Navigation überspringen
© Petr Vilgus / Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0

06.07.2015 / Lebensbericht / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Ingrid Heinzelmaier

Der tschechische Luther

Vor 600 Jahren wurde Jan Hus für seine Überzeugungen verbrannt – eine historische Spurensuche.

Was fühlt ein Mann, der aufbricht zu einer Reise und nicht weiß, ob er zurückkommt? Welche Hoffnungen und Ängste bewegen ihn? Der Theologe und Reformator Jan Hus schrieb in genau solch einer Lage berührende Briefe voller Gottvertrauen. Hus stammt aus Husinec in Böhmen – was auf Deutsch „Gänserndorf“ bedeutet. Der studierte Sohn eines Fuhrmanns war im ersten Jahrzehnt des fünfzehnten Jahrhunderts in Prag bekannt und berühmt geworden. Seit 1402 predigte er dort auf Tschechisch von Gottes freimachender Gnade. Tausende Menschen strömten in die Bethlehemskapelle in der Prager Altstadt. Jan Hus sprach so, dass man ihn verstand. Was er sagte, berührte die Herzen seiner Zuhörer und veränderte ihre Sicht aufs Leben. Er schaffte es, in einer Zeit voller Angst und Not die Botschaft des Evangeliums für seine Mitmenschen neu verständlich zu machen.
 

Jan Hus (Johann Agricola, († 1590) [Public domain], via Wikimedia Commons)
Jan Hus (Johann Agricola, († 1590) [Public domain], via Wikimedia Commons)

Wie war es dazu gekommen? Über adelige Studenten kamen die Schriften eines Engländers namens John Wyclif nach Prag. Jan Hus, der zu dieser Zeit bereits Hochschullehrer war, liest sie und ihm geht auf: Den Weg in den Himmel kann sich keiner verdienen oder erwerben. Der Himmel ist ein Geschenk von Gott und der Weg dorthin führt über Umkehr und Buße. Begeistert von dieser Erkenntnis beginnt Hus noch einmal ein Studium der Theologie. 1400 wird er zum Priester geweiht und ab 1402 verkündet er seine neuen Erkenntnisse auch in seinen Predigten.

Es gibt nur ein Problem: Mit seinen Predigten stellt Hus den Ablasshandel in Frage. Dieser war damals eine Haupteinnahmequelle der Kirche. Deswegen gefiel Rom überhaupt nicht, was der tschechische Theologe da predigte. Von 1412 an konnte Hus in Prag nicht mehr öffentlich auftreten. Ähnlich wie Luther hundert Jahre später auf der Wartburg fand er Zuflucht auf den Burgen adeliger Glaubensbrüder in Südböhmen. Auch er arbeitete in dieser Zeit an einer Bibelübersetzung in seine Muttersprache.
 

Ein gefährlicher Weg wird zum Triumphzug

Im Herbst 1414 hat er dann einen weiten und gefährlichen Weg ins Ungewisse vor sich. Der deutsche König Sigismund hat ihn aufgefordert, nach Konstanz an den Bodensee zu kommen. Sigismund war Bruder des tschechischen Königs Wenzel und hatte viel Einfluss in Prag. Am Bodensee soll Hus vor dem höchsten Gremium der damaligen Kirche – dem Konzil – seine Lehre erklären und verteidigen. König Sigismund hat ihm einen Geleitbrief geschrieben. Aber wird dieser Schutzbrief von allen respektiert werden, die ihm auf seiner Reise begegnen? Jan Hus will seiner Rehabilitierung eine Chance geben. Vor seiner Abreise schreibt er an seine Freunde:

Ihr wisst, dass ich mit euch lange Zeit treu gearbeitet habe, indem ich euch Gottes Wort ohne Ketzerei und ohne Irrtümer gepredigt habe. Mein Bestreben war, ist und bleibt bis zu meinem Tod euer Heil. Jesus hat für uns Sünder gelitten – warum sollten wir nicht auch leiden? Unser Leiden in Gnaden aber ist unsere Reinigung von Sünden und Befreiung von ewigen Qualen, und unser Tod ist unser Sieg. Jesu treuer Diener kann gewiss nicht verloren gehen, wenn er mit seiner Hilfe ausharrt.

Der Weg nach Konstanz wird für den verfolgten Prediger zu einer Art Triumphzug. Überall kann er ungehindert die gute Nachricht von der Errettung durch Jesus Christus weitergeben. Am 3. November kommen Jan Hus und seine Begleiter in Konstanz an. In den ersten Wochen kann er in einer Herberge weiter predigen. In einem Brief an seine Freunde berichtet er am 6. November von seinen Erfahrungen in Konstanz:

In allen Städten ging es uns gut. Wir wurden gut bewirtet und brachten die lateinischen und deutschen Bekanntmachungen in den Reichsstädten an. Dort führte ich auch Unterredungen mit den Verantwortlichen. Wenn wir uns einer Stadt näherten, liefen uns immer Menschenmengen entgegen wie zu einer Schaustellung. Gewiss ist Christus Jesus mit mir als ein tapferer Held. Daher fürchte ich mich nicht, was der Feind auch gegen mich unternehme.

Verhaftung und Gefangenschaft

Gleichzeitig ahnt Jan Hus von Anfang an: Einfach wird es nicht. Am 28. November 1414, knapp drei Wochen nach seiner Ankunft, wird er verhaftet. Anfangs vegetiert Hus in einem Verlies im Turm des Dominikanerklosters vor sich hin. Tagsüber ist er gefesselt und nachts eingesperrt in einem Verschlag. Er bekommt kaum etwas zu essen.

