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29.12.2011 / Vom Sinn und Unsinn des Planens / Lesezeit: ~ 6 min

Autor/-in: Michael Gerster

Ab morgen wird alles anders

Planen oder Nichtplanen? Das ist hier die Frage. Gedanken zum richtigen Umgang mit der Zeit und den eigenen Lebenszielen.

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Schon der Volksmund macht deutlich, dass es mit dem Planen so eine Sache ist. Das Leben ist einfach oft zu unvorhersehbar, zu komplex, als dass man einfach so das nächste Jahr, geschweige denn die nächsten zehn Jahre oder gar den Rest seines Lebens planen könnte.

Als Christ fallen einem zudem Sprüche ein wie „Der Mensch denkt und Gott lenkt.“ Oder gar die eindrückliche Warnung aus Jakobus 4,13-15:

"Und nun ihr, die ihr sagt: Heute oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen und wollen ein Jahr dort zubringen und Handel treiben und Gewinn machen -, und wisst nicht, was morgen sein wird. Was ist euer Leben? Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet. Dagegen solltet ihr sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun."

Bedeutet das nun, dass vorausschauendes Handeln nicht wirklich Sinn macht oder sogar anmaßend gegenüber Gott ist? Ich glaube nicht, sondern bin überzeugt, dass es gute Gründe gibt, sein Leben zu planen, auch bzw. gerade aus christlicher Sicht. Entscheidend ist jedoch, warum und wie man plant. Drei Gedanken dazu.

1. Leben ist zerbrechlich – Pläne auch

Die Autoren der Bibel waren Realisten. Leben ist eben immer auch unabwägbar. Das wussten Menschen zu anderen Kulturen und Zeiten mehr als wir heute. Der moderne Mensch – zumindest im Westen – erwartet in der Regel ein sicheres, ein gesundes Leben. Deshalb ist Wohlstand auch so wichtig. Und deshalb macht die Finanzkrise gerade auch im Westen so vielen Menschen zu schaffen. Die Geschichte, die Europa im Innersten zusammenhält ist eben nicht mehr die Geschichte eines Völkerbundes, den die Ideen eines friedlichen Zusammenlebens eint, sondern die Aussicht auf stetig wachsendes Wirtschaftswachstum. Da nur so der soziale Zusammenhalt ungefährdet bleibt. Die indische Autorin Arundhati Roy drückt es in einem Interview mit der ZEIT so aus: „Heute aber kommt es mir vor, als würde die Europäische Union von materiellen Werten zusammengehalten, vom Versprechen eines guten Lebens für alle. Dieses Versprechen aber wird nun überschattet, deshalb sind Spannungen und Spaltungen so gut wie sicher.“ [http://www.zeit.de/2011/51/Interview-Roy, Stand 22.12.2011].

Menschen in anderen Ländern sind sich eher bewusst, dass Leiden zum Leben dazu gehört. Doch man muss gar nicht so weit gehen. Auch im Westen wissen viele chronisch Kranke, dass es eben nicht die Hauptsache ist „gesund zu sein“. Darauf weist der Psychiater und Theologe Manfred Lütz hin:

„Wenn man aller Welt ein „gesundes Neues Jahr“ wünscht, dann ist das für chronisch Kranke eine Frechheit. Das Gleiche gilt für den Ausruf: „Hauptsache gesund!“ Eine Leserin meines Buches „Lebenslust“, die von Geburt an herzkrank ist, hat sich bei mir bedankt. Wenn der gedankenlose Spruch „Hauptsache gesund“ stimmen würde, dann hätte sie in ihrem Leben ja nie die Hauptsache erleben können. Doch sie freue sich ihres Lebens. Weihnachten ist eine sehr gute Gelegenheit dafür, sich zu überlegen, was wirklich wichtig ist im Leben. Mancher Krebspatient lebt intensiver und sinnvoller als jemand, der mit normalen Laborwerten durch sein Leben hechtet und am Ende gar nicht weiß, was er eigentlich gemacht hat.“ [http://www.welt.de/regionales/koeln/article13773789/Gesundheitswahn-ist-die-moderne-Ersatzreligion.html, Stand: 22.12.2011]

Alles Planen muss deshalb im Rahmen der Zerbrechlichkeit des Lebens stattfinden. Diese Unsicherheit läuft letztlich auf einen gemeinsamen Nenner heraus: den Tod. Jede Krankheit, jedes Unglück erinnert daran, dass das Leben – zumindest in dieser Form – nicht ewig weitergeht.

