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© SCM Brockhaus

29.01.2013 / Buchrezension / Lesezeit: ~ 5 min

Autor/-in: Hanna Wilhelm

Hölle. Der Blick in den Abgrund

Gewisse Vorstellungen über die Hölle haben viele Menschen. Carsten Schmelzer möchte diese konkretisieren. Schafft er es? Eine Buchrezension.

Rote Buchstaben, an ihrem Rand bereits angesengt, darunter eine schwarze Flamme, die an den Schrecken eines ewigen Feuerszenarios erinnern: Das Cover von "Hölle. Der Blick in den Abgrund" ruft im Leser beklemmende und typische Höllenvorstellungen wach. Unwillkürlich fragt er sich, was er Schauerliches erfährt, wenn er das Buch aufschlägt.

Beim Blick ins Inhaltsverzeichnis verblasst das düstere Bild jedoch. Man stellt fest, dass sich der Autor der ganzen Thematik gründlich und sachlich nähert. Denn obwohl Carsten Schmelzer als Jugendlicher selbst die Erfahrung gemacht hat, dass einen die Angst vor der Hölle in den Himmel bringen kann, hat der Pastor mit seinem Buch anderes im Sinn: Theologisch vor- und weitsichtig, will er dem Leser einen Überblick über den Stand der Diskussion verschaffen und eine eigene Meinungsbildung ermöglichen.

Auffassungen der Kirchenväter

Nachdem der Theologe dabei zu Beginn sehr kurz auf die klassische Position der Allversöhnung und ihren aktuellsten Vertreter Rob Bell, eingeht, wartet in den folgenden Kapitel eine Überraschung auf den Leser: Er lernt, dass die Lehre über eine ewige Verdammnis im Laufe der Kirchengeschichte theologisch nicht so fest zementiert gewesen zu sein scheint, wie er es vielleicht vermutet. Bei den ersten Christen habe das Thema überhaupt nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit gestanden, auch wenn sie die Existenz eines solch schrecklichen Ortes in der Regel nicht verneint hätten. Wo doch darüber diskutiert wurde, gab es unter den Kirchenvätern Schmelzer zufolge grob skizziert drei Auffassungen:

  1. Origenes ging davon aus, dass die Hölle zwar existierte, aber keinen endgültigen Ort der Strafe darstellte. Vielmehr war sie nach seinem Verständnis ein Ort der pädagogischen Läuterung, an dem jeder früher oder später doch noch Gottes Liebe annimmt und annehmen kann.
  2. Andere vertraten die Position des Annihilismus: Das heißt der Mensch hat nicht automatisch eine unsterbliche Seele, die nach seinem Tod entweder auf ewig verdammt oder gerettet ist. Vielmehr ist es ein Geschenk von Gott, wenn ein Mensch zum ewigen Leben mit ihm aufersteht und seine Seele nicht einfach ausgelöscht wird.
  3. Augustin und Tertullian hingen schließlich der klassischen Höllenlehre an, die sich im Laufe der Zeit durchsetzte und bis heute - mit Ausnahme der liberalen Theologie, die die Existenz einer Hölle tendenziell abstreitet -  in der Orthodoxie der evangelischen und katholischen Kirche vertreten wird.

Geht man als Leser davon aus, dass der Autor anschließend selbst eine ausführliche biblische Betrachtung zum Jenseits durchführt, erwartet einen die zweite Überraschung. Zwar folgt ein Kapitel über den Begriff "Gehenna" im Neuen Testament, danach greift der Remscheider Pastor aber Themen auf, die nicht direkt etwas mit dem biblischen Befund zu tun haben. Zum Beispiel zeigt ein Ausflug in die Höllendarstellungen der Kunstgeschichte, dass unsere heutigen Vorstellungen vom Jenseits eher von diesen Bildern denn von der Bibel geprägt sein dürften. Danach stellt Schmelzer über mehrere Kapitel hinweg die Frage, wie ein liebender Gott überhaupt einen Ort wie die Hölle zulassen kann und wie ein Mensch diesem Schicksal entgeht. Vier kurze Anhänge greifen Spezialfragen wie die der Erbsünden- oder Prädestinationslehre auf.

Nach diesem Rundumschlag, kommt Carsten Schmelzer schließlich zu folgendem Ergebnis, was die Existenz einer Hölle und ihre Beschaffenheit angeht: "Während wir sicher sein können, das es etwas gibt, das man als Hölle bezeichnen kann, sollten wir uns mit den Beschreibungen dieses Ortes zurückhalten. Letztlich lassen sich viele Feinheiten nicht mit letzter Sicherheit klären."

