27.09.2011 / Buchrezension
Generation Wodka
Immer mehr Kinder und Jugendliche saufen, was das Zeug hält. Dieses Buch liefert erschütternde Geschichten, aber auch Lösungsansätze.
Eins ist klar nach der Lektüre dieses Buches: Deutschland leidet an einer schweren Form von Schizophrenie. 2005 hat der Bundestag mit großem Elan das Anti-Raucher-Gesetz verabschiedet. Seither ist das Rauchen in öffentlichen Verkehrsmitteln, an Schulen und an vielen anderen Orten verboten. Die Werbung für Tabakwaren in TV und Radio ist ohnehin seit 1975 tabu.
Beim Alkohol, der Volksdroge Nr. 1, sieht es anders aus. Bierhersteller werben zur besten Sendezeit in und um Tatort und Sportschau. Es stört wenige, wenn jemand seinen Schnaps in der U-Bahn trinkt. Alkohol hat eine starke Lobby und ist gesellschaftlich schlicht akzeptiert.
100 Millionen, damit der Alkohol billig bleibt
„Generation Wodka“ beschreibt die erschreckende Folgen, die diese Praxis vor allem für Jugendliche hat. Jeder zehnte 12-jährige Schüler dröhnt sich heute nach Auskunft der Autoren mindestens einmal in der Woche zu, die häufigste Todesursache bei Jugendlichen sind Verkehrsunfälle in Verbindung mit Alkoholkonsum. Zudem bilden Verhaltensstörungen durch Alkohol bei Jugendlichen die häufigste Diagnose in der Gruppe der psychischen Störungen.
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Bild: adeo |
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Bernd Siggelkow u.a. |
Natürlich kann man einwenden: Sollen sich Jugendliche doch zudröhnen, sie schaden sich ja in erster Linie selbst. Das Buch arbeitet jedoch gut heraus, dass diese Gedanken zu kurz greifen. Schließlich war jeder vierte heranwachsende Straftäter schon 2007 zur Tatzeit alkoholisiert – die Opfer meist nicht. Die schädlichen Wirkungen von Alkohol und des Rauchens zusammen sind für jede zehnte Krankenhausbehandlung in Deutschland verantwortlich – die Rechnung bezahlen aber wir alle. Nicht zuletzt unterstützt Deutschland 22.000 Kleinbrennereien jährlich mit 100 Millionen Euro an Subventionen – unser Steuergeld macht billigen Alkohol erst möglich.
Ein Schuss vor den Bug
Hier muss sich etwas ändern. Dazu liefern die Autoren konkrete Ideen, sei es die Promille-Grenze im öffentlichen Nahverkehr, die strengere Kontrolle des Verkaufs in Supermärkten oder höhere Preise für Hochprozentiges. Ob sich diese Forderungen wirklich in der Praxis durchsetzen lassen, sei einmal dahingestellt. Nachdenkenswert sind sie allemal.
Das Buch beleuchtet das Thema von vielen Seiten. Vielleicht von zu vielen. Interviews mit jugendlichen Trinkern finden sich ebenso darin wie Geschichten im Reportagestil. Mal erzählt Bernd Siggelkow, wie seine Familie mit dem Thema Alkohol umgeht, mal referiert ein Facharzt für Innere Medizin darüber, was Alkohol mit jungen Menschen macht. Oft am schwächsten sind jedoch die einführenden und zusammenfassenden Beiträge der Autoren zum Thema: Die Belege sind dürftig, die Themen wechseln häufig und sind von Platitüden zum Thema durchsetzt.
Trotzdem: Gerade die Erlebnisberichte und die Interviews mit betroffenen Jugendlichen machen das Buch zu einem notwendigen Warnschuss vor den Bug dieser Gesellschaft. Lassen wir ihn ungehört verhallen, werden wir alle die Folgen tragen. Es bleibt zu hoffen, dass die Politik gewillt ist, hier etwas zu ändern – und dass jeder im persönlichen Umfeld seinen Teil dazu beiträgt, Alkohol als das wahrzunehmen, was er ist: eine Droge.