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© Bekah Russom / unsplash.com

20.04.2024 / Serviceartikel / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Theresa Folger

Wenn Ehrlichkeit wehtut

7 Strategien zum Umgang mit ehrlichem Feedback.

„Ich habe keine Kapazitäten für Freundschaften in der Ferne. Tut mir wirklich leid.“ Aua. Das saß. Eine Freundin hatte sich nach langer Zeit auf eine WhatsApp-Nachricht von mir gemeldet. Nach einigem Hin und Her vereinbarten wir einen Telefontermin, den sie kurz vorher absagte. Es sei ihr doch zu viel, den Kontakt zu halten.

Meine Freundin war ehrlich zu mir. Sie hätte auch sagen können, ihr sei etwas dazwischengekommen und wir würden das Telefonat nachholen. Aber das hat sie nicht getan. Sie sagte die Wahrheit. Nämlich, dass sie den Kontakt nicht mehr wollte.

Ehrlich währt am längsten, heißt es. Aber das tut manchmal sehr weh. Woran liegt das und wie können wir lernen, mit diesem Schmerz umzugehen?

Die wahrgenommene Ablehnung

Die meisten Menschen sind harmoniebedürftig. Dazu gehört, dass wir die ehrliche Konfrontation mit anderen meist vermeiden. Denn sie kann einen Graben zwischen zwei Menschen aufreißen. Wer ein ehrliches, negatives Feedback bekommt, kann dies als Ablehnung empfinden, und das tut weh. So ging es auch mir, als meine Freundin sagte, sie habe keine Kapazität für die Freundschaft mit mir. Sie bat um Verständnis, und ich wollte mir nicht anmerken lassen, wie sehr mich das mitnimmt.

Je nach Persönlichkeit reagieren wir unterschiedlich auf negatives Feedback: entweder mit Rückzug oder mit Angriff. Einmal wollte ich einer Freundin sagen, dass mich eine Reaktion von ihr verletzt hatte, aber sie konnte damit nicht umgehen. Statt mit Betroffenheit reagierte sie mit einem Frontalangriff in dem Sinne: „So, und jetzt erzähl ich dir mal, wo du mich verletzt hast …“ Am Ende war der Graben zwischen uns gefühlt noch größer.

Doch warum ist es oft so schwierig, mit ehrlichem Feedback umzugehen?

Verletzung des Selbstbildes

Ehrliche Rückmeldungen, insbesondere wenn sie negativ sind, können unser Selbstwertgefühl erschüttern. Denn Ehrlichkeit bringt mitunter unangenehme Wahrheiten ans Licht und zwingt uns, uns mit Aspekten unserer Persönlichkeit oder unserer Lebensumstände auseinanderzusetzen, die wir lieber ignorieren oder schönreden würden.

Außerdem ist der Gedanke schmerzhaft, dass andere eine weniger positive Sichtweise von uns haben als wir selbst, Unvergessen ist mir hier die dreiteilige Filmreihe „Monsieur Claude und seine Töchter“. Darin versucht sich die Tochter Ségolène als Künstlerin und verschenkt ihre düsteren, absonderlichen Bilder an die ganze Verwandtschaft. Lange traut sich niemand zu sagen, dass die Bilder hässlich sind, da Ségolène hochsensibel ist und ihr Selbstwertgefühl durch so ein Feedback erheblich leiden würde.

Umgang mit ehrlichem Feedback – so gelingt’s

Es gibt sicher noch weitere Gründe, warum Ehrlichkeit wehtun kann; teilweise treffen auch mehrere gleichzeitig zu. Doch will ich es bei diesen Punkten bewenden lassen und mich nun auf die Frage konzentrieren: Was kannst du konkret tun, wenn dich ein ehrliches Wort verletzt hat? Ich habe sieben Strategien gefunden, die du hier anwenden kannst.

1. Nachfragen

„Zwischen dem, was der eine sagt, und dem, was der andere gehört und verstanden hat, können Welten liegen.” Dieses Sprichwort hast du sicher bereit selbst erlebt. Daher stelle sicher, dass du den anderen richtig verstanden hast. Frage gezielt nach: „Worauf beziehst du dich genau?“ oder „Wie meinst du das konkret?“

Du kannst das Feedback des anderen auch noch einmal in eigenen Worten wiederholen. Manchmal stellt sich dabei heraus, dass der andere etwas ganz anderes gemeint hat, als du zunächst verstanden hast.

2. Abstand gewinnen

Wenn du von den Aussagen einer anderen Person verletzt wurdest, hilft es oft, erst einmal Abstand zu der Situation zu gewinnen. Denn anfangs überwiegt das negative Bauchgefühl und erschwert eine realistische Betrachtung der Situation. Das sprichwörtliche „Darüber schlafen“ kann einen solchen ersten Abstand herstellen. Am nächsten Tag siehst du mitunter klarer, wieviel Gehalt die Aussagen des anderen haben.

3. Prüfen

Wenn dir jemand ehrlich etwas spiegelt, ist das zunächst einmal seine Wahrnehmung. Es ist nicht zwangsläufig die objektive Wahrheit. Daher ist es deine Aufgabe, die Aussage des anderen zu prüfen. In 1. Thessalonicher 5,21 heißt es: „Prüft alles, aber das Gute behaltet.“

Mit dem Guten sind hier nicht ausschließlich positive Aussagen gemeint, sondern solche, die Substanz haben und wirklich auf die Situation zutreffen.

