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© Priscilla du Preez / unsplash.com

30.03.2024 / Andacht / Lesezeit: ~ 10 min

Autor/-in: Anne Seela

Aufgerichtet durch das Kreuz

Was heißt es, erlöst zu sein? Eine Geschichte nach Lukas 13 veranschaulicht das Erlösungswerk von Ostern.

Die vier Evangelien erzählen vom Leben und Wirken von Jesus Christus. Matthäus, Markus, Lukas und Johannes geben in ihren Aufzeichnungen die wichtigsten Reden Jesu wieder, seine Gleichnisse und seine Gebete. Sie berichten von Auseinandersetzungen, in denen Jesus der religiösen Führung die Stirn bot. Und sie erzählen von Wundern, die Jesus tat: Wie er aus Wasser Wein machte, wie er Brot und Fisch vermehrte, wie er einen Sturm stillte und übers Wasser ging. Und immer wieder erzählen sie, wie er Menschen heilte.

Oft sind es nur wenige Verse, in denen die Evangelisten diese Ereignisse umreißen. Doch hinter diesen wenigen Worten steckt ein ganzes Leben, das sich für immer verändert. Die ganze Welt eines Menschen wird nach der Begegnung mit Jesus auf den Kopf gestellt.

Eine dieser Geschichten ist die von der verkrümmten Frau aus Lukas 13. Sie handelt von einer Frau, die fast zwei Jahrzehnte unter der Verkrümmung ihres Körpers litt – und der Verkrümmung ihrer Seele. Bis sie Jesus traf, ihren Heiland.

Inspiriert vom Bibeltext aus Lukas 13,10-17 erzählt Anne Seela die Geschichte dieser Frau. Und ihrer Befreiung.

Verkrümmter Körper, gebrochener Geist

Es war eine Ewigkeit her, dass ich zuletzt in der Synagoge gewesen war so wie früher. Früher – das war so weit entfernt von dem Leben, das ich dann viele Jahre führte! Früher, als ich noch zusammen mit den anderen zum Gottesdienst ging, als ich mich noch mit Freundinnen zum Spazierengehen traf; aber das war lange vorbei. Wie lange hatte ich mich schon mit niemandem mehr verabredet?

Alles, was ich früher so sehr geliebt hatte, wurde zur Qual, sodass ich es irgendwann ließ. Ich zog mich immer mehr zurück, weil ich mich den mitleidigen Blicken nicht mehr aussetzen wollte, so verkrümmt, wie ich war. Diese mitleidigen und fragenden Blicke, was bloß mit mir los war, waren fast das Schlimmste. Blicke, die ich nur vermuten konnte, denn ich sah sie ja nicht. Im Grunde genommen sah ich überhaupt nichts mehr, außer meinen Füßen auf dem staubigen Weg, den ich seit nunmehr achtzehn Jahren ging.

Ich kann mich nur dunkel erinnern, wie alles angefangen hatte. Eines Morgens wachte ich auf und konnte kaum aufstehen. Naja, nach einer schlaflosen Nacht kann das ja einmal vorkommen – nicht so schlimm. Ich würde im Laufe des Tages schon wieder auf die Füße kommen. Aber so war es nicht. Diese Ausnahme wurde zur Regel. Dazu kam eine abgrundtiefe, grundlose Traurigkeit, die mich immer mehr herunterzog, bis sich meine gebeugte Seele mit der Zeit in einem gebeugten Körper widerspiegelte.

Ich wusste selbst nicht, was los war. Das passte gar nicht zu mir und es gab eigentlich auch gar keinen Grund für meine Müdigkeit und Schwäche. So kam zu meiner Schwermut auch noch ein schlechtes Gewissen hinzu. Und ich konnte einfach nichts dagegen machen.

