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© Patty Brito / unsplash.com

26.11.2020 / Andacht / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Franziska Decker

Aus Kindern werden (Gottes-) Leute

Gott will Familie – all inclusive. Unperfektes hat er einkalkuliert.


Endlich war es soweit: Das erste selbst verdiente Gehalt auf meinem Konto! Mit Beginn meiner ersten Arbeitsstelle vor einigen Jahrzehnten freute ich mich, eigenes Geld zu verdienen. Ich sparte für ein Auto. Danach zwackte ich monatlich weiterhin einen Betrag ab, um mir langfristig eine solide finanzielle Reserve aufzubauen.

Unser „inneres Startkapital“ wird bereits in den ersten sechs Jahren unseres Lebens gebildet. Wir werden mit dem Denken und Handeln sowie der Bewertung der Menschen unseres nächsten Umfeldes konfrontiert. Wir nehmen alle Eindrücke hauptsächlich über unsere Gefühle auf und ziehen daraus unsere „privaten“ Schlussfolgerungen.

Aus dem Verhalten, für das wir uns dann entscheiden, entwickeln wir ein Muster, wie wir uns mit den Herausforderungen und Chancen des Lebens auseinandersetzen wollen. Diese psychologischen Erkenntnisse lassen sich schon im Alten Testament in der Familie von Jakob nachvollziehen.
 

Was lange gärt …

Auf den ersten Blick haben 10 seiner 12 Söhne über viele Jahre in meinen Augen sehr schlecht abgeschnitten. Wie konnten sie nur so grausam mit ihrem Bruder Josef umgehen! Vergiftete Beziehungen wie diese entstehen in der Regel aber nicht über Nacht, sondern haben eine längere Vorgeschichte.  

Die Geschwister sind dabei, als Jakob vor der gefürchteten Begegnung mit seinem Bruder Esau Rahel und Josef am Ende der Familienkette aufstellt. Damit haben die beiden den größeren Schutz für den Fall, dass die Versöhnung mit Esau schiefgehen und er die Familie angreifen würde. Was macht das emotional mit allen anderen Familienmitgliedern?
 

Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm

Die Kinder leben auch inmitten der ständigen Spannungen zwischen Lea und Rahel im Wetteifern um die Anerkennung Jakobs. Es entgeht ihnen vermutlich nicht, dass Lea dabei jedes Mal schlechter abschneidet. Sicher läuft es zwischen den beiden Mägden auch nicht immer rund.  Die Familienatmosphäre wird u.a. von Manipulation geprägt (1. Mose 30,14 ff).

Jeder Mensch lässt sich nur im Kontext seiner familiären Wurzeln wirklich verstehen (1. Mose 37,2). Jakob selbst war seit seiner Kindheit auch schon bestens vertraut mit Manipulation, Bevorzugung und Betrug. Sein Vater Isaak wiederum kannte diese Dysfunktionen aus seiner Herkunftsfamilie. Ebenso Rebekka, seine Mutter, aus ihrer Familie.
 

Ein schwarzer Peter kommt selten allein

Josef spürt früh, dass er für seinen Vater und seine Mutter etwas Besonderes ist. Lange haben sie auf dieses gemeinsame Kind gewartet. Und Josef nimmt seine Sonderstellung an. Vielleicht sieht er sich zu diesem Zeitpunkt darin auch noch bestätigt durch die Träume, die er hat (V 6,ff).

Mit seinem Verhalten fördert Jakob die Ausgrenzung Josefs aus der Gemeinschaft seiner Geschwister. Interessant ist auch, dass Josef enger mit seinen Halbbrüdern der beiden Mägde aufwächst als mit denen Leas, der Ehefrau seines Vaters.

Josef gestaltet die Interaktionsmuster in seiner Familie aktiv mit und trägt damit einen Teil der Verantwortung für die angespannte Beziehung. Er verpetzt seine Brüder bei Jakob. Für Vater und Sohn scheint das ok zu sein. Auch merkt Josef offensichtlich überhaupt nicht, wie er Öl ins Feuer gießt, als er seinen Brüdern von seinen Träumen erzählt.
 

