Navigation überspringen
© Sonja Kilian

09.05.2012 / Gedanken zum Muttertag / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Sonja Kilian

Der Bär aus Papier

Wie eine Mutter ihrem Nachwuchs das Wichtigste fürs Leben weitergeben kann

Wie lange ich hier schon stehe, weiß ich nicht. Meine zwei Kinder schlafen friedlich in ihren Betten, während ich auf die Zimmertür unserer 2-jährigen Tochter Amanda schaue. Gleich nebenan schläft die 5-jährige Finja. Ich atme tief durch. Feierabend einer Mutter.

Irgendwann ertappt mich mein Mann dabei, wie ich regungslos im spärlich beleuchteten Flur stehe. „Ist alles in Ordnung?“ fragt er. Das kleine Bärchen, das an Amandas Kinderzimmertür hängt, bemerkt er nicht. Es ist ein Türschild, das ich gebastelt habe: Ein mit einer bunten Latzhose bekleideter pummeliger Bär, der eine Fahne in der Hand hält. Darauf steht in großen Buchstaben der Name AMANDA.

Wenn der Alltag die Freude raubt

Der Tag war ein ganz gewöhnlicher. Zwischen den Pflichtübungen, die ein Haushalt mit sich bringt, halte ich die Kinder bei Laune und gleichzeitig mich selbst – wobei ich manchmal überlege, was von beidem leichter ist.

Wenn mein Mann von der Arbeit nach Hause kommt und wir gemeinsam beim Abendessen sitzen, beginnt auch schon der übliche Zu-Bett-Geh-Countdown: Ungeduldig warte ich, bis die Kinder die letzten Krümel auf dem bunten Kinderteller vertilgt und die letzten Schlucke Milch aus der Micky Mouse Tasse getrunken haben. 

Wenn die Kinder ihren Schlafanzug anhaben, gehen wir zur nächsten Disziplin über, dem Zähneputzen. Wie ein Trainer, der kurz vor dem Kampf seinem Schützling unablässig die gleichen Ermahnungen eintrichtert, erinnere ich meine Kinder daran, dass sie auf ihre Gute-Nacht-Geschichte verzichten müssen, wenn sie sich nicht bereitwillig bettfertig machen. Insbesondere die 2-jährige Amanda kann schon mal einen kleinen Ringkampf führen, wenn sie beschlossen hat, ihre Beißerchen keiner Zahnbürste zu zeigen! Nach der anschließenden Vorleserunde im Bett, nachdem ich das Licht in den Kinderzimmern gelöscht habe und niemand mehr „Mama“ ruft, ist für mich Feierabend! 

Volle Windeln und krümelige Kuchenreste: Was bleibt dauerhaft?

Manchmal kann ich den Feierabend allerdings nicht richtig genießen, denn gelegentlich beschleicht mich das Gefühl, nichts geleistet zu haben. Zumindest nichts von dauerhaftem Wert – im Gegensatz zu meinem Mann. Ein Beispiel: Mein Mann hat unseren kleinen Speicher ausgebaut. Das Ergebnis ist ein winziger, aber wunderschöner gemütlicher Raum, der jetzt als Gästeschlafzimmer dient und außerdem von den Kindern als zusätzliches Spielzimmer heiß geliebt ist. Allen Gästen wird dieser Raum vorgeführt. Mein Mann bekommt anerkennende Blicke von seinen Freunden, meine Freundinnen beglückwünschen mich zu meinem begabten Mann und für die Freunde meiner Kinder ist es ein Highlight, wenn ich ihnen erlaube, im „kleinen Speicher“ zu spielen. Noch Jahrzehnte später wird mein Mann die Speichertür öffnen und den Raum voller Genugtuung betrachten können. So ein Projekt möchte ich auch haben.

Meine eigenen Projekte kommen mir eher wie eine Sisyphusarbeit vor: Kaum habe ich eine schöne Torte gebacken, sind nur noch Krümel übrig. Kaum habe ich den Wäschekorb geleert, füllt er sich so schnell wie Amandas Windel. Und abends glaubt mir keiner mehr, dass ich morgens den Badezimmerboden nass gewischt habe.

Ich glaube sogar, Sisyphus hatte mehr Erfolgserlebnisse als ich. In der Sage rollt er täglich einen Stein den Berg hoch. Immer wenn er fast oben angelangt ist, entgleitet ihm der Stein und fällt wieder hinab. Wenn ich doch so weit käme! An vielen Tagen habe ich das Gefühl, ich habe nicht einmal ein Drittel des Bergs bezwungen. Und jeden Tag fange ich ganz von unten an: Wieder Wäsche waschen, Staubsaugen, Essen kochen.

Ein Papierbär für die Ewigkeit?

Doch heute ist es anders: Ich habe einen kleinen Bären aus Papier gebastelt. Meine Mutter hatte mir Bastelbücher geschenkt. Ich sollte doch mit meiner 5-jährigen basteln. Als wichtige Maßnahme zur Frühförderung zahlreicher Fähigkeiten im Kleinkindalter. Vielleicht auch als Maßnahme zur Steigerung des Selbstbewusstseins müder Mütter, denke ich jetzt. Am Tag zuvor hatte ich schon damit angefangen. Heute haben die Kinder mir geholfen. Das war natürlich am anstrengendsten! Abends als sie im Bett waren, habe ich dann das Türschild in Bärenform vollendet.