Wenn sich zum Beispiel die eigene Mutter beschwert, dreimal in der Woche miteinander zu telefonieren sei zu wenig, fällt das nicht darunter. Wenn man aber einer Freundin einen Anruf verspricht, sich dann nicht meldet und diese anschließend sagt, dass sie verletzt ist, sollte man sich das Feedback zu Herzen nehmen.

4. Eine Zweitmeinung einholen

Wenn du dir nicht sicher bist, inwieweit die Aussagen eines anderen wirklich zutreffen, kann es helfen, eine Zweitmeinung einzuholen. Suche dir dafür am besten eine Person, die dich gut kennt und dir wohlgesonnen ist, sich aber nicht vor ehrlicher Kritik scheut. Ihr kannst du anvertrauen, was der andere dir gespiegelt hat und sie fragen, was sie von diesem Feedback hält.

5. Deine Sichtweise spiegeln

Vielleicht kommst du nach sorgfältiger Prüfung zu dem Ergebnis, dass du mit der ehrlichen Aussage des anderen nicht oder nur teilweise übereinstimmst. Dann kannst du das dem anderen auch mitteilen.

Ich habe es als enorm hilfreich erlebt, wenn man trotzdem einen „kleinsten gemeinsamen Nenner“ findet, auf den man sich einigen kann. Dies beginnt damit, dass man zumindest ein bisschen auf den anderen zugeht. Nehmen wir das Beispiel mit der Mutter: Man könnte ihr sagen, dass es einem leidtut, dass sie sich einsam fühlt. Und gemeinsam überlegen, wie sich das ändern lässt – zum Beispiel indem sie auch mit anderen Personen telefoniert oder vor Ort öfter mal rauskommt. Oder man vereinbart, dass sie jederzeit anrufen kann und man immer dann abnimmt, wenn es gerade passt.

6. Groll loslassen

Wenn du dich von jemand anderen angegangen fühlst, egal ob gerechtfertigt oder ungerechtfertigt, steigt oft Groll in dir hoch. Das ist eine normale Erstreaktion. Doch deine Verantwortung besteht darin, diesen Groll nicht zu kultivieren. Sonst wird er zu einer bitteren Wurzel in deinem Herzen und kann die Beziehung zu der anderen Person nachhaltig stören.

Groll loszulassen kann zum Beispiel in einem Gebet gelingen: „Gott, die Aussagen von … haben mich verletzt und ich bin gerade echt sauer. Du hast gesagt, dass wir dir unsere Lasten abgeben können. Daher entscheide ich mich dafür, dir meinen Groll abzugeben, selbst wenn mein Herz das im Moment nicht fühlt. Bitte hilf mir, einen guten Umgang mit … zu finden. Amen.“

7. Einen konstruktiven Umgang finden

Wenn du es schaffst, ehrliches Feedback anzunehmen, kann dich das persönlich weiterbringen. Selbst wenn du mit dem Feedback nicht übereinstimmst, kannst du trotzdem irgendeinen Aspekt aus dieser ehrlichen Begegnung mit dem anderen mitnehmen – und wenn es nur das Üben deiner Konfliktfähigkeit ist.

Manchmal gelangt man auch erst nach einiger Zeit zu der Erkenntnis, dass die ehrliche Aussage eines anderen stärker zugetroffen hat, als man wahrhaben wollte. Mein Umfeld hat mir beispielsweise vor einigen Jahren gespiegelt, dass ich in manchen Bereichen verbissen perfektionistisch bin. Anfangs konnte ich das nicht sehen und fand die Rückmeldung unfair.

Doch mit der Zeit wurde mir bewusst, dass der Eindruck der anderen stimmte und sie lediglich einen wunden Punkt bei mir getroffen hatten. Rückblickend bin ich dankbar für dieses ehrliche Feedback, auch wenn es zunächst nicht angenehm war. (Wenn dich das Thema auch betrifft, empfehle ich dir den Artikel „Fehlerlos unglücklich“.)

Ehrlichkeit kann wehtun, aber auch verbinden

Ehrlichkeit kann wehtun. Trotzdem ist sie entscheidend für persönliches Wachstum und funktionierende zwischenmenschliche Beziehungen. Dies erfordert jedoch auch ein gewisses Maß an Selbstreflexion und die Bereitschaft, an uns selbst zu arbeiten.

Außerdem müssen wir lernen, unseren Standpunkt klar zu kommunizieren und gleichzeitig offen für die Perspektiven anderer zu sein. Doch wenn das gelingt, können Beziehungen durch Ehrlichkeit gestärkt statt belastet werden.

Um nochmal auf den Anfang zurückzukommen: Meine Freundin hat sich nach ihrer Absage doch noch spontan gemeldet. Wir haben vereinbart, dass wir unsere Freundschaft ohne gegenseitige Erwartungen aufrechterhalten und niemand ein schlechtes Gewissen haben muss, wenn er sich monatelang nicht meldet. Kein Schlussstrich also, sondern ein Semikolon.

Das war für meine Freundin sehr befreiend. Ich wiederum habe mich gefreut, dass wir uns nicht ganz aus den Augen verlieren. Diese Lösung war erst möglich, nachdem wir ehrlich zueinander waren.

 Theresa Folger

Theresa Folger

  |  Redakteurin

Theresa Folger ist Diplomkulturwirtin und erfahrene Redakteurin im Bereich mentale Gesundheit. Sie ist überzeugt, dass die persönliche Glaubensreise mit persönlichem Wachstum einhergeht. Hierfür zeigt sie ihren Lesern biblisch basierte Strategien auf. Daheim hört sie New Classics und probiert gern Vollwert-Backrezepte aus.

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