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© Austin Distel / unsplash.com

31.05.2020 / Glosse / Lesezeit: ~ 3 min

Autor/-in: Katrin Faludi

Pfingsten aus der Leitung

Die Telefonkonferenz als geistliches Erlebnis. Eine Glosse.

Ich verstehe gar nicht, was so viele gegen Telefonkonferenzen haben. Ich war in Sitzungen noch nie so entspannt. In unseren Konferenzräumen kann ich nicht so im Stuhl herumlümmeln wie zu Hause, ungeniert die Sitzung durchgähnen und zwischendurch meinem dreijährigen Kind zum erfolgreichen Toilettengang gratulieren. Dank Stummschalt-Taste kein Problem! Schade bloß, dass man nur sich selbst stummschalten kann, nicht aber gerade den Kollegen, der seine Ausführungen gerne mit dem Auszug aus Ägypten zu beginnen pflegt, um dann 40 Jahre lang um ein und dasselbe trockene Argument zu kreisen. So unermüdlich wäre ich gääääährn …

Aber Spaß beiseite. Telefonkonferenzen sind nicht nur pure Entspannung. Sie sind auch ein hoch geistliches Erlebnis. Wenn Sie selbst schon einmal an einer digitalen Telefonschalte teilgenommen haben, ist es sehr wahrscheinlich, dass auch Sie bereits in den Genuss eines solchen Ereignisses gekommen sind, ohne sich der spirituellen Dimension dessen bewusst gewesen zu sein. Gerne lasse ich Sie rückblickend daran teilhaftig werden, damit auch Sie sich freuen können.

Das spirituelle Potenzial der wackligen Internetverbindung

Eines der beiden Teams, mit denen ich zusammenarbeite, trifft sich jeden Morgen per Telefonkonferenz zum gemeinsamen Gebet. Der große Respekt der Kollegen untereinander drückt sich darin aus, dass sie bewusst darauf verzichten, zusätzlich die Kameras einzuschalten. Auch die Jogginghosen-Witze sind weniger geworden. Der Teamleiter beginnt gewöhnlich mit einem kurzen geistlichen Impuls aus der Bibel, dann werden Gebetsanliegen gesammelt und es wird gemeinsam gebetet. So leben wir als Team unsere geistliche Gemeinschaft, obwohl wir uns während des Gebets auf bis zu vier verschiedene Landkreise verteilen und rund 100 Kilometer Distanz zwischen einzelnen Kollegen liegen. Was die Technik so alles möglich macht!

Und sie kann noch viel mehr. Jetzt kommt es nämlich zu jenem geistlichen Erbeben, das uns nur eine Internetverbindung bescheren kann, die sich im ständigen Wechsel zwischen Dies- und Jenseits befindet. Verflüchtigt sich die Verbindung in Sphären, denen wir irdisch gebundene, körperliche Wesen nicht folgen können, passiert etwas ganz Erhabenes:

Kollege K. hebt an, um für das Anliegen von Kollegin L. zu beten. Er holt Luft, formt seine Worte und im nächsten Augenblick ist die Leitung erfüllt von einem Brausen wie das Rauschen von einem mächtigen Sturm. Feuerzungen schießen aus den Kopfhörern aller Anwesenden, und Kollege K. beginnt in fremden Sprachen zu sprechen:

Herr, ich danke dir … qwertzuiopü … und dass du in allen Situationen … äch … naputz … onggldösn … Knallheinz … aber auch wenn sich bislang noch nicht … rüpsnärks … … Spiegelei … farxrx … vertrauen wir doch darauf, dass du … flödelöt … und wir jederzeit mit deinen … Runkelrüben frotzeln … dürfen. Amen!

Die technische Störung als geistliche Auferbauung

Ich lausche den fremdartigen Tönen, die kein menschlicher Kehlkopf produzieren kann, und bin tief ergriffen. So muss sich Pfingsten angefühlt haben! Dieser Tag vor gut 2.000 Jahren, als der Heilige Geist mit Brausen und Rauschen auf die Gläubigen herabkam und sie ebenfalls in fremden Sprachen sprechen ließ! In der Bibel wird berichtet:

„Damals lebten in Jerusalem gottesfürchtige Juden aus vielen verschiedenen Ländern. Als sie das Brausen hörten, liefen sie herbei. Bestürzt hörte jeder von ihnen die Versammelten in seiner eigenen Sprache reden. Außer sich vor Staunen riefen sie: ‚Wie kann das sein? Diese Leute stammen alle aus Galiläa, und doch hören wir sie in den Sprachen der Länder sprechen, in denen wir geboren wurden!“ (Apostelgeschichte 2,5-8).
 

Doch während die Digital Natives im Team (also jene, die die Muttermilch bereits per 56k-Modem übertragen bekommen haben) das Gebet des Kollegen K. problemlos verstanden haben dürften, bleibe ich zwar bewegt und dennoch ratlos zurück und frage mich: Was wollte der Herr mir damit sagen?

 Katrin Faludi

Katrin Faludi

  |  Redakteurin

In Offenbach geboren, mit Berliner Schnauze aufgewachsen. Hat Medienwissenschaft und Amerikanistik studiert, ist danach beim Radio hängengeblieben. Außerdem schreibt sie Bücher, liebt alles, was mit Sprache(n) und dem Norden zu tun hat und entspannt gerne beim Landkartengucken. Mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern wohnt sie in Bad Vilbel.

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