Eigenverantwortliche Entscheidungen

Dasselbe gilt für das brutale Verhalten der Brüder, als sie sich Josef vorknöpfen. Mit ihrer Entscheidung, ihn als Sklave zu verkaufen, nehmen sie seinen möglichen Tod in Kauf und können sich ganz nebenbei auch noch an ihrem Vater rächen.

Dass ihre über Jahre angestaute Wut auf ihren Bruder und ihren Vater ein Ventil braucht, ist menschlich und nachvollziehbar. Diese Vorgeschichte entbindet aber auch sie nicht von ihrer Verantwortung für ihr Handeln.

Denn als Geschöpf Gottes habe ich einen eigenen Willen und die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen.

Ich kann selbst entscheiden, welche Prägung mein Leben bestimmen soll und welche nicht und wie ich auf die Erfahrungen reagieren will, die ich gemacht habe.

 

Meinen Charakter von Gott formen lassen

Erst mit der Ablösung von unserer Herkunftsfamilie können wir uns richtig kennenlernen und unsere Rolle reflektieren, die wir darin gelebt haben.

Neben den drastischen äußeren Veränderungen geht Josef in Ägypten auch innerlich einen weiten Weg, auf dem Gott seine Persönlichkeit entwickeln kann. Es ist ein Weg der Reflexion und der inneren Heilung, den er als Gottes Weg mit ihm erkennt (1. Mose 45,5; 50,19).

Josefs Brüder haben sich in den 20 Jahren ebenfalls entwickelt. Sie sagen in Ägypten die Wahrheit und übernehmen Verantwortung für ihr Handeln (1. Mose 44, 18 ff). Der Schmerz Jakobs über den vermeintlichen Tod von Josef hat Juda all die Jahre vermutlich nicht unberührt gelassen (44, 34). Ein weiteres Mal will er seinem Vater so etwas nicht zumuten. Dafür tut er alles in seiner Macht Stehende. Da ist kein Bedürfnis nach Rache mehr zu erkennen.
 

Gott arbeitet mit meiner Prägung

Josef erhält in seinem weiteren Leben übrigens immer wieder eine Sonderstellung. Sie ist ihm von klein auf vertraut und gibt ihm deshalb in allen herausfordernden Situationen ein Stück Sicherheit. Das weiß Gott! Und integriert diese Erfahrung konstruktiv in seinen Plan mit Josef.

Als Sklave wird er über alle anderen Sklaven im Hause seines Vorgesetzten gestellt. Als Gefangener bekommt er im Gefängnis die Aufsicht über alle anderen Gefangenen und damit wieder eine Sonderstellung. Nicht zuletzt in seiner Position als zweiter Mann Ägyptens, direkt unter dem Pharao.
 

Ganz bestimmt!

Gott schreibt seine Geschichte mit mir unabhängig davon, ob ich in einer gesunden oder einer eher dysfunktionalen Familie aufgewachsen bin.

 

Manche Denk- und Verhaltensmuster können tief in meiner Persönlichkeit verwurzelt sein und mein Leben im Heute immer wieder erschweren. Da, wo ich Gott zum Herrn über mein (Geworden-) Sein setze, müssen sie mein Leben jedoch nicht bestimmen. Gott heilt und verändert. Immer noch!
 

 Franziska Decker

Franziska Decker

  |  Coach Evangelisation & Follow-Up

Sie begleitet Kursteilnehmer/-innen und ehrenamtliche Mitarbeiter/-innen in den ERF Workshops und koordiniert das Online-Kursangebot.

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Kommentare (1)

Ute /

Vielen Dank für diese tolle Ausführung!
Sehr interessant, hilfreich!
Lässt mich manches in einem anderen Licht sehen…

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