27.05.2016 / Versöhnungsgeschichte

Aus Hass wird Freundschaft

Die persönliche Versöhnungsgeschichte des Nordiren Barry Sloan.

Barry Sloan ist 10 Jahre alt und darf zum ersten Mal bei der jährlichen Parade der Jugendabteilung des protestantischen Oranierordens im nordirischen Bangor mitmarschieren. Der „Junior Orange Order“ feiert seine Religion und seine Kultur mit einem Marsch durch die Stadt und provoziert damit regelmäßig die katholische Bevölkerung. Der Junge aus Carrickfergus platzt fast vor Stolz, denn seit kurzem ist er Mitglied der „Loyal Orange Lodge Number 52“, einer protestantischen politischen Organisation, die loyal zur britischen Krone hält.

Barry wächst in den 1970er und 80er Jahren auf. Nordirland wird beherrscht von den sogenannten „troubles“, dem bürgerkriegsähnlichen Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten. Ein Konflikt, der bis ins 16. und 17. Jahrhundert zurückreicht, als England königsloyale Briten als Siedler in den Nordosten Irlands schickte und die katholischen Iren zwang, Land an die protestantischen Neubürger abzutreten. Seither ist dieses Problem in der Welt und wird von Generation zu Generation weitergetragen: Auf der einen Seite die Iren, die sich um ihr Land betrogen fühlen und auf der anderen die britische Minderheit, die sich gegen die katholische Übermacht zu behaupten versucht.

Das protestantische Arbeiter-Ghetto von Carrickfergues, in dem Barry groß wird, ist ein hasserfülltes Milieu. Sein Vater ist Mitglied einer paramilitärischen Organisation, die ihre Loyalität zur britischen Krone notfalls auch mit Waffengewalt demonstriert. Das bringt ihn sogar für einige Zeit ins Gefängnis. Für Barry Sloan ist von klein auf völlig klar: Ich bin Protestant. Mit Kirche oder Glauben hat das nichts zu tun. Protestant zu sein ist ein rein politischer Begriff. Es ist seine Identität, seine Kultur. Seine Feinde sind die Katholiken.
 

Alter Ort – neuer Anfang

35 Jahre später kehrt Barry Sloan nach Bangor zurück. Er ist immer noch Protestant − und Pastor der evangelisch methodistischen Kirche. Doch seine Identität ist eine ganz andere und hat mit Politik, Abgrenzung oder gar Feindschaft nichts mehr zu tun. Er hat erkannt, dass Gott es ist, der ihm seine Identität schenkt und das hat seine alten Denkstrukturen zerstört.

Und Barry hat realisiert, dass gerade Irland ein sehr reiches geistliches Erbe hat, das er wiederentdecken möchte. Denn von Irland aus wurde ganz Westeuropa vor 1400 Jahren evangelisiert und mit christlichen Werten durchdrungen.

Barry Sloan beschließt, sich auf eine Pilgerreise zu machen – auf den Spuren des keltischen Mönches St. Columban: Von Bangor in Nordirland nach Bobbio in Italien. Damit möchte der gebürtige Ire Brücken bauen, besonders zwischen dem katholischen und dem protestantischen Lager. Die Erlebnisse seiner Pilgerreise hat er in einem Buch veröffentlicht, in dem er unterhaltsam, aber auch anrührend von seinem persönlichen Versöhnungsprozess berichtet.

Versöhnung auf dem Pilgerweg

Besonders einprägsam ist für den ehemals überzeugten Oranier die erste Begegnung mit einem katholischen Mönch – mitten in Frankreich. Der Mönch entpuppt sich als irischer Landsmann und bietet dem Pilger Barry Sloan nicht nur ein Nachtquartier an, sondern auch einen guten Whiskey und seine Freundschaft.

Die zwei Iren, die miteinander in der Fremde ihr Nationalgetränk schlürfen, sind keine Feinde mehr – so unterschiedlich ihr politischer und geistlicher Hintergrund auch sein mag. Die beiden Männer können sogar miteinander beten. Ein heilsames Erlebnis für den ehemaligen Orange Boy Barry Sloan.

Die einzige Basis für Versöhnung, wie Barry Sloan mittlerweile weiß, ist die Gewissheit, dass Gott unparteiisch ist und seine Liebe nicht nach Konfessionen oder Parteibüchern aufteilt. Seine persönliche Pilgerreise auf den Spuren des irischen Heiligen wurde dadurch tatsächlich zu einem Weg der Versöhnung auf mehreren Ebenen: Zwischen Protestanten und Katholiken, zwischen Menschen, die unterschiedlich denken, und zwischen Gott und Menschen.

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