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22.11.2011 / Themenwoche Einheit mit Christus / Lesezeit: ~ 4 min

Autor/-in: Joachim Bär

„Bleibt in mir!“

Christus ruft seine Nachfolger auf, in ihm zu sein. Wer darüber genauer nachdenkt, dem bereitet vor allem ein kleines Wort Kopfzerbrechen.

Wie kann ein kleines Wort nur so große Schwierigkeiten machen! Sollte es nicht einfacher sein, zwei Buchstaben zu erklären? Die Rede ist vom kleinen Wörtchen „in“, das Jesus in seiner Gleichnisrede vom Weinstock im 15. Kapitel des Johannesevangeliums gebraucht: „Bleibt in mir“ fordert er seine Jünger auf (Johannes 15, 4) – und liefert damit genügend Stoff für mehr als eine ausgedehnte theologische Diskussion.

Denn die Frage ist: Wie kann ich in jemandem sein? Im Wohnzimmer, im Kreise der Familie oder im Sportverein, das kann ich mir vorstellen. Aber in einer anderen Person? Was sich also auf den ersten Blick einfach anhört, liefert auf den zweiten Stoff für 1.000 Fragen. In Christus bleiben: Was gehört dazu? Ich in einer anderen Person: Wie soll das überhaupt gehen?

Einzigartig christlich

Andere Autoren des Neuen Testaments tun ihr Übriges. Fast 200 Mal drücken sie diese spezielle Beziehung zu Jesus in ähnlicher Weise aus: In Christus, in Jesus Christus, in Christus Jesus, im Herrn, in Jesus, in ihm. In Christus zu sein scheint ein zentraler Gedanke in der Theologie von Paulus zu sein. Immerhin stammen 164 dieser Stellen aus seiner Feder – allein 36 im Epheserbrief.

Besonders interessant ist der Vergleich mit der profanen, griechischen Literatur. Die spezielle Verwendung der Präposition „in“ und einer einzelnen Person kommt bei Homer, Euripides und Kollegen fast nicht vor – was deutlich macht, dass Paulus auf einzigartige Weise eine tiefe christliche Wahrheit ausdrückt, die anders nicht in Worten zu fassen ist. Die nirgends anders zu finden ist. Umso mehr stellt sich die Frage, was Paulus damit gemeint hat, in Christus zu sein.

Ein sonderbares Wort

Schon frühe, griechisch sprechende Theologen haben sich an diesem kleinen Wörtchen „in“ gerieben, haben es durch andere Präpositionen ausgetauscht und damit versucht, es zu erklären: durch Christus, von Christus, wegen Christus. Es scheint, als habe die Wendung „in Christus“ auf griechische Leser einen ebenso sonderbaren Eindruck gemacht wie auf uns heute.
 

Später haben andere ganze theologische Konzepte in den Ausdruck gepresst. In Christus ist, wer fest im christlichen Glauben verankert ist, wer auf die Kraft des Herrn vertraut oder in einer Art Schule Christi ist (passend in 1 Thessalonicher 3, 8; Galater 5, 10; Epheser 2, 22). In Christus ist, wer eine bestimmte innere Gewissheit hat, auf bestimmte Weise handelt oder schlicht einer Kirche angehört.

Viele dieser Erklärungsversuche haben etwas für sich und lassen sich biblisch belegen. Schließlich sollen Christen sich bewusst sein, in Jesus Christus für Gott zu leben (Römer 6, 11). Johannes schreibt: Wer seine Gebote hält, bleibt in ihm (1 Johannes 3, 24). Und die Wiederheirat ist lauf Paulus für eine christliche Witwe möglich, wenn dies „im Herrn“ geschieht - was heißen kann, dass der neue Mann Christ ist bzw. zu einer christlichen Gemeinde gehört (1 Korinther 7, 39).

Von Anfang bis zum Ende

All diese Versuche sind aber meilenweit davon entfernt, die ganze Tiefe des so schlicht wirkenden Gedankens auszuloten. Schließlich beginnt diese besondere Verbindung nicht erst in dem Moment, in dem ich ein wohlformuliertes Übergabegebet spreche. Paulus sieht ihren Anfang schon vor dem Beginn aller Zeit. Er schreibt in Epheser 1, 4: „Denn in Christus hat er uns schon vor der Erschaffung der Welt erwählt.“ Das zeigt, dass dieses „In-Christus-Sein“ schon seit Urzeiten seinen Platz in Gottes Plan hat. Christen sind schon längst in Christus! Es war Gottes ewige Absicht, Menschen durch – oder besser in – Jesus seine Gnade zu schenken (2 Timotheus 1, 9).