Also fand ich mich irgendwann damit ab, dass mit mir wohl einfach etwas nicht stimmte. Ich zog ich mich immer mehr zurück, bis sich auch alle anderen von mir zurückzogen. Die Besuche wurden weniger, und irgendwann fragte niemand mehr nach mir. Ich kann das gut verstehen, ich war wirklich keine sehr angenehme Gesprächspartnerin mehr. Ich konnte nirgends mehr mitreden, weil ich ja auch nichts mehr erlebte. Nicht nur, weil ich nicht mehr rauskam, sondern auch, weil dieser blöde Geist der Schwäche meinen Kopf so dermaßen umnebelte, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.

Hoffnung auf Heilung

Irgendwie musste ich aber trotzdem mitbekommen haben, dass an diesem Sabbat ein ganz besonderer Rabbi in unsere Synagoge kommen sollte: Jesus. Von ihm hatte selbst ich schon gehört.

Es hieß, er sei kein normaler Rabbi, er sei vollkommen anders als alle anderen Gelehrten. Es hieß, er würde so reden, dass ihn jedes Kind verstand, und gleichzeitig so, dass es die Gelehrten verärgerte. Es hieß, er sei so unkonventionell, dass ihm das viel Widerspruch einbrächte, vor allem von der religiösen Elite, zu der er ja eigentlich gehören sollte. Es hieß, er sei kompromisslos klar in allem, was er sagte, und gleichzeitig kompromisslos liebevoll, vor allem mit den Schwachen.

Schwach, das war ich ja nun wirklich und ich sehnte mich unendlich nach liebevollen Worten. Und es hieß, er könne heilen: Blinde würden sehend - blind, das war ich. Lahme würden gehend - lahm, das war ich auch. Aussätzige würden rein – aussätzig, das war ich auch, denn ich war ausgeschlossen von jeglicher Gemeinschaft. Doch ich war mir keiner Schuld bewusst. Und Tote stünden auf! Tot, das war ich auch. Ich war lebendig begraben in meinem verkrümmten Körper durch meine gebeugte Seele.

Also machte ich mich an diesem Sabbat früh auf den Weg, damit ich möglichst weit vorne auf der Empore für die Frauen einen Platz erwischte. Ich erhoffte mir, von dort aus einen Blick auf diesen Jesus erhaschen zu können. Mit diesem Blickwinkel könnte es gehen. Ich fühlte mich zwar nicht besonders wohl auf meinem Platz in der ersten Reihe mit den Blicken der anderen Frauen in meinem gebeugten Nacken und auf meinem verbogenen Rücken, aber bald vergaß ich alles um mich herum, als ich Jesus reden hörte: „Die Gesunden bedürfen nicht des Arztes, sondern die Kranken! Ich bin gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist! Gott ist ein gnädiger Gott, der Gedanken des Friedens und nicht des Leides über dich hat, dass er dir Zukunft und Hoffnung gebe! Ich bin gekommen, die Werke des Teufels zu zerstören!“

Angezogen von einem liebevollen Blick

Das alles verstand ich in diesem Moment nicht, aber ich hatte das Gefühl, er meinte mich damit. Aber das konnte ja nicht sein – mich meinte niemand mehr. Aber dann rief er plötzlich meinen Namen! Woher kannte er ihn? Das weiß ich bis heute nicht, aber er rief mich zu sich. Plötzlich waren alle Blicke auf mich gerichtet und ich musste in Sekundenschnelle entscheiden, was ich jetzt tun sollte. In wenigen Augenblicken wäre die Chance vorüber, dann würde alles beim Alten bleiben. Aber ich wusste genau: Das wollte ich auf gar keinen Fall!

Aber sollte ich mich wirklich durch die Menge quälen, die Treppe hinunterkrabbeln und die Halle durchqueren, die voller Männer war, und zu der ich eigentlich gar keinen Zutritt hatte? Sollte ich das wagen? Aber was hatte ich schon zu verlieren? Schlimmstenfalls würden sie mich nicht durchlassen oder einfach rausschmeißen. Das wäre dann sowieso das letzte Mal gewesen, dass ich diesen Ort betreten hatte.