Erst zu Weihnachten trifft der König ein. Sigismund ist zornig über den Bruch des Geleitbriefs, tut aber nichts, um Jan Hus aus seiner misslichen Lage zu helfen. Allerdings bessern sich die Haftbedingungen. am 24. März 1415 wird er in ein erträglicheres Quartier verlegt. Außerdem wird bestimmt, dass Jan Hus nicht sterben soll, bevor er nicht vor dem Konzil über seine Lehre ausgesagt und diese widerrufen hat.

Über ein halbes Jahr bleibt Jan Hus in Haft. Er leidet an Zahn- und Kopfschmerzen, erbricht Blut und hat Nierensteine. Für ihn sind diese Anfechtungen „verdiente Strafen für seine Sünden“ und zugleich „Zeichen der Liebe Gottes“. Er betrachtet es als Ehre, für Jesus und die Wahrheit zu leiden.

Bekommt Jan Hus noch eine Chance?

Am 5. Juni 1415 wird Jan Hus schließlich ins Franziskanerkloster von Konstanz gebracht und dort bis zum 8. Juni verhört. Die Verhöre laufen schlecht. Sein Kampf um die moralische und geistliche Erneuerung der Kirche hat keinen Erfolg. Die Bischöfe und Kardinäle sehen in seinen Aufrufen nichts anderes als eine Bedrohung für die Einheit der Kirche. Jan Hus seinerseits hält das Gremium der höchsten Kirchenvertreter für wenig glaubwürdig.

Das Konzil fordert Jan Hus dazu auf, seinen Lehren abzuschwören und einen öffentlichen Widerruf zu leisten. Das lehnt er ab. Am 5. Juli 1415 ‒ einen Monat nach Beginn seiner Befragung ‒  schreibt Jan Hus seinen letzten Brief. In diesem etwas längeren Brief an die „treuen Christen“ nimmt er Stellung zu dem, was ihm auf dem Konzil von den Bischöfen und Kardinälen vorgeworfen wurde:

Dieses Konzil hat gespottet, wenn ich beim öffentlichen Gehör die Schrift Christi oder der heiligen Lehrer anführte; oder es hat gesagt, ich verstehe falsch, und die Doktoren behaupteten, ich zitiere unpassend. Der Kardinal, der im Konzil den Vorsitz führte, sagte: „Dies sollst du zur Belehrung haben: Die Doktoren erklären, die aus deinen Büchern ausgezogenen Artikel seien Irrtümer. Diese sollst du widerrufen. Das, was von den Zeugen beigebracht worden ist, sollst du abschwören.“ Der König aber sprach: „Siehe, es wird dir kurz niedergeschrieben werden, und du wirst antworten.“ Und der Kardinal sagte: „So wird es im nächsten Gehör geschehen.“ Und sogleich erhob sich das Konzil. Wie große Anfechtungen ich dann erduldet habe, weiß Gott.

Lobgesang zwischen den Flammen

Nur einen Tag später fällt das endgültige Urteil über Jan Hus. Was er monatelang erwartet hat, geschieht. Das Konzil beschließt im Dom, dem heutigen Konstanzer Münster, dass er als Irrlehrer und Ketzer den Feuertod sterben soll. Noch am selben Tag wird Jan Hus auf einem Scheiterhaufen am Rheinufer bei lebendigem Leib verbrannt. Einer seiner Begleiter – ein gewisser Peter von Mladoniowitz – erinnert sich in einem bewegenden Augenzeugenbericht. Die innere Leidenschaft und der Glaube des Reformators werden auch in diesen Worten deutlich:

Der Magister aber blickte auf zum Himmel und antwortete mit lauter Stimme: Gott ist mein Zeuge. Das, was mir fälschlich zugeschrieben wird, habe ich niemals gelehrt und gepredigt. Es lag vor allem in der Absicht meiner Predigt und aller meiner anderen Handlungen oder Schriften, die Menschen einzig und allein von der Sünde abbringen zu können. In dieser evangelischen Wahrheit aber will ich heute gerne sterben. Dann zündeten die Henker den Magister an. Er sang darauf mit lauter Stimme: „Christus, Sohn des lebendigen Gottes, erbarme dich meiner!“ Und als er zum dritten Mal begonnen hatte zu singen, schlug ihm alsbald der Wind die Flamme ins Gesicht. Also in sich betend und Lippen und Haupt bewegend, verschied er in dem Herrn.

Dadurch dass Jan Hus‘ Vertrauen auf Gott selbst im Augenblick seines Todes nicht erschüttert wurde, ist er heute noch ein Vorbild für viele Christen. Sein mutiges Eintreten für Gottes Wahrheit ermuntert dazu, auch heute noch freimütig Gottes Wort zu verkündigen. Außerdem ermutigen seine Schriften verfolgte Christen dazu, weiter auf Gott zu vertrauen und Verfolgungen tapfer zu ertragen.

 Ingrid Heinzelmaier

Ingrid Heinzelmaier

  |  Redakteurin

Eine Leidenschaft von Ingrid Heinzelmaier ist einfangen, was Gott rund um den Globus tut: Lebensgeschichten aus allen Kontinenten für „Jerusalem, Samarien und die Welt“ und „Glaube – global“. Außerdem will sie als Redakteurin und Moderatorin mit der Gebetsmotivationsreihe „Beten bringt’s“ anderen Mut machen für ihr persönliches Leben mit Gott.

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Das könnte Sie auch interessieren