2. „Sie haben Ihren Bestimmungsort erreicht“ – Vom Ende her denken

Haben Sie schon Ihre Grabrede formuliert? Diesen Tipp habe ich in einem Zeitmanagement-Buch gelesen. Ich weiß auch von einem Theologieprofessor, der seine Studenten zu dieser Übung anregt. Vom Ende her zu denken, kann eine hilfreiche Übung sein, seine Prioritäten klar zu bekommen. Dabei muss man nicht gleich an den Tod denken.  Es gibt eine Methode, die einem unter Umständen leichter fällt: Stellen Sie sich vor, Sie sind 80 und feiern Ihren Geburtstag im Kreise Ihrer Lieben. Jemand steht auf und hält eine Rede oder hat eine Diashow oder Powerpointpräsentation vorbereitet. Was hätten Sie gerne, dass dann von Ihnen gesagt wird? Welche Bilder soll man von Ihnen zu sehen bekommen? Bilder, auf denen Sie lächeln? Bilder im Kreise der Familie oder Fotos, aus denen hervorgeht, wie ernst Sie Ihren Job genommen haben?

Wenn Sie sich wünschen, dass Sie als großzügiger Mensch anderen in Erinnerung bleiben, dann fangen Sie doch schon heute an, das in die Tat umzusetzen. Hoffen Sie, dass andere Sie als guten Zuhörer beschreiben, dann fangen Sie heute schon damit an. Und warten Sie nicht erst, bist Sie noch dieses Projekt erfolgreich umgesetzt oder jene Aufgabe erledigt haben.

Welche Verbindung gibt es nun aber zwischen den langfristigen Zielen und den alltäglichen Aufgaben und ToDo-Listen, die man versucht abzuhaken? Nun, die langfristigen Ziele helfen einem auf Kurs zu bleiben. Das bedeutet aber nicht, dass Sie bei jeder einzelnen Aufgabe immer überprüfen müssen, dass ob es zu Ihren Lebenszielen passt. Ich bin überzeugt, dass Lebensziele als eine Art innerer Kompass wirken. Deshalb lohnt es sich, sie zu formulieren und regelmäßig in Erinnerung zu rufen. Sie halten uns auf Kurs und steuern uns, ohne dass wir uns ihrer immer im Alltag bewusst sind.

3. Ganz praktisch: Der 6-Monatsschlachtruf

Leben findet immer in Phasen statt. Dabei müssen es gar nicht immer die großen Lebensabschnitte sein, die einem als Orientierung dienen können. In seinem Buch „The Frantic Familiy“ beschreibt Unternehmensberater und Willow-Creek-Kongress-Referent Patrick  Lencioni, wie man selbst mit Kindern und zwei berufstätigen Elternteilen Ziel und Richtung in sein Leben bekommt und selbstbewusst aus dem Hamsterrad des Alltags aussteigen kann. Der Grundgedanke lautet: Entwickele einen Schlachtruf. Und zwar einen Schlachtruf, der die ganze Familie motiviert und das Thema benennt, was die Familie und ihre Lebensumstände zurzeit am meisten bewegt. Wichtig dabei ist, dass dieser Schlachtruf das Familienthema für ca. sechs Monate bestimmt. Nimmt man sich weniger Zeit, bleibt zu wenig Freiraum Entwicklungen voranzubringen. Alles, was über sechs Monate hinausgeht, wird zu abstrakt, als dass man motiviert darauf hinarbeiten könnte. Ohnehin schiebt man unangenehme Dinge zu weit in die Zukunft.

Die Themen, um die es sich bei dem Familien-Schlachtruf handelt sind so vielfältig wie Familien selbst. Wenn die Mutter nach mehreren Jahren Berufspause wieder ins Arbeitsleben einsteigt, kann der Schlachtruf zum Beispiel so lauten: „Wir geben Mama Starhilfe beim Wiedereinstieg!“ Dieser Schlachtruf benennt also das aktuell wichtigste Thema der Familie. Das bedeutet: Andere Themen, wie zum Beispiel eine geplante Fortbildung des Vaters, müssen ein halbes Jahr warten. Oder wenn der Vater nach mehreren OPs gesundheitlich angeschlagen ist oder zehn Kilo zugenommen hat, kann der Schlachtruf lauten: „Papa muss wieder fit werden!“. Der nächste Familien-Urlaub wird deshalb ein Wanderurlaub in den Bergen und kein fauler Strandurlaub am Meer sein.