Stärken und Schwächen des Buches

Schmelzer schafft es mit seinen Ausführungen, den Leser vor einer Haltung zu bewahren, bzw. aus ihr herauszuführen, die irrtümlicherweise alles über die Hölle zu wissen glaubt. Behutsam macht er deutlich, dass nicht alles, was im Zusammenhang mit diesem Thema unumstößlich zu sein scheint, es auch tatsächlich ist. Das tut gut und hilft, die gebotene Vorsicht im Umgang mit einem Bereich des Glaubens walten zu lassen, der für uns Menschen zu einem Großteil noch im Verborgenen liegt. Dass Schmelzer das komplexe Thema zudem in ein größeres Spektrum hineinstellt, ist vor allem für denjenigen hilfreich, der sich die Frage nach der Hölle nicht nur vor einem theologischen Hintergrund sondern auch aus existenziellen Zweifeln heraus stellt. Das macht das Buch durchaus geeignet für Menschen, die dem christlichen Glauben gegenüber kritisch eingestellt sind oder die ihn noch nicht lange praktizieren und Antworten auf grundlegende Fragen suchen. Im Großen und Ganzen ist das Buch aufgrund seiner Sprache übrigens auch und gerade für Laien und Hobbytheologen gut geeignet.

Allerdings - und das muss auch gesagt werden - ist die Argumentation des Autors zu bestimmten Bibelstellen oder Sachverhalten oft recht oberflächlich oder sogar verkürzt dargestellt. Das Buch lässt einen ausführlichen und vor allem zusammenhängenden Blick auf die biblischen Aussagen zum Thema schmerzlich missen. Aussagen aus dem Alten Testament oder die Frage, inwiefern die Existenz einer Hölle mit derjenigen des Teufels zusammenhängen, bleiben beispielsweise ganz außen vor. Schmelzer schreibt zwar, dass er seine Ausführungen bewusst nicht entlang biblischer Stellen aufgebaut hat, weil sich "die Auslegung der Stellen (...) mit den Jahrhunderten stark geändert hat." Trotzdem wäre eine solche Darstellung - ruhig mit den unterschiedlichen Auslegungen! - wünschenswert gewesen. Denn dann hätte sich der Leser unabhängig von Schmelzers Schlussfolgerungen eine Meinung bilden können. So bleibt er auf die Interpretation des Autors angewiesen und diese ist nicht immer gleich ausführlich dargestellt und an manchen Stellen mit einer bestimmten Tendenz versehen. Wobei Schmelzer fairerweise offenlegt, in welche Richtung er tendiert.

Schmelzers Versuch, die Frage nach Gottes Wesen angesichts eines Ortes der Verdammnis zu klären, ist zwar einerseits eine große Stärke des Buches, weil sie die Thematik vor sturer Orthodoxie befreit. Andererseits geht Schmelzer hier meines Erachtens theologisch selbst zu weit, wenn er den Menschen als allein verantwortlich für sein ewiges Schicksal sieht. Gerade weil der Autor biblische Aussagen, die nicht eindeutig sind, sonst mit der gebotenen Vorsicht behandelt, verwundert es, dass er bei diesem doch auch unklaren Punkt eine solch klare Schlussfolgerung zieht.

Fazit

Wer meint, mit "Hölle. Der Blick in den Abgrund" alle Fragen klären zu können, wird enttäuscht. Stattdessen ist das Buch eine gute Anregung, selbst weiterzudenken und bekannte Bibelstellen von einer anderen Perspektive zu betrachten. Ob Schmelzer damit tatsächlich "eines der gründlichsten und scharfsinnigsten Bücher der letzten Jahre zu diesem heißen Thema" geschrieben hat, wie es der Klappentext verheißt, sei dahingestellt. Dazu hätte es eine ausführlichere Beschäftigung mit den biblischen Stellen gebraucht. Hilfreich und herausfordernd sind die rund 250 Seiten aber alle Male. Vielleicht schafft Schmelzer es mit seinem Buch sogar, dass Christen sich wieder trauen, sachlich und ruhig in Gottesdiensten und Gesprächen mit Andersgläubigen über das Tabuthema Hölle zu reden. Alleine das wäre ein Gewinn!

Hier finden Sie eine Leseprobe des Buches.

Hier finden Sie einen Videotraier zum Buch.

Vielleicht interessiert Sie auch die Rezension das Buches "Hölle light" von Francis Chan.

Ihr Kommentar

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Kommentare (4)

Norbert D. /

Nun, dieses Thema ist außerhalb meines Fokus, gestehe ich ehrlich.
Im Grunde steht es mir gar nicht zu, zu dem aktuellen Buch, Stellung zu beziehen,
weil ich es nicht gelesen habe und es auch nicht mehr

Christa R. /

Hab' ich's doch geahnt, liebe Hanna: Du steckst hinter dieser scharfsinnigen Buchbetrachtung. Danke! Du machst deine Sache wirklich toll. DANKE + mach' weiter so. Um Gottes und Seiner Leute willen. Lieben Gruß, Christa

Storch /

Guten Tag Frau Wilhelm,
danke für die interessante Rezension. Ich schließe mich ihrer Kritik teilweise gerne an. Leider war für das Alte Testament und auch den Teufel kein Platz mehr. Das betrifft mehr

Joachim /

Danke für diese gute, ausgewogene Rezension. Ich habe mich in den letzten Monaten selber ausführlich mit dem Thema auseinandergesetzt, weil es in den Gemeinden doch sträflich vernachlässigt wird. Es mehr

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