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© Hendrik Morkel / unsplash.com

29.04.2024 / Andacht / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Katrin Faludi

In der Stille angekommen

...werd’ ich unruhig zum Gebet. Stille auszuhalten ist nicht leicht, lohnt sich aber. Eine Andacht.

Endlich war ich angekommen.

Seit Monaten hatte ich mich auf diesen Moment gefreut. Ich hatte zwei Stunden Flug und vier Stunden Autofahrt hinter mir, um an genau diesen Ort zu gelangen: eine kleine Halbinsel in einem See zwischen Finnland und Russland, der Schauplatz des Romans, an dem ich gerade schrieb. Ich war zweitausend Kilometer weit weg von zu Hause. Weg von Großstadtlärm, Familien-To-dos und stressigen Wochen bei der Arbeit. Ich war so was von bereit für Stille.  

Dachte ich.  

Sofort eilte ich hinunter zum Steg. Ein dämmerweicher Abendhimmel spiegelte sich im See. Ich sah zum menschenleeren Ufer gegenüber: nichts als Wasser und Wald. Hörte nichts als Vogelstimmen und ein leises Rauschen in den Espen neben mir. Ich hatte mir eingebildet, die Stille würde augenblicklich wie ein Seidentuch auf mich herabschweben, schwerelos und weich. Dass die gesamte Alltagslast von mir abfallen würde. Stattdessen aber 

BRÜLLTE MIR DIE STILLE ENTGEGEN!

Plötzlich wurde es laut in mir: Du bist hier ganz allein! Hier ist niemand, den du kennst!
Zu Hause laufen meine Kinder lachend mit dem Papa durch den Garten. Der Nachbar winkt mit der Grillzange vom Balkon. Der Chihuahua von gegenüber hält sich wieder für einen Rottweiler. Der Stadtverkehr summt und kommt selbst nachts nie zum Erliegen. Lauter Zivilisationsgeräusche, die mir unbewusst vermittelt haben: Da ist jemand. Oder: Hier ist meine Aufmerksamkeit gefragt! Geräusche, die sich wie eine Isolierung um meine Sinne gelegt haben.

Hier war nur Schweigen. Und ich fühlte mich schlagartig einsam. 

Jesus und die Einsamkeit 

„In der Stille angekommen...“, der bekannte Liedtitel von Christoph Zehendner war für mich Wirklichkeit geworden. Aber nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Zwar war ich in der Stille angekommen, doch schon bei der zweiten Textzeile „… werd‘ ich ruhig zum Gebet …“ war ich raus. Ich war in höchstem Maße unruhig – und das wurde auch über die Tage nicht besser. 

Nach einer Weile fragte ich mich: Wie ist es Jesus damit gegangen? In der Bibel wird auffallend oft davon berichtet, dass er ein Faible für einsame Orte hatte:  

„Jesus zog sich jedoch immer wieder zum Gebet in die Wüste zurück“ (Lukas 5,16). 

„Dann stieg er allein in die Berge hinauf, um dort zu beten. Als es dunkel wurde, war er immer noch allein dort oben“ (Matthäus 14,23). 

„Ganz früh, es war noch Nacht, ging Jesus allein an einen einsamen Ort, um zu beten“ (Markus 1,35). 


Ob Wüste, Berge oder finnische Seen – all diese Orte haben gemeinsam, dass dort Menschen fehlen und jedwede Ablenkung. Jesus fand das gut. Er war nicht immer im Einsatz für andere. Er hat den Mantel der Geschäftigkeit bewusst abgelegt. Denn in der Stille fühlte er sich Gott, dem Vater besonders nah.

Was die Stille offenbart  

Ich fand es schwierig, mich Gott nah zu fühlen. Die äußere Stille führte zunächst dazu, dass all das innere Getöse, das der Alltagslärm meist gnädig überdeckt hat, hervortrat. Dinge, an die ich nicht so gerne denke, die mir zu schaffen machen, die sich aber ganz gut unter diverse To-do-Listen kehren lassen. Mit dem ganzen Drumherum kann man sich wunderbar vom Wesentlichen ablenken. Der Drang, immer beschäftigt und produktiv aussehen zu müssen, führt letztlich dazu, dass die Seele verschlackt, weil sie nie innehält und sich der womöglich mühsamen Reinigung unterzieht. 

„In der Stille angekommen, leg ich meine Masken ab.“ Eine weitere wahre Zeile aus dem Lied. Ich musste die Masken nicht vor anderen ablegen, sondern vor mir selbst und Gott. „Große Worte sind nicht nötig“, zumindest nicht vor Gott. Er kennt uns besser als wir selbst. Die Stille dient uns, damit wir lernen, uns selbst zuzuhören. 

Kein Sturm hält ewig 

Ich hatte zuerst nicht den Eindruck, dass Gott in dieser Zeit zu mir sprach oder mir nah war. Ich war mir selbst zu laut. Aber nach und nach, je mehr ich in der Stille ankam, hatte ich das Gefühl: Das sollte so sein. Als hätte Gott mich aufgefordert: „Lass erst mal den Lärm in dir raus. Und dann reden wir gemeinsam drüber, damit du zur Ruhe findest.“ 

Letztlich war es nicht die Stille, die mir entgegenbrüllte. Ich war es selbst: „In der Stille angekommen, schrei ich meine Angst heraus. Was mich quält und mir den Mut nimmt, all das schütt ich vor Gott aus.“ Das kann schon mal ein Weilchen dauern. Mit der Zeit aber geht dem Gebrüll allmählich die Luft aus. Kein Sturm hält ewig. So fand ich nach einigen Tagen Ruhe in der Stille und war bereit, zu hören.  

Stille auszuhalten ist eine Herausforderung. Es lohnt sich, sie anzunehmen und durchzuhalten. Es wird besser. 

 Katrin Faludi

Katrin Faludi

  |  Redakteurin

In Offenbach geboren, mit Berliner Schnauze aufgewachsen. Hat Medienwissenschaft und Amerikanistik studiert, ist danach beim Radio hängengeblieben. Außerdem schreibt sie Bücher, liebt alles, was mit Sprache(n) und dem Norden zu tun hat und entspannt gerne beim Landkartengucken. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wohnt sie in Bad Vilbel.

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Kommentare (3)

Dennis /

"Die Stille dient uns, damit wir lernen, uns selbst zuzuhören".
Stille dient nicht dazu, sich selbst (wozu sollte man sich selbst zuhören wollen?), sondern dem HERRN Jesu Christo zuzuhören und von mehr

Barbara E. /

Sehr geehrte Frau Faludi
Um in der Stille anzukommen. Muss man nicht zu einer Insel fliegen. Jahrzehntelange fuhr ich zu Schweigewochen( kann auch länger sein) ins Ev. Gethsemane Kloster in mehr

Ingrid /

Als hätte ich meine eigene Geschichte gelesen... Zwar nicht an einem einsamen See in Finnland, doch eine Stille Woche in Gnadenthal hatte die gleiche Wirkung. Stille auszuhalten kann so schwierig sein und ist gleichzeitig doch so heilsam.

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