Entscheidend für den Erfolg des Konzeptes sind zwei Dinge: Zum einen muss die Familie den Schlachtruf gemeinsam beschließen. Außerdem müssen sich alle Familienmitglieder regelmäßig zusammensetzen, um gemeinsam zu prüfen: Was ist unser Schlachtruf? Und: Sind wir noch auf Kurs? Dadurch stellt man sicher, dass das gemeinsame Familienziel Priorität hat und alle dies bei ihren täglichen Entscheidungen bedenken.

Ein Tipp von Lencioni hierfür: Den Schlachtruf visualisieren und an einem gut sichtbaren Ort aufhängen. Zum Beispiel am Kühlschrank. Oder dort, wo ohnehin der Familienkalender hängt. Das hat nämlich den Vorteil, dass man vor jedem neuen Termineintrag nochmal auf den Schlachtruf schauen kann, um zu prüfen: Passt dieser Termin zu unserem aktuellen Thema?

Der 6-Monatssschlachtruf ist sicherlich kein Zaubermittel aber er kann helfen, gemeinsam Ziele zu entwickeln und das Lebensschiff auf Kurs zu halten. Auch wenn mehrere Personen mit an Bord sind.

Was mein Leben letztlich trägt

Menschen brauchen Ziele, um auf Kurs zu bleiben. Wichtig dabei ist, sich über die Werte im Klaren zu sein, die die eigenen Ziele bestimmen. Ich bin eingeladen diese Werte mehr und mehr von Gott prägen zu lassen. Vor allem aber: Es ist wichtig, dass ich Gott in meine Pläne einbeziehe und ihn nach seinen Gedanken zu meinem Leben frage. Denn sein Versprechen lautet:

„Denn ich kenne ja die Gedanken, die ich über euch denke, spricht der HERR, Gedanken des Friedens und nicht zum Unheil, um euch Zukunft und Hoffnung zu gewähren.“ (Jeremia 29,11).

Und wer sich von Gott in seine Pläne reinreden lässt, der erkennt selbst dann, wenn sich die Lebensumstände nicht nach Frieden und Hoffnung anfühlen: "Meine Zeit steht in deinen Händen!" (Psalm 31,16).

Ihr Kommentar

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Kommentare (8)

Hildegard O. /

Lieber Michael,
wunderbar auf diese Weise von dir zu lesen. Ein Mann des Glaubens und der Erkenntnis spricht hier. Wie ich erkenne, hat der gute Hirte dich seit der Zeit in unserer Mannschaft in Waldmohr geführt und du bist seiner Stimme gefolgt. Halleluja!.
Liebe Grüße Hildegard O.

Michael Gerster /

Bibelstellen: @Fast Jakob: stimmt, da ist Jakobus 4,13-15. Danke für den Hinweis, habe es geändert.

Fast Jakob /

Frohes neues Jahr dem ganzen Team und Gottes Segen
PS: die Verse stehen in Jak. Kap 4 ?

Miltone /

Die o. g. Textangabe aus Jakobus 5 ist mir auch eine gute Hilfe für das Jahr 2012:
Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen.
14 Ist jemand unter euch krank, der mehr

Marie K. /

Vielen Dank für diesen Text, der sowohl geistige Impulse als auch praktische Hinweise enthält. Ich dachte gleich an eine Freundin, der ich diesen Artikel weiterempfehlen möchte. Sehr gut!

dyckdieter /

diese predigt ist gut

ERF - Fan /

Danke für den wertvollen Artikel, insbesondere die Ausführungen über den Gesundheitswahn (ich habe auch den Link aufgerufen und ein hochinteressantes Interview gefunden).
Der "Schlachtruf" erinnert mich eher an das kurzatmige Quartalsziel einer Firma als an eine Familie.

Marita /

Die Bibelstelle ganz oben bei Jakobus steht im Kapitel 4, gleiche Verse.

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