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© David-Marcu / unsplash.com

13.10.2017 / Interview / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Lucia Ewald

Kirche auf dem Rad (1/2)

Pfarrer Gereon Alter berichtet von abenteuerlichen Radtouren quer durch die Welt.

Pfarrer Gereon Alter (Foto: Gereon Alter)
Pfarrer Gereon Alter (Foto: Gereon Alter) 

Auf seinem Drahtesel hat Pfarrer Gereon Alter inzwischen mehr als 40 Länder der Welt bereist. Von Kuba und der großen Canon Tour in den USA bis hin zum 860-km-langen Abenteuer im Himalaya und Jordanien, dem Land der Bibel mit dem Moses-Berg Nebo und der Taufstelle Jesu. Beim „Adventure Cycling“ kommt Gereon Alter nicht nur den Menschen dort, sondern auch Gott und sich selbst sehr nah. Lucia Ewald hat den katholischen Geistlichen für die ERF Plus-Sendung Calando gefragt, was er auf seinen abenteuerlichen Radtouren alles erlebt hat und welche Grenzerfahrungen er dabei gemacht hat. Im Folgenden lesen Sie Ausschnitte aus dem Interview.
 

ERF: Herr Pfarrer Alter, Sie sind seit den 1980er Jahren mit dem Rad unterwegs. Sie haben in den letzten Jahren mehr als 60 000 Kilometer per Rad zurückgelegt und rund 40 Länder bereist. Was fasziniert Sie so am Radeln?

Pfarrer Gereon Alter: Es ist die Intensität des Erlebens. Wenn ich vergleiche, ich habe in einem Jahr eine Reise mit einem Auto und mit einem Fahrrad in der gleichen Region gemacht. Ich kann mich heute noch sehr detailreich an die Fahrradtour erinnern. Ich habe noch Gerüche in der Nase. Bilder vor Augen. Stimmen von Menschen in den Ohren. Die Autoreise ist weitestgehend weg. Kaum noch Erinnerungen. Aber es ist einfach die Intensität des Erlebens.

Der Himalaya verlangt Vollausrüstung

ERF: Wohin ging Ihre letzte große Fahrt?

Pfarrer Gereon Alter: Die letzte große Reise ging nach Kuba im Frühjahr diesen Jahres – für mich das erste Mal in der Karibik. Es war großartig. Da ist natürlich der Reichtum eines tropischen Landes mit all den Früchten und der üppigen Vegetation, die Musik, die Fröhlichkeit der Menschen. Das ist das eine. Das findet man aber auch in Pauschalurlaubsprospekten. Was ich nochmal spannend fand, ist auch mitzubekommen, dass Kuba ein sehr, sehr armes Land ist. Ein Land, das von dem Regime sehr gebeutelt worden ist. Diese Spannungen mitzubekommen, die Unterschiede wahrzunehmen. Dann immer die Frage für mich: Wie leben Christen in einem solchen Land? Auf der einen Seite haben sie sich arrangiert mit den politischen Verhältnissen. Auf der anderen Seite haben sie sich aber auch etwas sehr Ursprüngliches bewahrt, eine ursprüngliche christliche Fröhlichkeit.
 

ERF: Was nehmen Sie so alles mit auf Ihre Radtouren?

Pfarrer Gereon Alter: Das hängt sehr vom Reiseziel ab. Der Himalaya verlangt Vollausstattung. Das heißt, Zelt, komplette Campingausrüstung, damit ich meine Mahlzeiten zubereiten kann. Ich habe dann einen Wasserfilter dabei, damit ich unabhängig auch Trinkwasser generieren kann. Warme Kleidung. Kalte Kleidung. Also das wiegt dann insgesamt schon so 25 bis 30 Kilo.

Gottesdienst einmal anders – Geldopfer jubelnd und tanzend zum Altar gebracht

ERF: Fällt es Ihnen eigentlich immer leicht, sich für das Rad zu entscheiden? Das bedeutet ja auch immer eine große Kraftanstrengung. Es gibt ja auch bequemere Arten zu Reisen – oder?

Pfarrer Gereon Alter: Natürlich gibt es auf einer Fahrradreise auch Momente, wo man sich fragt: Warum machst du das eigentlich? Oder wo man einfach mal durchhalten muss. Ein Abschnitt, der unangenehm ist. Aber die Belohnung ist so groß, dass es mich immer wieder neu hinaufzieht, weil es gibt solche Highlights, solche wunderschönen Erlebnisse, die sich auf keine andere Weise des Reisens erleben lassen. Das weiß man aus Erfahrung und das kommt auch wieder. Und dann bricht man wieder auf.
 

ERF: Welche Reise hat Sie am meisten beeindruckt? Und warum?

Pfarrer Gereon Alter: Das ist nicht ganz so leicht zu sagen, weil jede Reise ihren eigenen Reiz hat. Aber was sicher heraussticht ist eine Reise durch Madagaskar, die mich lange noch beschäftigt hat nicht nur auf Grund der Schönheit der Natur und auch der Fremdheit der Kultur. Es hat einen sehr fremden Ahnenkult in diesem Land, dem man auf Schritt und Tritt begegnet. Als allein Rad fahrender Pfarrer wurde ich da direkt mit reingenommen.
 