Jetzt stehe ich vor Amandas Kinderzimmer und betrachte stolz den knuddeligen Teddybären mit der Fahne in der Pfote. Dieses hübsche Türschild aus Papier werde ich behüten wie meinen Augapfel. Das habe ich ganz allein geschafft. Dieser kleine Bär bleibt da hängen - und wird nicht abgekratzt wie der Schmutz von der Herdplatte oder weggeworfen wie die Windelsammlung eines Tages. Nein. Ich habe endlich auch etwas von bleibendem Wert geschaffen! Eine wunderbare Therapie für mein angeschlagenes Selbstbewusstsein. Zumindest mittelfristig.

Mühe, die sich lohnt

Und was hilft langfristig? Vielleicht der Blick aufs große Ganze. Denn für meine Kinder wünsche ich mir natürlich eine Menge und fühle mich persönlich verantwortlich für Ihr Interesse an Musik und Büchern, für Sport und Natur, Offenheit für andere Länder und Kulturen, selbstbewusstes Auftreten, Höflichkeit und vieles mehr.

Mal abgesehen von der Frage, was wir als Eltern davon wirklich erreichen werden: Sind diese Eigenschaften von dauerhaftem Wert? Vielleicht halten sie ein Leben lang. Was für ein Erfolg! Für uns Menschen ist das eine große Zeitspanne! Doch in Gottes Augen ist unser Leben wie Gras, das verdorrt oder wie ein Kinder-Schoko-Bon im Mund einer 2-jährigen (Jesaja 40,6-8). Jesus macht auch nicht nur Martha deutlich, dass ein perfekter Haushalt nichts auf der Prioritätenliste verloren hat (Lukas 10, 28-42). Er würde sicher allen tüchtigen Müttern sagen: „Setzt eure Energie für das richtige Ziel ein und für die Ewigkeit.“

Die Frage ist also: Wenn aus meinem Bastelbär Altpapier geworden ist und unsere Enkel längst den kleinen Speicher renoviert haben oder gerade unser Haus abreißen, was ist dann geblieben? Die Bibel sagt: Die Liebe (1 Korinther 13,13).

Wir Mütter werden nie das ganze Ausmaß der Früchte unserer Mühe erfassen können. Manches wird sich erst in der Ewigkeit zeigen. Die Liebe Gottes aber, die wir unseren Kindern mitgeben, ist ein ewiges Erbe. Die Kinder können es später weitergeben, von einem Menschen zum anderen und von dort wieder weiter, von einer Generation zur nächsten. Ein Schneeballeffekt, der eine Lawine aus Liebe auslösen kann.

Ich habe mir vorgenommen: Wenn ich wieder einmal das Gefühl habe, an einem Tag nichts geschafft zu haben, dann bete ich für meine Kinder. Ich bete, dass Gott ihnen Liebe schenkt – für sich selbst und für andere. Ich bin mir sicher, dann war mein Tag nicht umsonst.


Weitere Artikel zum Thema:

Umtausch ausgeschlossen - warum es sich lohnt Kinder zu haben

Leben ohne Kinder - ein Kommentar

 Sonja Kilian

Sonja Kilian

  |  Redakteurin

Die verheiratete Mutter zweier Töchter liebt inspirierende Biografien. Deshalb liest sie gern, was Menschen mit Gott erlebt haben, schreibt als Autorin darüber und befragt ihre Gäste in Interviews auf ERF Plus.

Ihr Kommentar

Die E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
Alle Kommentare werden redaktionell geprüft. Wir behalten uns das Kürzen von Kommentaren vor. Ein Recht auf Veröffentlichung besteht nicht.

Kommentare (5)

Sylvia L. /

Danke für die ehrliche Analyse ihres Alltages mit kleinen Kindern. Ich fühlte mich beim Lesen ihres Artikels in die Zeit zurückversetzt, als meine inzwischen 17 und 20 Jahre alten Kinder so klein mehr

Roesger /

Moin Frau Kilian,
schön geschrieben! Sie schaffen etwas Unbezahlbares: LIEBE - und daran sollten Sie denken, auch wenn es nicht sichtbar ist.
Aber fühlbar!

Thorsten /

Ich profitiere schon mein ganzes Leben lang - immerhin schon 50 Jahre:) - von der Liebe meiner Eltern. Das kann mir keiner nehmen - und konnte mir als Kind kein anderer so geben. Der Speicher verfällt irgendwann, die Liebe bleibt. Sorry für deinen Mann;-)

Rolf-Dieter M /

Es gibt keine wichtigere "Berufung" für mich als die einer Mutter (und Vaters). Es kommt dabei nicht auf äußerlich meßbare Leistungen oder dergl. an, sondern einzig ob ich aus CHRISTUS in mir he- mehr

Maggie /

wunderschön! eine großartige Perspektive (und wahre!), die die ungesehene Arbeit von uns Frauen in Gottes Licht rückt. Danke für die ehrliche Einsicht und die ermutigenden Zeilen

Das könnte Sie auch interessieren