Damit nicht genug. In Christus zu sein durchdringt meinen heutigen Glauben bis aufs Mark. In Christus kommt Christen Gottes Gnade zugute (1 Korinther 1,4).Nur in Christus lassen sich Glaube und Liebe, Gnade, Rettung und alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis finden – was auch immer das nun wieder im Einzelnen heißen mag (1 Timotheus 1,14; 2 Timotheus 2,1; 2 Timotheus 2,10; Kolosser 2,3). Und wer Gemeinde bauen und gestalten will, sollte sich ebenfalls mit dem Leben in Christus auskennen. Außerhalb von Christus geht schließlich gar nichts (Epheser 2,22).

Auch meine Zukunft als Christ liegt, wie könnte es anders sein, in Christus. Der erste Brief an die Thessalonicher ordnet die Reihenfolge der Auferstehung anhand derer, die in Christus sind (1 Thessalonicher 4,16), wie überhaupt die Auferstehung von Christen einst davon abhängen wird, in Christus zu sein (1 Korinther 15,22). Gott selbst wird uns in Christus bis in alle Ewigkeit zeigen, wie groß seine Gnade ist (Epheser 2,7) – womit er wahrscheinlich viel zu tun haben wird.

Dieser kurze Überblick macht überdeutlich: In Christus sein bedeutet mehr, als zu einer Gemeinde zu gehören, Sünde zu vermeiden und regelmäßig zu beten. Mehr, als heilig zu leben, Jesus nachzufolgen und im Glauben zu wachsen. Sogar mehr, als in Beziehung mit Christus getreten zu sein, mit seinem Geist und in dessen Kraft zu leben und Anteil an seiner schon angebrochenen Gottesherrschaft zu haben.

Was nun?

Was also bedeutet es, in Christus zu sein? Das lässt sich mit wenigen Sätzen nicht umschreiben, so viele Teilaspekte beinhaltet dieses kleine Wort. Adolf Deissmann scheint allerdings mit einem Ergebnis seiner grundlegenden Untersuchung des Ausdrucks „in Christus“ von 1893 recht zu behalten: An der örtlichen Grundbedeutung der Präposition „in“ kommt man nicht vorbei. Als Christ bin ich wortwörtlich in Christus. Er soll mein Element sein, in dem ich lebe. Wie die Luft, in der ich bin und die in mir ist. Die Luft, die ich atme, meine Zellen versorgt und mich bewegt – die mein Leben erst möglich macht.

Ich in ihm, Christus in mir. Gegenseitige Durchdringung, ohne sich zu vermischen. Das bleibt ein Geheimnis. Ein Geheimnis, das sich nicht durch geistige Schnellschüsse lüften lässt. Ein Geheimnis, das umso größer wird, wenn man die andere Seite hinzunimmt: Christus in mir. Das wird morgen Thema sein.
 

 Joachim Bär

Joachim Bär

  |  Unit Leader erf.de / Antenne

Koordiniert die übergreifenden Themen der redaktionellen Angebote des ERF. Er ist Theologe und Redakteur, ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Ihr Kommentar

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Kommentare (8)

Karl-Heinz B. /

Ich habe den interessanten Artikel "Bleibt in mir!" gelesen und suche die Fortsetzung wie in Ihrem Artikel angedeutet "Ich in ihm".
Sehr berührend und tiefgründig, danke für Ihre Impulse.
MfG
Karl-Heinz B.

Maximilian /

"Gott ist Liebe."
1. Joh. 4,16

Sporer /

Ich möchte ein zutiefst menschliches Beispiel einbringen: Wenn man ganz "in" einem Menschen aufgeht überträgt sich "zwischen" den beiden Menschen etwas, das nicht in Worte zu fassen ist. mehr

Beate S. /

Mir fiel auch ganz spontan 2.Korinther 5,17 ein: Darum ist jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden!
Wer die Wiedergeburt erleben mehr

Monika /

Danke für dieses Thema!

Rolf M. /

Ist jemand in CHRISTUS so ist (oder wird er) eine neue Kreatur (sein) ... Diese und andere Schriftstellen machen frei von Programmen und Gesetzlichkeit und führen zur inneren Freiheit des VERTRAUENs ... LG Br.Rolf

andreasm /

hallo joachim,
ein echt interessantes und selten beleuchtetes thema. finde ich spannend. und danke für deine erklärungen und die entsprechenden bibelstellen.
für mich bleibt der praktische aspekt mehr

Christa /

In und so, so kleine Wörtchen, aber mit sooooooooooo großer Bedeutung, für junge Menschen, die manchmal nur noch ein Mischmasch sprechen aus deutsch, englisch usw. noch schwerer zu verstehen.
Das ist mehr

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