ERF: Haben Sie dort auch mal Gottesdienste erlebt? Sind die ähnlich wie in Kuba in der Karibik, auch in Afrika ganz anders als wie das bei uns hier gewöhnt sind?

Pfarrer Gereon Alter: Der erste Gottesdienst, den ich in der Hauptstadt Antananarivo mitgefeiert habe, hat auf einem Basketballfeld stattgefunden. Es waren etwa 2.000 Menschen da. Alleine 200 bildeten den Chor. Dann erlebt man in vielen afrikanischen Ländern ja Elemente, die wir so nicht kennen. Zum Beispiel eine Gabenprozession, wo getanzt wird und dabei die Gaben mit Freude nach vorne bringt, mit den Geldscheinen wirbelt und sie dann in den Korb wirft. Genauso wenn das Evangelium verlesen wird, dann jubeln alle. Das war sehr beeindruckend: Eine Fröhlichkeit, eine Heiterkeit zu erleben in einem der ärmsten Länder der Welt. Warum sind diese Menschen so von ihrem Glauben gepackt und fröhlich und leben darin, obwohl sie doch so arm sind und allen Grund zur Klage hätten? Und bei uns ist es genau umgekehrt. Wir sind oft griesgrämig und nicht zufrieden mit dem, was wir haben. Das hat mich also lange noch beschäftigt.

In der Einsamkeit von Wüstenregionen auf sich selbst zurückgeworfen

ERF: Sind Sie zu Antworten gekommen, warum das so ist?

Pfarrer Gereon Alter: Ich glaube, dass der Mangel eben tatsächlich noch mal viel stärker danach fragen lässt: Woran hängt mein Leben eigentlich? Was ist wichtig? Dazu zählen eben Freundschaften, Familienbande und auch ein fester Anker in Gott. Die Frage stellt sich nicht so in einer Gesellschaft, in der ich mich auch gut ablenken kann mit vielen anderen Wohlstandsdingen.
 

ERF: Der Lahnweg ist eine Sache, der Himalaya ist etwas ganz anderes. Sie sind in extremen Landschaften unterwegs, meist allein. Ist das nicht auch gefährlich?

Pfarrer Gereon Alter: Diese Frage wird mir fast so häufig gestellt wie die Frage: Wie viel Platten hattest du denn? Ich habe noch keine ernsthaft gefährliche Situation auf 40 Jahren Reisen erlebt. Ich glaube, die Frage rührt aus einer Angst vor dem Fremden und Unbekannten. Ja, natürlich. Ich weiß nicht, was am nächsten Tag kommt, was am Abend kommt, wie es da aussieht, wie die Menschen sind. Mit dieser Ungewissheit muss man leben können und man muss auch ein bisschen wach sein und Situationen einschätzen können. Aber wenn man das tut, dann ist Radreisen keinen Deut gefährlicher als jede andere Art des Reisens. Im Gegenteil. Meine Erfahrung ist: Die schlimmen Dinge passieren in der Heimat. Da bin ich gestürzt. Da hat man mir mein Fahrrad geklaut. Auf den großen Reisen ist mir nie was Ernsthaftes passiert.
 

ERF: Kommen Sie bei den Extrem-Touren, zum Beispiel durch den Himalaya, nicht auch mal an Ihre Grenzen? Körperlich oder auch psychisch?

Pfarrer Gereon Alter: Ja, beides. Körperlich habe ich es einmal in Madagaskar erlebt. Da war ich schlichtweg dehydriert. Ich hatte zu wenig getrunken und man kann in den Tropen oder auch in Wüstenregionen nicht genug trinken. Das hatte ich nicht richtig eingeschätzt und bin dann einen kurzen Augenblick ohnmächtig geworden und dann etwas schlapp weitergefahren. Das war eine physische Grenze, die ich erlebt habe. Psychisch auch. Da kann ich mich vor allem an Island erinnern. Da hatten wir einen fürchterlichen Gegenwind, der uns kaum hat vorwärts kommen lassen. Wir haben das Fahrrad eigentlich nur gewuchtet gegen den Wind und über schottrige Pisten und waren irgendwann sowas von durch. Ich glaube, so viel geflucht wie auf diesen 20 Kilometern habe ich in meinem Leben nicht. Gott sei Dank hat es nur der liebe Gott gehört und kein anderer. Der Wind hat es weggetragen.


Pfarrer Gereon Alter ist ein Kind des Ruhrgebiets. Er hat katholische Theologie in Bochum, Innsbruck und Rom studiert. Seit 2011 leitet er die Essener Großpfarrei St. Josef Ruhrhalbinsel mit 23 000 Katholiken, 7 Kirchen, 7 Kindertagesstätten, 2 Seniorenheimen und einem Krankenhaus. Neben seinem geistlichen Dienst gehört Abenteuer Radeln zu seinen Leidenschaften. Außerdem ist er Schalke Fan und spricht regelmäßig das „Wort zum Sonntag“.

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