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© Meier / ERF

04.05.2021 / Zum Schwerpunktthema / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Sarah-Melissa Loewen

Teilen, was ich habe

Wie gelingt es, im Alltag solidarisch zu sein? Reichen nette Worte – oder ist Solidarität nur durch tatkräftige Hilfe zu haben?

März 2020, Mittwochabend in Italien, 21 Uhr: Unzählige Menschen öffnen ihre Fenster, treten auf ihre Balkone. Erst vereinzeltes Klatschen, dann wird der Applaus immer lauter. Mit dieser Aktion haben sich die Italiener im ersten Corona-Lockdown bei den Ärzten und Pflegekräften für deren grenzenlosen Einsatz bedankt. Ich erinnere mich an Videoaufnahmen von Menschen, die zusammen auf ihren Balkonen singen und Banner schwenken mit der Botschaft: „Alles wird gut!“

Auch in Deutschland gab es Aufrufe zu Solidaritätsbekundungen: Klatschen gegen Corona. Klatschen für die Krisenhelfer. Klatschen, um sich gegenseitig zu ermutigen. Die Botschaft: Wir stehen füreinander ein. Solche Aktionen verbreiten sich besonders schnell über die sozialen Netzwerke. Und darin liegt eine große Chance: Die Situation der überarbeiteten und unterbezahlten Pflegekräfte gewinnt mehr Aufmerksamkeit.

Billige Solidarität?

Klatschen für die Helfer in der Coronakrise – ich bin bis heute zurückhaltend. Für mich geht die Rechnung nicht auf. Ein bisschen Klatschen, ein Post im Netz – das ist einfach, aber reicht das? Nette Geste oder echte Hilfe? Wenn ich mein Mitgefühl und meinen guten Willen ausdrücke, bin ich dann schon solidarisch? Die Pflegerinnen und Pfleger sind schließlich noch immer überlastet und unterbezahlt. Vom Applaus können sie sich nichts kaufen.

Seit dem Ausbruch der Coronapandemie geht auch das Thema Solidarität viral. Wir wurden von Politikern immer wieder aufgefordert, uns solidarisch zu verhalten: Hygiene- und Abstandsregeln einhalten, zu Hause bleiben. Aber was genau bedeutet solidarisches Handeln im alltäglichen Miteinander? Ist Solidarität ohne tatkräftige Hilfe zu haben?

Nur gemeinsam sind wir stark

Wie Solidarität praktisch wird und was sie kostet, habe ich in meinem Studium erlebt. Meine Kommilitonen und ich brauchten einander, um erfolgreich unseren Abschluss zu machen. Wir haben Bücher geteilt, Mitschriften von Vorlesungen ausgetauscht, Lerngruppen gebildet und haben gegenseitig die Seminararbeiten Korrektur gelesen. Dabei haben wir einander vertraut, dass jeder so viel investiert, wie er selbst von der Gruppe in Anspruch nimmt – wie du mir, so ich dir. Wenn sich alle daranhalten, profitieren am Ende auch alle davon.

Schluss mit Erbsenzählen

Solidarität beruht also teilweise auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Aber ich habe schon im Studium gemerkt: Es geht um mehr als Leistung und Gegenleistung. Wir haben uns füreinander verantwortlich gefühlt. Wir sind ein Team geworden. Eine kleinliche Kosten-Nutzen-Rechnung ging meist nicht auf. Aber das war okay. Denn in einer solidarischen Gemeinschaft führt keiner ein Rechnungsbuch.

Solidarisch bin ich dann, wenn ich meine eigenen Interessen und meinen eigenen Nutzen hintenanstelle und gegebenenfalls auch Nachteile in Kauf nehme. Während meines Studiums hieß das zum Beispiel: Am Freitagmorgen pünktlich im Hörsaal zu sitzen und für meine Kommilitonen die Vorlesung mitzuschreiben, während die sich nochmal in ihren Betten umgedreht haben.

Oft braucht es Solidarität ohne direkte Gegenleistung. Besonders in Not geratene, bedürftige und schutzlose Menschen sind darauf angewiesen. Darauf, dass ihnen jemand mehr gibt als sie geben können.

