierten, Strichern, Müttern und Vätern.
Ich tauche in eine mir fremde Welt ein. Die lebendige Erzählung nimmt mich gefangen. Hatte ich vielleicht anstößige Beschreibungen über den Beruf der Prostituierten befürchtet, erfahre ich vielmehr von Sehnsüchten, zerbrochenen Träumen und gescheiterten Lebensentwürfen. Ich sehe in das Herz dieser Menschen. Sie bekommen Namen. Ich lerne Ilana, Nora, Benedikt und andere kennen.
Jedes Schicksal ist herzzerreißend. Ilana beispielsweise verließ ihre Eltern und den bescheidenen Bauernhof in Rumänien in der Hoffnung auf das Leben, das sie aus Hochglanzkatalogen kannte. Eine schickere Einrichtung, modischere Kleidung – mehr war es nicht, was sie sich wünschte. Sie kam nach Deutschland, besuchte die Party einer Nachbarin und lernte dort Carsten kennen. Er gab ihr Halt in ihrer neuen Welt – und schickte sie auf den Strich. Das schnelle Geld genügte für eine Mietwohnung und einen Urlaub im Jahr. Dafür wurde ihr die Sonne genommen.
Wahre Liebe – nicht Ware Liebe – gesucht
Endstation Prostitution – bei Ilana nahm das seinen Anfang in unerfüllten Wünschen als Kind. Auch die anderen Lebensgeschichten erzählen davon, wie Eltern keine Liebe schenken oder Wünsche erfüllen konnten. Teilweise war es Unvermögen, teilweise auch Herzlosigkeit.
Es tut weh, diese Einblicke zu erhalten. Jede neue Geschichte berührt, bringt zum Weinen. Doch in jeder Erzählung gibt es einen Hoffnungsschimmer. An der einen oder anderen Stelle begegneten die Prostituierten Menschen, die ihnen gegenüber barmherzig waren. Die praktisch halfen und Liebe und Akzeptanz schenkten, ohne Wenn und Aber. Der Leser erkennt im Gesamtzusammenhang, wie wertvoll diese teils kleinen Opfer für die gebrochenen Männer und Frauen waren.
Ich werde animiert zum genauer Hinsehen, Hinhören und Nachfragen. Gibt es Menschen in meiner Umgebung, denen ich herzlos begegne? Wo kann ich persönlich Hoffnung schenken - durch praktische Hilfe oder gemeinsame Aktivitäten? Die Begegnung mit meiner Person kann entweder eine Bereicherung für andere sein oder sie schwächen. Was möchte ich sein?
Hure, die. 3. Ein liebenswerter Mensch.
Monika Rudolph fordert den Leser auf der einen Seite in Punkto Nächstenliebe heraus. Darüber hinaus zeigt sie aber auch, dass es einen Ausweg in jeder noch so verfahrenen Situation gibt. Und sie ermutigt dazu, Träume wahrzunehmen und sie zu verfolgen.
Wer sich also nicht scheut, einen Blick in die unbekannte Welt von Prostituierten zu werfen, der wird mit dem Lesen dieses Buches belohnt. Sei es durch neue Impulse, anderen Menschen mit mehr Herzenswärme zu begegnen, oder durch die Ermutigung zum Träumen. Zumindest aber darf der Leser liebenswerte Personen kennenlernen und gegebenenfalls auch Vorurteile über Bord werfen.
Die Frage danach, wer oder was eine Hure ist, kann ich nun beantworten. Eine Hure ist ein Mensch wie du und ich – das hat mich dieses Buch gelehrt. Jeder Mensch sehnt sich nach Liebe und wahrer Annahme. Und jeder Mensch, ob am Rand der Gesellschaft oder nicht, hat diese verdient.