Also setzte ich mich Bewegung unter dem aufgeregten Getuschel der Frauen und dem entsetzten Gemurmel der Männer. Ich weiß nicht, wie ich das tun konnte. Ich glaube, es war einfach nur der Mut der Verzweiflung – aber ich tat es! Irgendwann hatte ich es endlich geschafft und stand vor Jesus –  vielmehr kauerte ich vor ihm. Ich zitterte vor Aufregung und Angst. Aber bei Jesu Worten wurde ich sofort vollkommen ruhig. Er sprach zu mir: „Fürchte dich nicht, ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!“

Ich, erlöst von meiner Krankheit nach achtzehn Jahren? Meine Gelenke versteift, meine Muskeln verkürzt, meine Augen matt und mein Geist getrübt? Konnte das wahr sein? Doch plötzlich spürte ich, wie mich ein warmer Strom durchfloss. Als er mir die Hände auflegte, löste sich meine Verkrampfung und meine Glieder kamen in Bewegung. Was für eine Wohltat – die erste Berührung seit ewigen Zeiten, die nicht wehtat! Unwillkürlich streckte sich mein Rücken und mein Kopf hob sich. Auf wundersame Weise stand ich nun aufrecht, auf Augenhöhe mit den anderen, die mich wie von allen guten Geistern verlassen anstarrten.

Und ich war auf Augenhöhe mit Jesus, blickte in sein freundliches Gesicht. Das konnte ich kaum fassen und meine Seele brach in Lobpreis aus! Sie lobte den Herrn und schwor sich, niemals zu vergessen, was er, der Herr, mir Gutes getan hatte. Er, der mir alle meine Sünden vergeben und alle meine Gebrechen geheilt hatte; der mein Leben vom Verderben erlöst und mich mit Gnade und Barmherzigkeit gekrönt hatte. Der meinen Mund wieder fröhlich gemacht hatte und ich die Kraft eines Adlers in mir spürte, statt des Geistes der Schwäche. Denn wer anderes als der Herr, sollte dieser Jesus sein?

Tochter des Glaubens

Das war uns allen klar, aber nicht alle waren sehr erfreut darüber. Vor allem derjenige nicht, der es am allerbesten hätte wissen müssen: der Synagogenvorsteher! Er fuhr mich unwirsch an: „Hättest du nicht bis morgen warten können?“ Gerade erst aufgerichtet, zuckte ich wieder zusammen, als ich Jesu überraschend schneidende Worte hörte: „Ihr Heuchler!“ Jesus, dessen warme Stimme mir noch im Ohr klang, wechselte vor seinem Gegenüber vollkommen die Rolle: Plötzlich war er nicht mehr der liebevolle Heiland, wie er mir begegnet war, sondern Richter. So klar und liebevoll wie er mich, die verkrümmte Frau, zu sich gerufen hatte, so klar verurteilte er jetzt diejenigen, die mich verurteilt hatten.

Und dann machte er etwas ganz Wunderbares: Während er die ehrenwerte religiöse Elite, die doch eigentlich Söhne Abrahams sein sollten, Heuchler nannte, nannte er mich, die ehemals armselige Kreatur, Tochter Abrahams! Tochter Abrahams – Tochter des Glaubens: Was für ein Ehrentitel und Wiederherstellung meiner Würde! Das werde ich nie vergessen und alles tun, um mich dieses Titels würdig zu erweisen!

Das ist meine Geschichte. Hätte ich sie nicht selbst erlebt, ich könnte sie wohl kaum glauben. Ich würde diese meine Geschichte um nichts in der Welt eintauschen wollen – auch nicht die achtzehn Jahre – denn hätte ich sie nicht erlebt, ich wüsste nicht, was es heißt, erlöst zu sein. Ich hätte Jesu Blick nicht erlebt, als mich niemand mehr sah. Ich hätte nicht verstanden, unter welchem Durst Ochs´ und Esel litten, dem Durst nach Leben. Ich hatte tatsächlich geackert wie ein Ochse und meine Last getragen wie ein Esel. Aber in der Krippe lag meine Erlösung: Gott, der mich angesehen hatte an diesem Tag.