Die Solidarität des Einzelnen ist also auch immer eine Frage der Mitmenschlichkeit, der Barmherzigkeit, der Caritas. Die Bibel trägt uns auf: „Liebe deinen Nächsten, wie dich selbst“ (Lukas 10, 27). Das ist ein hoher Anspruch. Zu viel verlangt? Wie anfangen?

Der Weltveränderer

Wer das mit der Nächstenliebe am besten konnte, war Jesus. Wo er auftauchte, wurde er schnell von einer Menschenmenge belagert. Aber Jesus hatte den Einzelnen im Blick. Er sah den kleinen Zöllner auf dem Baum, er hörte das Rufen des Blinden am Straßenrand aus tausend Stimmen heraus.

Er nahm sich Zeit für sie, hörte zu – und handelte. Keine mitleidigen Worte, keine leeren Versprechungen, sondern konkrete, lebensverändernde Hilfe: Blinde konnten wieder sehen, Lahme gehen. Die, die von der Gesellschaft verachtet wurden, mit denen traf er sich zum Essen. Er solidarisierte sich immer mit den Hilfesuchenden, den Ausgeschlossenen und den Bedürftigen.

Anfangen

Ich bin nicht Jesus. Ich bin Melissa. Aber auch ich kann einen Unterschied machen. Anstatt die Welt zu retten, setze ich mich für die Menschen in meinem Umfeld ein.

Das Thema Ehrenamt beschäftigt mich beispielsweise schon länger. Ich habe in mich hineingehorcht und festgestellt, dass ich mit anpacken möchte. Mich begeistert die Arbeit der städtischen Tafeln: Gute Lebensmittel werden vor der Mülltonne bewahrt, bedürftige Menschen in ihrem täglichen Bedarf unterstützt. Solch ein Ehrenamt ist eine gute Gelegenheit, mich sozial zu engagieren und mit den Menschen meiner Stadt in Kontakt zu kommen – auch außerhalb meiner sozialen Blase, über meinen Tellerrand hinaus. 

Alltagsheldin sein

Ob nun innerhalb eines sozialen Projektes, in der Nachbarschaft oder im Freundeskreis: Ich will den Einzelnen sehen mit seinen Nöten und mich für ihn einsetzen, mit den Möglichkeiten und der Kraft, die ich habe.

Ich möchte immer mehr lernen, mit wachen Augen, offenen Ohren und einem weichen Herzen durch die Welt zu gehen. Der erste Schritt ist erfahrungsgemäß der schwerste. Für mich besonders, wenn er auf fremde Menschen zu- und in unbekannte Situationen hineinführt. Aber ich glaube, es kommt darauf an loszugehen, dem inneren Impuls immer wieder zu folgen und mir selbst einen Ruck zu geben. Hinzusehen und nachzufragen: Brauchst du meine Hilfe? Wie geht es dir? Wie kann ich dich unterstützen?

Denn dazu bin ich von Gott berufen: In jedem Lebenszusammenhang, in den ich gestellt bin, meine Mitmenschen zu lieben und ihnen zu dienen. Auch wenn es manchmal nur kleine Gesten sind. Auch, wenn ich manchmal nicht mehr tun kann, als ein Video vom Balkon-Applaus im Netz zu teilen.
 

 Sarah-Melissa Loewen

Sarah-Melissa Loewen

  |  Redakteurin

Sie hat Literatur- und Kulturwissenschaften studiert und war schon immer von guten Geschichten in Buch und Film begeistert. Doch sie findet, die besten Geschichten schreibt Gott im Leben von Menschen. Als Redakteurin erzählt sie diese inspirierenden Lebens- und Glaubensgeschichten. Sie lebt mit ihrem Mann in der schönsten Stadt am Rhein.

Ihr Kommentar

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Kommentare (2)

Margret S. /

Danke dir liebe Melissa, ich versuche auch immer bedürftige zu helfen, wo ich kann!!!
Jesus hilft mir dabei.
Ich wünsche Dir einen gesegneten Tag!

Micha /

Vielen Dank für den tollen Artikel, der mich sehr angesprochen hat :)

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