Aber er hatte mich nicht nur an diesem Tag gesehen, sondern an allen Tagen meines Elends, die ganzen achtzehn Jahre lang. Wie sonst hätte er wissen können, wie lange ich gebunden war mit der Fessel Satans? Und er hatte mich schon gesehen als ich im Mutterleib wunderbar bereitet wurde und noch keiner meiner Tage da war, dies erkannte meine Seele wohl! Dann kannte er auch alle Tage, die noch kommen würden, von denen keiner da war. Sie waren in sein Buch, das Buch des Lebens, bereits aufgeschrieben unter meinem Namen! Mein Gestern, mein Heute und mein Morgen war gesehen von ihm!

Aufrecht unter dem Kreuz

Und dann sah ich ihn einige Monate später noch einmal. Wieder hatte ich gehört, dass er kommen sollte, und dass er in Schwierigkeiten geraten war. Es hatte große Aufregung um Jesus gegeben, die dem Synagogenvorsteher bestimmt gefallen hatte. Man hatte Jesus vor Gericht gezogen und falsche Zeugen gegen ihn verdingt, um etwas des Todes Würdiges an ihm zu finden. Doch es gab nichts Verurteilungswertes an ihm. Keine der Verleumdungen waren glaubwürdig gewesen; also verurteilte man ihn für die Wahrheit. Er antwortete auf die Frage des Hohepriesters, ob er Gottes Sohn sei: „Du sagst es!“ – Das war sein Todesurteil: Blasphemie!

Jesus war in sein Eigentum gekommen und die Seinen hatten ihn nicht aufgenommen. Wie viele ihn aber aufnahmen, denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden. Ich und alles Volk: Kinder Gottes! Söhne und Töchter Abrahams, des Vaters des Glaubens!

Nachdem Jesus verurteilt worden war zum Tod am Kreuz, hatte sich an diesem Tag vor dem Passahfest ganz Jerusalem versammelt auf dem Hügel vor der Stadt. Drei Kreuze waren dort aufgerichtet, Jesu Kreuz in der Mitte. Und ich, die ehemals verkrümmte Frau, stand da unter diesem Kreuz – aufgerichtet durch den, der daran hing. Ich stand neben Maria, seiner Mutter, und Maria Magdalena, von der Jesus sieben böse Geister ausgetrieben hatte. Und als ich ihn sah, wie er sich vor Schmerzen krümmte, erkannte ich, dass er dort meine Krankheit trug und meine Schmerzen auf sich geladen hatte. Dass er um meiner Missetat willen verwundet und um meiner Sünde willen zerschlagen wurde. Meine Strafe lag auf ihm, damit ich Frieden hatte und durch seine Wunden war ich heil geworden.

Und dann fingen sie an, ihn zu verspotten: „Anderen hat er geholfen und kann sich selbst nicht helfen. Steig doch herunter, wenn du Gott bist!“ Aber ich wusste es besser: Er blieb wegen mir dort hängen, damit mein Geist befreit und meine Fesseln gelöst blieben. Unwillkürlich entfuhr es meinen Lippen: „Mir hat er auch geholfen.“ Maria Magdalena hakte sich bei mir ein und flüsterte: „Mir hat er auch geholfen!“ Dann setzte es sich wie eine Welle durch die Menge fort: „Mir hat er auch geholfen!“ – „Mir auch!“ – „Und mir auch!“. Und es war, als huschte in diesem Moment ein sanftes Lächeln über Jesu schmerzverzerrtes Gesicht. Als er sein Haupt neigte und seine letzten Worte sprach, war es mir, als sagte er noch einmal: „Es ist vollbracht: Frau, du bist erlöst!“

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Kommentare (2)

Sabine /

Liebe Frau Seela, vielen Dank für Ihre tolle Erzählweise der gekrümmten Frau. Ich fühle mich ihr sehr nah.
Frohe und gesegnete Ostertage für Sie.

R.Heyer /

Danke! Ja es ist vollbracht, was für ein Geschenk.

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